Romero sagte, an mich gewandt: »Admiral, ich kenne Sie von Kindheit an, und ich höre nicht auf, über Sie zu staunen. Sie sind gewöhnlich und ungewöhnlich zugleich. Das Geheimnis besteht darin, daß Sie stets den Umständen entsprechen. In durchschnittlicher Situation sind Sie der Durchschnittlichste der Durchschnittlichen; kein Freund, nicht einmal die scharfsinnigste akademische Maschine würde Sie aus der Masse von Ihresgleichen herausfischen. Ist nicht eben dies geschehen, als die Ora-Expedition zusammengestellt wurde? Aber es braucht nur nach einem Gewitter zu riechen, da verändern Sie sich. Da erwachen Sie gleichsam aus der Gewöhnlichkeit, springen aus ihr heraus. Sie sind, so scheint es mir manchmal, für große Erschütterungen geboren. Wir verlieren mitunter den Kopf in schwierigen Situationen, öfter noch kämpfen wir energisch dagegen, überwinden sie mannhaft, spannen alles in uns an, um ihnen gewachsen zu sein, doch Sie sind ihr Mann, Sie sind stets auf der Höhe der größten Ungewöhnlichkeiten, Sie sind gleichsam geschaffen für die Ungewöhnlichkeiten und die Ungewöhnlichkeiten für Sie.
In Stürmen sind Sie – Sturm. Bei Überraschungen sind Sie eine Überraschung. In der Welt der Rätsel sind Sie ein scharfsinniger Rätsellöser. Je drohender der Feind, desto drohender auch Sie, stets entsprechen Sie Ihrem Gegner. Meine Freunde, meine Freunde, erinnern Sie sich, wie wir kürzlich, vom Riß des Zeitenbands gemartert, allmählich dem Wahnsinn verfielen, den Willen zum Widerstand verloren. Der einzige, der dem verderblichen Zeitkrebs widerstand, der sich verbissen gegen eine Erschlaffung auflehnte, war er, unser wissenschaftlicher Leiter, unser Admiral, unser Freund Eli. Wie konnten Sie es wagen, Admiral, zu fordern, daß wir durch unsere Entscheidung mit eigenen Händen Ihr Gehirn auslöschen, unseren größten Reichtum, daß wir Ihren Willen brechen, die sicherste Garantie für unsere Befreiung aus dem Ungemach? Eli, mein Freund, wie konnte in Ihrem hellen Kopf ein solch schändlicher Gedanke reifen?«
Er war selbstverständlich ein Redner in altertümlichem Stil, einer von denen, die unter dem Beifall und den begeisterten Zurufen der Menge glänzende Reden halten. Und er hatte sein Ziel erreicht, man applaudierte ihm und rief ihm zu. Mir schenkte niemand mehr Beachtung, alle Gesichter waren Romero zugewandt. Er stand, stützte sich mit der einen Hand auf den Spazierstock und malte mit der anderen Linien in der Luft, um die Wirkung seiner Worte zu verstärken. Wahrscheinlich wäre auch ich von seiner malerischen Haltung und der leidenschaftlichen Rede überwältigt gewesen, hätte es sich nicht um mich gehandelt. Ich bemühte mich, Romero von den Gipfeln der Psychologie in die trostlose Ebene der praktischen Sorgen herunterzuholen: »Ich weiß nicht, Pawel, ob Sie sich darüber klar sind, Sie liefern uns alle den mächtigen und unbarmherzigen Händen des Feindes aus, wenn Sie den Kampf gegen dessen unfreiwillige Agenten ablehnen!«
»Nein, Admiral! Tausendmal nein!«
»Sie bestreiten, daß die Ramiren mächtig und unbarmherzig sind?«
»Daß sie mächtig sind, gebe ich zu. Es wäre sinnlos, zu bestreiten, was offensichtlich ist. Aber ich bestreite, daß sie unbarmherzig sind!«
Unschlüssig blickte ich Oleg an. Er verhielt sich so ruhig, als hätte er im voraus gewußt, was Romero sagte, als hätte er sich vorher mit ihm abgesprochen.
Empört rief ich: »Und Sie sagen das, nachdem wir gesehen haben, wie sie die Aranen verhöhnen? Klingt Ihnen nicht noch das hysterische Geschrei ,Die Grausamen Götter!‘ in den Ohren? Und bezeugen nicht die Leichen von Lussin und Trub, die vernichtete , Stier‘ und das zertrümmerte Geschwader, daß sie grausam und unsere Feinde sind?«
»Nein, lieber Admiral, daß bezeugen sie nicht im mindesten!«
»Einer von uns beiden hat tatsächlich den Verstand verloren! Ich hoffe, daß nicht ich das bin. Was sind sie denn, wenn nicht grausam und nicht unsere Feinde?«
»Admiral! Sie sind gleichgültig uns gegenüber.«
Ich würde gegen die Wahrheit verstoßen, gäbe ich nicht zu, daß ich erschüttert war. Es gibt erfreuliche und unangenehme Worte, leere und unbedeutende, oberflächliche und solche, deren Schwere man wie ein Gewicht empfindet. Die meisten informieren nur.
