In den schrecklichsten dreiundzwanzig Minuten meines Lebens versuchten vier meiner Gefährten und ich, uns nicht in die Hosen zu machen, während Martinez das MLM zur Oberfläche steuerte. Ich fühlte mich wie in der Trommel eines Wäschetrockners.
Zuerst sanken wir von der Hermes aus hinab und bremsten die Umlaufgeschwindigkeit weit genug ab, bis wir ordentlich fallen konnten. Alles ging glatt, bis wir die Atmosphäre erreichten. Wenn Sie glauben, in einem Düsenflugzeug bei 720 Stundenkilometern seien Turbulenzen unangenehm, dann versuchen Sie mal, sich das Gleiche bei 28.000 km/h vorzustellen.
Mehrere Serien von Fallschirmen öffneten sich automatisch und bremsten uns ab, dann lenkte Martinez uns von Hand zum Boden und benutzte die Steuerdüsen, um den Sturz abzufangen und die seitliche Bewegung auszugleichen. Er hatte dies jahrelang trainiert und machte seine Sache außerordentlich gut. Er übertraf die allerhöchsten Erwartungen und setzte uns nur neun Meter neben dem Ziel ab. Der Kerl war der Inbegriff einer glatten Landung.
Danke, Martinez! Vielleicht hast du mir das Leben gerettet.
Nicht wegen der perfekten Landung, sondern weil du so viel Treibstoff hinterlassen hast. Hunderte Liter unverbrauchtes Hydrazin. Jedes Molekül Hydrazin hat vier Wasserstoffatome. Ein Liter Hydrazin hat also genug Wasserstoff für zwei Liter Wasser.
Mit einer kleinen EVA habe ich es überprüft. Das MLM hat noch 292 Liter Treibstoff im Tank. Das reicht für beinahe 600 Liter Wasser! Weitaus mehr, als ich brauche!
Leider hat die Sache einen Haken: Den Wasserstoff aus dem Hydrazin herauszulösen ist … nun ja … so funktionieren Raketen. Es wird wirklich sehr heiß. Und gefährlich. Wenn ich das in einer Sauerstoffatmosphäre mache, explodiert der heiße und gerade befreite Wasserstoff. Am Ende wird es eine Menge H2O geben, aber ich werde viel zu tot sein, um etwas davon zu haben.
Im Grunde ist das Hydrazin ein recht einfacher Stoff. Die Deutschen haben es schon im Zweiten Weltkrieg als Treibstoff für Kampfflugzeuge mit Raketentriebwerken benutzt und sich manchmal damit selbst in die Luft gejagt.
Man muss es nur über einen Katalysator leiten (den ich aus dem MLM ausbauen kann), und es verwandelt sich in Stickstoff und Wasserstoff. Die chemischen Details schenke ich mir hier, aber am Ende verwandeln sich fünf Moleküle Hydrazin in fünf Moleküle harmloses N2 und zehn Moleküle hübsches H2. Dummerweise durchläuft der Treibstoff ein Zwischenstadium, in dem Ammoniak entsteht, und die Chemie ist leider eine nachlässige Schlampe. Deshalb fällt immer etwas Ammoniak an, das sich nicht weiter verwandelt, sondern einfach nur Ammoniak bleibt. Mögen Sie den Geruch von Ammoniak? Nun ja, er wird in meiner Welt, die mehr und mehr an eine Hölle erinnert, der vorherrschende Geruch sein.
Die Chemie ist auf meiner Seite. Die Frage ist nur, wie ich die Reaktion langsam genug ablaufen lasse und wie ich den Wasserstoff auffangen kann. Die Antwort ist: Ich weiß es nicht.
Mir wird schon etwas einfallen, denn sonst sterbe ich.
Wie auch immer, noch wichtiger ist dies: Ich kann nicht ertragen, dass sie Chrissy durch Cindy ersetzt haben. Nach dieser Katastrophe ist Herzbube mit zwei Damen wahrscheinlich nie mehr das, was es mal war. Die Zeit wird es zeigen.
4
Logbuch: Sol 32
Wie Sie sehen, stoße ich bei meinem Wasserproduktionsplan auf einen ganzen Haufen Probleme.
Ich will 600 Liter Wasser herstellen (so viel, wie der Wasserstoff aus dem Hydrazin hergibt). Das bedeutet, dass ich 300 Liter flüssigen Sauerstoff benötige.
Den Sauerstoff kann ich leicht beschaffen. Die Anlage im MRM braucht zwanzig Stunden, um den Zehnlitertank mit CO2 zu füllen. Der Oxygenator verwandelt das Gas in O2, und der Atmosphäreregler erkennt, dass der Sauerstoffgehalt in der Wohnkuppel zu hoch ist, zieht den überschüssigen Sauerstoff heraus und lagert ihn in den Sauerstofftanks. Sobald sie voll sind, speichere ich den Sauerstoff in den Behältern der Rover und wenn nötig in den Raumanzügen.
