Jenseits von Marth habe ich das Watney-Dreieck hinter mir gelassen (ja, allmählich gefällt mir dieser Name). Dann kann ich mühelos in gerader Linie nach Schiaparelli weiterfahren. Unterwegs stoße ich immer noch auf viele Krater, die jedoch vergleichsweise klein sind. Sie zu umfahren wird mich nicht viel Zeit kosten.
Ich bin sehr gut vorangekommen. Arabia Terra ist auf jeden Fall stärker zerklüftet als Acidalia Planitia, aber es ist bei Weitem nicht so schlimm wie befürchtet. Über die meisten Felsen konnte ich hinwegfahren, und denjenigen, die zu groß waren, konnte ich leicht ausweichen. Vor mir liegen noch 1435 Kilometer.
Ich habe mich ein wenig über Schiaparelli informiert und etwas Angenehmes herausgefunden. Der beste Weg, um hineinzukommen, liegt direkt vor mir. Ich muss nicht ringsum fahren. Der Eingang ist sogar sehr leicht zu finden, selbst wenn man nicht gut navigiert. Am nordwestlichen Rand gibt es einen kleineren Krater. Das ist die Landmarke, nach der ich suchen muss. Südwestlich des kleineren Kraters führt ein sanfter Abhang ins Schiaparelli-Becken.
Der kleine Krater hat keinen Namen, oder jedenfalls nicht auf den Karten, die ich habe. Also nenne ich ihn “Zugangskrater”. Irgendjemand muss das ja erledigen.
Meine Ausrüstung zeigt mittlerweile Ermüdungserscheinungen. Das ist nicht überraschend, weil sie weit über das geplante Verfallsdatum hinaus in Gebrauch ist. Während der letzten beiden Marstage haben die Batterien eine längere Zeit zum Nachladen gebraucht. Die Solarzellen produzieren nicht mehr so viel Strom wie früher. Das ist kein großes Problem, ich muss nur etwas länger laden.
Logbuch: Sol 474
Ich habe Mist gebaut.
Früher oder später musste das ja passieren. Ich habe schlecht navigiert und bin am Rand des Marth-Kraters gelandet. Da er 100 Kilometer breit ist, kann ich ihn nicht ganz überblicken und weiß nicht genau, an welcher Stelle des Kreises ich mich befinde.
Der Rand verläuft in Fahrtrichtung quer vor mir. Ich habe keine Ahnung, in welche Richtung ich fahren soll, aber ich will auf keinen Fall einen Umweg in Kauf nehmen. Eigentlich wollte ich im Süden vorbeifahren, aber der Norden ist im Grunde genauso gut, weil ich mich ja sowieso schon verfahren habe.
Um meine Länge zu bestimmen, muss ich auf einen Durchgang von Phobos warten, und ich muss bis Einbruch der Nacht warten, damit ich Deneb anpeilen kann. Heute fahre ich nicht weiter. Glücklicherweise habe ich schon 70 der 90 Kilometer zurückgelegt, die ich normalerweise schaffe, also habe ich nicht zu viel Zeit verloren.
Marth ist nicht sehr steil. Wahrscheinlich könnte ich sogar hineinfahren und an der anderen Seite wieder herauskommen. Er ist groß genug, um mitten darin eine Nacht zu kampieren. Aber ich will keine unnötigen Risiken eingehen. Abhänge sind tückisch und sollten vermieden werden. Ich habe einen großen Zeitpuffer eingeplant und gehe lieber auf Nummer sicher.
Deshalb lasse ich die Fahrerei für heute bleiben und baue alles auf, damit die Batterien nachladen können. Das ist sowieso keine schlechte Idee, weil die Solarmodule nachlassen. Auf diese Weise bekommen sie etwas mehr Zeit, ihre Arbeit zu tun. Auch gestern haben sie wieder weniger Leistung geliefert. Ich habe alle Verbindungen überprüft und mich vergewissert, dass sie nicht verstaubt sind, aber sie erreichen einfach keine 100 Prozent Leistung mehr.
Logbuch: Sol 475
Ich stecke in Schwierigkeiten.
Gestern habe ich zwei Phobos-Transite beobachtet und am Abend Deneb angepeilt. Dabei habe ich meinen Standort so genau wie möglich bestimmt und etwas herausgefunden, das ich nicht so gern gesehen habe. Soweit ich es sagen kann, habe ich den Marth-Krater genau in der Mitte getroffen.
Verdammter Mist.
Jetzt kann ich nach Norden oder nach Süden ausweichen. Einer der beiden Wege ist vermutlich besser, weil er ein wenig leichter und kürzer ist.
