Irina nickte nur. Ellon sagte: »Ich bin bereit, die Experimente mit der Makrozeit zu beginnen. Dazu brauche ich einen toten Gegenstand und ein Lebewesen. An toten Gegenständen herrscht kein Mangel, aber wo nehme ich einen lebenden Organismus her?«
»Nimm Mizar, Ellon«, riet ich. »Auch früher wurden Hunde für Experimente benutzt. Mizar ist zwar ein denkendes Tier, und wir werden ihm das Wesen des Experiments erklären müssen, um seine Zustimmung zu erhalten…«
»Sprich du mit Mizar«, unterbrach mich Ellon.
»Wir Demiurgen sehen die Tiere nicht als ebenbürtig an, wie ihr Menschen das zu tun liebt.«
»Irina, übernimm du die Verhandlungen mit Mizar! Du hast recht, Ellon, der Mensch verhält sich auch einem Tier gegenüber menschlich.«
Ich bezweifle, daß Ellon meinen Tadel verstand.
Irina versprach, mit Mizar zu sprechen. Ich trat wieder zu der Schiffsmaschine der »Steinbock«.
»Kennst du mich? Erinnerst du dich? Hörst du mich?« Als Antwort sang sie ein Liedchen in klirrendem Diskant, der mit ihrem früheren sicheren Bariton nicht die geringste Ähnlichkeit hatte.
Der Anblick der großartigen, vor kurzem noch so vernünftigen Maschine, die sich plötzlich einbildete, ein Lebewesen zu sein und auf irrsinnige Weise nur die Beziehungen zwischen Mann und Frau gelten ließ, stimmte mich so traurig, daß mir beinah die Tränen kamen.
Am Abend besuchte mich Romero.
Er setzte sich in einen Sessel, klemmte sich den Spazierstock zwischen die Knie und starrte zerstreut auf den Bildschirm. Dort war immer noch die gleiche Landschaft der Weltenhölle zu sehen ein Lichtstrudel satanisch rasender Gestirne. Und plötzlich wurde mir mitleidsvoll bewußt, was ich früher nicht beachtet hatte: Romero wurde alt. Er erlaubte sich zwar immer noch kein graues Härchen, weder auf dem Kopf noch im Bart, aber die Falten ließen sich nicht verbergen. Sein noch schönes gepflegtes Gesicht wirkte müde. Ich spürte, daß er gebrochen war und Trost brauchte. Fast scherzhaft fragte ich: »Ein interessantes Abenteuer, nicht wahr, Pawel?«
Er blickte mich lange mit den großen dunklen Augen an, und ich erinnerte mich plötzlich, was Mary einmal gesagt hatte: »Pawel ist so gut gebaut, so elegant, so wohlerzogen, er hat die schönsten Augen, die ich je bei einem Manne sah, und er machte mir den Hof, was du dir nicht einfallen ließest. Und ich wußte nichts Besseres, als mich in dich Liederlichen bis über beide Ohren zu verlieben!«
»Admiral, Sie neigen zu ungeheuerlichen Paradoxen«, entgegnete er. »Eine Tragödie ein interessantes Abenteuer zu nennen… !«
»Wenn Sie allerdings an Petri und seine Kameraden denken…«
»Ich spreche von Ihnen und von mir, scharfsinniger Eli! Welch nicht wiedergutzumachende Torheit! In den siedenden Kern zu fliegen wie ein Falter ins Licht! Schwache Falter in den grausamen Händen der Feinde!«
»Die Falter gehen Ihnen wohl nicht aus dem Kopf, Pawel?«
»Ja, sie gehen mir nicht aus dem Kopf, erwiderte er bitter. »Seit dem Augenblick, da die Ramiren die , Schlangenträger‘ vernichteten, sage ich mir immer wieder, daß wir Falter sind, die ins Feuer taumeln.