Allerdings läuft die Herstellung nur langsam ab. Bei einem halben Liter CO2 pro Stunde dauert es fünfundzwanzig Tage, um den Sauerstoff herzustellen, den ich brauche. Das ist länger, als mir lieb ist.
Außerdem ist es schwierig, den Wasserstoff zu lagern. Die Gastanks der Wohnkuppel, der Rover und aller Raumanzüge fassen genau 374 Liter. Um die gesamten Rohstoffe für das Wasser vorzuhalten, brauche ich allerdings ein Speichervolumen von 900 Litern.
Ich habe mit dem Gedanken gespielt, einen Rover als Tank zu benutzen, aber die Fahrzeuge sind nicht imstande, einen so hohen Druck zu überstehen. Sie sind ausgelegt, um – Sie ahnen es – einen Druck von einer Atmosphäre zu halten. Ich brauche Behälter, die den fünfzigfachen Druck ertragen können. Dabei würden die Rover mit Sicherheit platzen.
Die beste Methode, die Zutaten für Wasser zu speichern, besteht darin, sie in Wasser zu verwandeln. Also werde ich genau das tun.
Theoretisch ist es ganz einfach, die Durchführung ist jedoch immens gefährlich.
Alle zwanzig Stunden bekomme ich dank der Treibstofferzeugung im MRM 10 Liter CO2. Dann wende ich neueste wissenschaftliche Erkenntnisse an und löse den Behälter von den Landestützen des MRM, bringe ihn in die Wohnkuppel und öffne das Ventil, bis er leer ist.
Der Oxygenator verwandelt das Gas in Sauerstoff.
Anschließend lasse ich sehr, sehr langsam das Hydrazin über den Iridiumkatalysator strömen, damit N2 und H2 entstehen. Den Wasserstoff leite ich in eine kleine Kammer, wo ich ihn verbrenne.
Wie Sie unschwer erkennen, birgt dieser Plan eine Menge Möglichkeiten, in einem großen Feuerball zu sterben.
Zuerst einmal ist Hydrazin höchst gefährlich. Wenn ich einen Fehler mache, bleibt am Standort des Wohnquartiers nur noch ein “Mark Watney Gedächtniskrater” übrig.
Falls ich mit dem Hydrazin keinen Mist baue, bleibt noch die Tatsache, dass ich den Wasserstoff verbrennen muss. Ich werde Feuer machen. In der Wohnkuppel. Absichtlich.
Sie können jeden Ingenieur der NASA fragen, was das schlimmste Szenario für das Wohnquartier ist, und alle werden antworten: “Feuer.” Wenn Sie fragen, was das Ergebnis wäre, lautet die Antwort: “Tod durch Feuer.”
Aber wenn ich das hinkriege, kann ich kontinuierlich Wasser erzeugen, ohne Wasserstoff oder Sauerstoff speichern zu müssen. Das Wasser wird sich in Form von Luftfeuchtigkeit in die Atmosphäre mischen, aber die Wasserrückgewinnung holt es wieder heraus.
Ich muss nicht einmal die Menge an Hydrazin genau auf die Menge an CO2 aus der Treibstofferzeugung abstimmen. In der Wohnkuppel gibt es genügend Sauerstoff, und ich habe noch reichlich Reserven. Ich muss nur darauf achten, nicht so viel Wasser herzustellen, dass mir der Sauerstoff ausgeht.
Die Treibstofferzeugung des MRM ist jetzt mit der Stromversorgung der Wohnkuppel verbunden. Glücklicherweise laufen beide mit der gleichen Spannung. Das Gerät tuckert vor sich hin und sammelt CO2 für mich.
Zum Abendessen gibt es eine halbe Ration. Heute habe ich nichts weiter getan, als mir einen Plan auszudenken, der mich umbringt, und das erfordert nicht viel Energie.
Heute Abend sehe ich mir die letzte Folge von Herzbube mit zwei Damen an. Ehrlich gesagt mag ich Mr. Furley lieber als die Ropers.
Logbuch: Sol 33
Dies könnte mein letzter Eintrag werden.
Seit Sol 6 weiß ich, dass ich mit einiger Wahrscheinlichkeit hier sterben werde. Aber ich habe angenommen, der Grund sei der Mangel an Nahrung, und hätte nicht vermutet, dass es schon so früh und aus ganz anderen Gründen geschehen würde.
Ich bin bereit, das Hydrazin umzuwandeln.
Unsere Mission wurde in dem Bewusstsein geplant, dass alles irgendwann einmal gewartet werden muss. Deshalb habe ich reichlich Werkzeug. Sogar im Raumanzug gelang es mir, die Verkleidung des MLM zu entfernen und an die sechs Hydrazintanks heranzukommen. Ich habe sie im Schatten eines Rovers abgestellt, damit sie sich nicht zu sehr erwärmen. In der Nähe der Wohnkuppel gibt es mehr Schatten, und die Temperaturen sind niedriger, aber verdammt noch mal! Wenn sie in die Luft fliegen wollen, dann sollen sie einen Rover, aber nicht mein Haus vernichten.
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