Zum eintreffenden Klapauzius sagte er nicht ohne Stolz: „Sieh dir's nur an, hier kannst du etwas lernen!“
Als Klapauzius die Maschine gründlich von allen Seiten in Augenschein nahm, richtete sie die Mehrzahl ihrer Teleobjektive auf ihn, stöhnte ein paar Mal vor Wonne und klatschte in die Hände.
Der Konstrukteur war über dieses Verhalten aufs äußerste erstaunt, ließ sich jedoch nichts anmerken und fragte leichthin:
„Was ist das?“
„Ein glückliches Wesen“, sagte Trurl, „genauer gesagt, ein Felix Contemplator Vitae, kurz Kontemplator genannt.“
„Ach, und was tut so ein Kontemplator?“
Der ironische Unterton dieser Frage blieb Trurl nicht verborgen, er beschloß jedoch, ihn zu überhören.
„Es ist ein aktiver Kontemplator“, erklärte Trurl, „er beschränkt sich nicht allein auf die unablässige Beobachtung und Registrierung sämtlicher Vorgänge, sondern er tut dies mit einem Höchstmaß an Intensität, Konzentration und innerer Anteilnahme, denn jedes beobachtete Objekt versetzt ihn in schier unaussprechliches Entzücken. Dieses Entzücken, das seine Elektroden und Stromkreise erfüllt, ruft den Zustand höchster Euphorie hervor, dessen äußere Zeichen in Gestalt von Stöhnen und Händeklatschen sogar dann auftreten, wenn er seinen Blick auf deine ansonsten ja eher banale Physiognomie richtet.“
„Du willst sagen, diese Maschine zieht aus der Beobachtung aller Dinge aktiven Lustgewinn?“
„Genauso ist es!“ sagte Trurl, allerdings mit sehr gedämpfter Stimme, denn aus irgendeinem Grunde fühlte er sich nicht mehr so selbstsicher wie noch vor wenigen Augenblicken.
„Und dies soll dann wohl ein Felizitometer sein, an dem der jeweilige Grad des existentiellen Wohlbehagens abzulesen ist?“
Klapauzius deutete auf die Meßskala mit dem vergoldeten Zeiger.
„Ja, weißt du, dieser Zeiger…“
Klapauzius machte sich daran, den Kontemplator anhand verschiedenartigster Objekte gründlich zu testen, wobei er den Zeigerausschlag auf der Meßskala gewissenhaft im Auge behielt. Trurl war sehr erleichtert und hielt ihm sogleich eine einführende Vorlesung zur Theorie der Hedonen, das heißt zur theoretischen Felizitometrie. Ein Wort gab das andere, Frage und Gegenfrage lösten einander ab, bis Klapauzius Trurls Redefluß plötzlich stoppte:
„Es wäre doch interessant, wieviel Einheiten wohl bei folgender Situation herauskämen: Ein Mann ist dreihundert Stunden lang geschlagen worden, plötzlich gelingt es ihm, den Spieß umzudrehen und er schlägt seinem Peiniger den Schädel ein.“
„Überhaupt kein Problem!“ sagte Trurl und war schon fieberhaft mit den entsprechenden Berechnungen beschäftigt, als in seinem Rücken das schallende Gelächter seines Freundes ertönte. Völlig verwirrt fuhr er herum, und Klapauzius sagte immer noch lachend:
„Oberstes Prinzip deiner Erfindung sollte doch das Gute sein, wenn ich mich recht erinnere, nicht wahr? Wirklich, alle Achtung, der Prototyp ist dir gelungen! Mach nur so weiter, und du wirst es weit bringen! Fürs erste darf ich mich wohl verabschieden.“
Er schloß die Tür hinter sich und ließ einen völlig gebrochenen Trurl zurück.
„Und darauf bin ich hereingefallen! In den Boden versinken könnte ich!“ ächzte der Konstrukteur. Sein Seufzen und Wehklagen vermischte sich mit dem ekstatischen Stöhnen des Kontemplators, was ihn so in Rage brachte, daß er die Maschine unverzüglich unter einem Haufen alten Gerümpels in der Abstellkammer verschwinden ließ und die Tür hinter sich sorgsam verriegelte.
Dann setzte er sich an seinen leeren Schreibtisch und sagte: „Ich habe die Kategorien des ästhetisch Schönen und des moralisch Guten einfach gleichgesetzt — und mich damit zum Narren gemacht. Den Kontemplator kann man wohl beim besten Willen nicht als vernunftbegabtes Wesen bezeichnen. Und was folgt daraus? Man muß ganz anders an die Sache herangehen, das Konzept muß bis ins letzte Atom geändert werden. Glück — ja natürlich, Daseinsfreude — selbstverständlich, aber nicht auf Kosten anderer! Nicht vom Bösen darf sie herrühren! Doch halt, was ist eigentlich das Böse? Ach, erst jetzt erkenne ich, wie schändlich ich bei meiner bisherigen Tätigkeit als Konstrukteur die Theorie vernachlässigt habe.“
Acht schlaflose Tage und Nächte hindurch widmete Trurl sich ausschließlich dem Studium höchst wissenschaftlicher Werke, welche allesamt die gewichtigen Fragen von Gut und Böse zum Gegenstand hatten. Wie sich herausstellte, überwog unter den Weisen die Meinung, das Wichtigste sei die aktive Sorge um den Mitmenschen sowie ein allumfassender guter Wille. Das eine wie das andere müßten vernunftbegabte Wesen in ihrem Verhältnis zueinander an den Tag legen, sonst sei alles verloren. Allerdings hat man unter eben dieser Losung die einen gepfählt, gevierteilt und aufs Rad geflochten, anderen die Glieder in die Länge gezerrt, den Schlund mit feurigem Blei ausgegossen und Knochen für Knochen auf der Folterbank gebrochen. Historisch hat sich der allumfassende gute Wille noch in zahllosen anderen Formen und Spielarten der Tortur manifestiert, denn er galt ja einzig und allein der Seele, nicht dem Körper.