Und wissen Sie, was ich Ihnen sagen werde? Dieses selbe Wörtchen servierte mir unsere Schiffsmaschine.«
»Sie waren im Laboratorium?«
»Ich komme gerade von dort. Ich fragte, was sie über die Zeitrisse in dieser seltsamen Welt denke, die sich Galaxiskern nenne. Und sie antwortete… Was meinen Sie, hochweiser Freund, was sie antwortete?«
»Wahrscheinlich trällerte sie unsinnige Verse.«
»Ja, Verse. Folgende:
Wie ein Falter gaukle ich durchs Leben,
find‘ auf keiner Blume Ruhe mir,
sollt‘ ich einer meine Seele geben,
freudetrunken brächt‘ ich sie nur dir…«
»Ein banales kleines Couplet. Interessant ist allenfalls, daß sich die Schiffsmaschine nicht mehr einbildet, ein dummes Mädchen zu sein, sondern ein zügelloser Geck.«
»Nein, mein alter Freund, interessant ist etwas anderes. In meinem Gehirn tauchte das Wort ,Falter‘ auf, und die Maschine benutzte es. Sagt Ihnen das nichts, Eli?«
»Nicht das mindeste.«
»Das sollte es aber, Admiral. Nun, Sie haben sich ja nie für die alten Bräuche interessiert, das ist eben Ihre Natur. Ist Ihnen bekannt, Eli, daß meine Diplomarbeit an der Universität den Titel trug: ,Die sentimentale Poesie des Kleinbürgertums Ende des neunzehnten Jahrhunderts der alten Ära’? Und daß in dieser Diplomarbeit sämtliche Verschen zitiert sind, mit denen unsere verdrehte Schiffsmaschine operiert?«
»Das ist tatsächlich interessant.«
»Ich freue mich, daß Sie sich der Hauptsache nähern. Der Schlag der Ramiren führte zur Persönlichkeitsspaltung unserer armen übergeschnappten Maschine.«
»Zeitspaltung, Pawel.«
»Ja, Sie haben recht, zur Zeitspaltung. Sie ist in zwei Epochen zugleich. Physisch ist sie hier, bei uns.
Doch mit allen Assoziationen, mit ihrem Verständnis ist sie in der Vergangenheit. Wir alle sind durch unsere Strahlungen mit ihr verbunden; ich bin ebenfalls, wie Sie wissen, in ihr kodiert. Offensichtlich hat sie auch früher meine Gehirnimpulse wahrgenommen, meine Kenntnisse, meine Vorstellungen von der Vergangenheit, aber in ihrer praktischen Arbeit konnte sie aus diesem Vorrat nichts benutzen. Doch jetzt, da sie zurückgeworfen ist, operiert sie nur mit den Kenntnissen, die sich auf die Vergangenheit beziehen.
Sie fragten, ob sie Sie kenne, gaben ihr die Gleichungen Ngoros ein, aber in der Vergangenheit, die ihre Gegenwart geworden ist, gab es Sie nicht, existierte Ngoro nicht. Der Wahnsinn der Schiffsmaschine besteht darin, daß sie physisch ,hier‘ und Jetzt‘ ist, doch intellektuell ,dort‘ und früher’.«
»Die anderen Schiffsmaschinen weisen andere Wahnsinnsformen auf, Pawel.«
»Jeder wird auf seine Weise verrückt, lieber Admiral. Das bezieht sich nicht nur auf uns Menschen, sondern auch auf die Maschinen.«
Ich sagte: »Ihr Gedanke eröffnet eine interessante Möglichkeit, die Schiffsmaschinen wiederherzustellen.«
Er entgegnete voller Bitterkeit: »Ich sehe eine andere Möglichkeit voraus: Wir alle werden bald den Verstand verlieren.«
Und er erinnerte an Oan und dessen kranke Zeit.
»Die Perspektive, die der Verräter androhte, ist Wirklichkeit geworden: Wir sind in der kranken Zeit. Es war ein großer Irrtum, daß wir, in Welten dahinjagend, wo die Disharmonie der Zeit Gesetz ist, hofften, diese Strafe werde uns selbst verschonen. In dem Chaos des Kerns garantiert die Instabilität der Zeit möglicherweise die physische Existenz der Gestirne, doch für unseren harmonischen Organismus ist sie verderblich. Der kurze Ausfall des Moments, der jetzt‘ genannt wird, hätte uns beinahe das Leben gekostet. Wir sind erkrankt, ohne das einstweilen zu wissen. Auch in uns löst sich nun der Zusammenhalt des Zeitenstroms.«
»Aber die Schiffsmaschinen haben schon den Verstand verloren, während wir einstweilen nicht wahnsinnig sind. Sofern man Ihre Theorie nicht für Wahnsinn hält, daß die Zeit in uns bereits angekränkelt ist.«
»Wir sind Organismus, die Schiffsmaschinen Mechanismus«, antwortete er, meinen Spott ignorierend.
»Der Organismus hat wahrscheinlich einen inneren Zeitstabilisator. Ich bezweifle nicht, daß die Natur, als sie, das Leben entstehen ließ, auch für den Schutz des Lebens vor Kataklysmen wie die Verletzung der Gleichzeitigkeit sorgte. Sie kennt ihre Absonderlichkeiten besser als wir. Wir dagegen hatten keine Ahnung, daß die Schiffsmaschinen mit Zeitstabilisatoren ausgestattet sein müssen. Die denkenden Maschinen sind schwächer als unser Gehirn, zumindest in dieser Beziehung. Aber überschätzen Sie dennoch unsere Stärke nicht! Die Gleichzeitigkeitsverletzungen werden in den Zellen gespeichert. Wird die Bruchgrenze des biologischen Stabilisators überschritten, so ist es auch mit unserem Verstand aus.«
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