Doch es gibt andere, die Erleuchtungen sind, Blitze, die die Finsternis grell erhellen, die Schlüssel zu den geheimen Türen vergessener Wahrheiten sind. Für mich klang das Wörtchen »gleichgültig« wie eine Erleuchtung, wie eine Offenbarung. Meinetwegen hätte Romero nicht weiterzusprechen brauchen. Ich glaubte sofort und endgültig.
Doch Romero sprach und sprach und berauschte sich an seiner eigenen Beredsamkeit. Ich hatte nicht geahnt, daß man so atemlos, so dankbar zuhören könne, wie man ihm lauschte. Alles wurde umgedreht, alles vom Kopf auf die Beine gestellt: In die drohende Welt, die uns umgab, in die unsinnige und wilde Welt kehrte die Natürlichkeit zurück.
Der Untergang der »Widder« hatte Romero auf den Gedanken gebracht, daß die Ramiren auch nach Oans Tod einen Informanten auf der »Steinbock« haben müßten. Aber dann bezweifelte er, ob sie Agenten unter uns brauchten. Waren sie denn Feinde?
Und er erinnerte sich der Überlieferung der Zerstörer und Galakten, wonach die mächtigen Ramiren ins Zentrum der Galaxis übergesiedelt waren, weil sie den Kern umbauen wollten. Da war er, dieser entsetzliche Kern, jenseits der Schiffswände. Ein unvorstellbares Chaos. Eine unaufhörlich andauernde ewige Explosion – solch ein bedrohliches Bild bot er. Was war hier umzubauen? Hier konnte es nur die Hoffnung geben, daß ein allgemeiner Zusammenstoß der Sterne verhindert werde, ein Weltallkollaps, der der ganzen Galaxis den Untergang bescheren würde. Die Gravitation, eine so wunderbare Eigenschaft der Materie an den Stellen, wo es sie in geringem Maße gab, wurde zum Fluch, wenn die Materie wie im Kern verdichtet war.
Zuverlässigste Arzneien verwandeln sich in Gift, nimmt man sie in großen Mengen ein.
»Ich stellte mir vor, wir wären um viele Ordnungen mächtiger als jetzt. Und ich gelangte zu dem Schluß, daß ich mir dann die mir angemessene Aufgabe stellen würde, vom Kern möglichst weit wegzubringen, was man an die Peripherie der Galaxis bringen könne, eine Disharmonie zu schaffen, die irgendwie gegen die zu einer Explosion führenden Prozesse gerichtet wäre.
Signalisiert uns dies nicht der Hinauswurf der kugelförmigen Ansammlung von Millionen Sternen aus dem Kern? Hat damit nicht auch die Zerstäubung der Gestirne in den Untergehenden Welten und vielleicht noch Tausender Ansammlungen zu tun, durch die uns unser Weg nicht geführt hat und die uns unbekannt geblieben sind? Und wenn dabei irgendwelche Lebensformen umkämen, würden das die großen Säuberer nicht gleichgültig hinnehmen? Das empört Sie? Mich empört es ebenfalls! Aber stellen Sie sich diese Situation vor: Ein großes Waldrevier ist von Fäulnis befallen, die Krankheit breitet sich aus. Wir haben uns aufgemacht, sie zu bekämpfen, fällen Baum um Baum. Würden wir uns darum kümmern, ob wir einen Teil der Waldameisen vernichten? Sie sind uns gleichgültig, wir wünschen nicht, daß sie umkommen.
Mögen sie laufen. Wenn sie uns nicht behindern, tun wir ihnen nichts. Aber würden wir sie nicht zerquetschen, sobald sie sich, wütend, daß wir ihre Behausungen zerwühlt haben, auf uns stürzen? Besteht hier nicht eine Analogie zu dem, was wir in den Untergehenden Welten beobachtet haben?«
»Und wir gehören wohl zu den galaktischen Ameisen?« erkundigte sich Oleg ruhig.
»In gewissem Maße ja. Die Ramiren hätten uns und auch die Aranen längst vernichtet, wenn wir ihre realen Feinde wären. Aber wir bedeuten ihnen ebensoviel wie die Ameisen den Menschen. Sie bemühen sich, über unsere Pläne Bescheid zu wissen? Würden nicht auch wir uns bemühen, über die Bewegung der Ameisen im gesäuberten Wald informiert zu sein, zumindest zu dem Zweck, um sie nicht grundlos auszurotten? Ich sage Ihnen: Den Ramiren sind wir völlig egal! Und nur, wenn wir auf irgendeine Weise, sei es durch eine Explosion des Raumes oder eine Störung des Gravitationsgleichgewichts, ihre Tätigkeit erschweren, schnipsen sie uns ärgerlich weg. Und wir haben dann den Eindruck, es wäre ein Krieg entbrannt und Armeen unbarmherziger Feinde zögen auf uns zu!« Romero, der zum Saal gesprochen hatte, wandte sich mir zu. »Habe ich Sie überzeugt, mein Freund?«
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