Ich dachte, ich sollte mich wenigstens ein bisschen bemühen, um die beste Richtung zu finden, und bin heute Morgen etwas spazieren gegangen. Bis zum höchsten Punkt des Kraterrands musste ich mehr als einen Kilometer laufen. So einen Spaziergang machen die Menschen auf der Erde, ohne groß darüber nachzudenken, aber in einem EVA-Anzug ist es eine Qual.
Ich freue mich schon darauf, dass ich eines Tages Enkelkinder habe. “Als ich jünger war, musste ich mal bergauf bis zu einem Kraterrand laufen! In einem EVA-Anzug! Auf dem Mars, ihr kleinen Scheißer! Habt ihr das gehört? Auf dem Mars!”
Wie auch immer, ich habe den Kraterrand erreicht, und verdammt, es war ein schöner Anblick. Von diesem hohen Standort aus hatte ich einen überwältigenden Ausblick. Ich dachte, ich könnte vielleicht die andere Seite des Marth-Kraters erkennen und dadurch den besten Weg finden.
Leider konnte ich die andere Seite nicht sehen. Dunst schwebte in der Luft. Das ist nicht ungewöhnlich, weil es Wetter, Wind und Staub auf dem Mars gibt, aber der Dunst schien dichter zu sein als erwartet. Ich bin an die offene Weite von Acidalia Planitia gewöhnt, wo meine kleine Farm stand.
Dann wurde es noch verrückter. Ich drehte mich um und blickte zum Rover und zum Anhänger. Alles war, wie ich es zurückgelassen hatte. Auf dem Mars gibt es nicht viele Autodiebe. Aber die Aussicht kam mir viel klarer vor.
Ich blickte wieder quer über Marth. Dann nach Westen zum Horizont. Dann nach Osten, dann wieder nach Westen. Bei jeder neuen Ausrichtung musste ich den ganzen Körper drehen, weil es in einem EVA-Anzug nun einmal nicht anders geht.
Gestern bin ich an einem Krater vorbeigekommen. Er liegt etwa 50 Kilometer weiter im Westen und ist am Horizont gerade eben noch erkennbar. In östlicher Richtung kann ich auf keinen Fall so weit blicken. Der Marth-Krater hat einen Durchmesser von 110 Kilometern. Bei einer Sichtweite von 50 Kilometern sollte ich wenigstens eine deutliche Krümmung des Kraterrands erkennen, aber ich sehe nichts.
Zuerst wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Die mangelnde Symmetrie machte mich allerdings nachdenklich, und ich habe gelernt, in jeder Hinsicht misstrauisch zu sein. Dann fielen mir mehrere Dinge ein.
1. Die einzige Erklärung für eine Asymmetrie der Sichtweite ist ein Staubsturm.
2. Staubstürme dämpfen den Wirkungsgrad von Solarzellen.
3. Meine Solarzellen haben seit mehreren Marstagen immer schlechter gearbeitet.
Daraus konnte ich das Folgende schließen:
1. Ich bin seit mehreren Marstagen in einem Staubsturm.
2. Mist.
Ich bin nicht nur in einem Staubsturm, sondern er wird auch noch dichter, je weiter ich mich Schiaparelli nähere. Vor ein paar Stunden habe ich mir Sorgen gemacht, weil ich den Marth-Krater umrunden musste. Jetzt muss ich etwas ausweichen, das erheblich größer ist.
Und ich muss mich beeilen. Staubstürme bewegen sich. Wenn ich herumsitze, wird er mich vermutlich überrollen. Aber in welche Richtung fahre ich? Jetzt geht es nicht mehr darum, möglichst effizient voranzukommen. Wenn ich jetzt einen Fehler mache, fresse ich Staub und sterbe.
Ich habe keine Satellitenbilder und weiß nicht, wie groß der Sturm ist, wie er geformt ist und in welche Richtung er zieht. Mann, ich würde alles für eine fünfminütige Unterhaltung mit der NASA geben. Da fällt mir gerade ein, dass sich vermutlich die NASA in die Hosen macht, weil sie mich ja beobachten.
Jetzt stehe ich unter Zeitdruck. Ich muss alles über den Sturm herausfinden, was ich wissen muss, und es muss schnell gehen.
Im Augenblick fällt mir rein gar nichts ein.
MINDY SCHLURFTE ZU IHREM COMPUTER. Die Schicht hatte um 14:10 Uhr begonnen. Ihre Dienstzeit richtete sich nach Watneys Fortschritten. Sie schlief, wenn er schlief. Watney verschlief jede Nacht auf dem Mars, aber Mindy musste sich jeden Tag um vierzig Minuten anpassen. Sie hatte Alufolie auf die Fenster geklebt, um überhaupt etwas Schlaf zu finden.
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