„Guter Wille allein genügt nicht“, sprach Trurl zu sich. „Wie wäre es, wenn man das Gewissen verpflanzte, vom eigentlichen Besitzer auf den Mitmenschen und umgekehrt? Was käme wohl dabei heraus? Aber das wäre ja furchtbar, denn meine bösen Taten würden nur noch das Gewissen meines Nachbarn belasten, ich aber könnte mich noch bedenkenloser der Sünde hingeben als bisher! Also sollte man vielleicht die Empfindlichkeit eines durchschnittlichen Gewissens durch den Einbau eines Leistungsverstärkers fühlbar erhöhen, damit böse Taten bei ihren Urhebern tausendfach schlimmere Gewissensbisse hervorrufen. Aber dann würde jedermann schon aus bloßer Neugier ein Verbrechen begehen, nur um sich davon zu überzeugen, ob sein neues Gewissen wirklich so höllische Schmerzen verursacht — und würde dann bis ans Ende seiner Tage von Schuldgefühlen geplagt, unter denen er letztlich zusammenbrechen müßte. Dann vielleicht ein Gewissen mit Rücklauf und Löschtaste, natürlich plombiert? Nur die Obrigkeit hätte einen Schlüssel… Nein! Auch das taugt nichts, denn wozu gibt es schließlich Dietriche? Und wenn man nun eine telepathische Gefühlsübertragung arrangieren würde — einer fühlt für alle, alle für einen? Aber das war ja schon da, auf diese Weise wirkte ja Altruizin… Vielleicht so: Jeder hat einen kleinen Sprengsatz mit Funkempfänger im Bauch, und wenn es mehr als ein Dutzend seiner Nächsten gibt, die ihm seiner bösen und niedrigen Taten wegen übel wollen, so akkumuliert sich die Summe dieser Intentionen am Eingangsteil des Empfängers mit dem Effekt, daß der Adressat der bösen Wünsche in die Luft fliegt. Würde dann nicht jedermann das Böse noch mehr als die Pest fürchten? Zweifellos, es bliebe ihm ja keine Wahl! Allerdings… ist das noch ein glückliches Leben, mit einer Bombe im Bauch? Außerdem, es könnte Verschwörungen geben, es würde genügen, wenn sich ein Dutzend Schurken gegen einen ehrlichen Mann zusammentun, und schon zerreißt es ihn in tausend Stücke… Was dann, die Eingangsklemmen einfach umpolen? Ist auch sinnlos. Aber es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn ich, der ich ganze Galaxien verrückt habe, als wären es Schränke, nicht in der Lage sein sollte, ein derart simples Konstruktionsproblem zu lösen! Stellen wir uns einmal vor, jedes Mitglied einer bestimmten Gesellschaft ist rosig, wohlgenährt, immer guter Dinge, singt, hüpft und lacht von früh bis spät, überschlägt sich fast vor Eifer, wenn es darum geht, anderen zu helfen, und alle anderen verhalten sich genauso, und wenn sie gefragt werden, dann rufen alle lauthals, daß sie sich vor Freude über die eigene wie die kollektive Existenz nicht zu lassen wissen… Würde eine solche Gesellschaft nicht vollkommen glücklich sein? Das Böse hätte dort keinen Platz, wäre völlig undenkbar! Und weshalb? Weil es niemand will. Und warum will es niemand? Weil niemand das geringste davon hätte. Das ist die Lösung! Ein glänzender Plan zur Massenproduktion des Glücks, dabei ganz einfach, wie alle genialen Ideen! Ich bin schon sehr gespannt, was Klapauzius sagen wird, dieser zynische Misanthrop, dieser skeptische Agnostiker — diesmal wird er kein Haar in der Suppe finden, diesmal werden ihm Hohn und Spott im Halse steckenbleiben! Soll er doch herumschnüffeln, soll er doch nach schwachen Stellen suchen, umsonst wird er suchen, weil jeder dem anderen unausgesetzt hilft, und sich dadurch das ganze System selbst optimiert, bis es einfach nicht mehr besser werden kann… Doch halt, wird es ihnen auch nicht zuviel, werden sie sich am Ende nicht überanstrengen, können sie denn diesen Hagel guter Taten aushalten, müssen sie nicht unter dieser Lawine einfach ersticken? Man müßte wohl hier und da ein paar Regler einbauen, ein paar Unterbrecher, auch glücksabweisende Schutzschirme, Anzüge und Isolierzellen könnte man konstruieren… Aber immer langsam voran, nur nichts überstürzen, damit sich nicht erneut Fehler einschleichen. Fassen wir also zusammen, primo — immer vergnügt, secundo — freundlich und wohlwollend, tertio — hüpfen vor Freude, quarto — rosig und wohlgenährt, quinto — es geht ihnen glänzend, sexto — grenzenlos hilfsbereit… das genügt, wir können anfangen!“
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