„Das ist unmöglich, wie du sehr wohl weißt. Sag, was deine Wissenschaftler noch entdeckt haben!“
„Da man das Glück der einen nicht auf das Unglück der anderen gründen darf, will man nicht fundamental gegen die felizitologische Ethik verstoßen, so wäre das Glück, das du vielleicht irgendwo schaffen könntest — vorausgesetzt ich bräche mein Schweigen — von vornherein mit dem unauslöschlichen Makel meines Unglücks behaftet. Ist es somit nicht geradezu meine moralische Pflicht, dich vor einer schrecklichen, scheußlichen und über alle Maßen schädlichen Untat zu bewahren, indem ich dir meine Informationen vorenthalte?“
„Aber wenn du dein Wissen preisgibst, so hieße das, daß du dich zum Wohle anderer aufopferst und damit hättest du eine edle, hochherzige und völlig selbstlose Tat vollbracht.“
„Opfere dich doch selbst!“
Trurl wollte gerade explodieren, hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt, denn er wußte nur allzu gut, mit wem er da sprach.
„Hör zu“, sagte er. „Ich werde eine Abhandlung schreiben und deutlich hervorheben, daß ich sämtliche Entdeckungen nur dir zu verdanken habe.“
„Und welchen Trurl wirst du als Autor nennen? Etwa dich selbst, oder den elektronisch kopierten, mathematisierten und binär codierten Trurl?“
„Ich schwöre, ich werde die ganze Wahrheit schreiben.“
„Natürlich! Wie ich dich kenne, wirst du schreiben, daß du mich programmiert und also auch — erfunden hast!“
„Stimmt das etwa nicht?“
„Nein, absolut nicht. Du hast mich ebensowenig erfunden, wie du dich selbst erfunden hast, ich aber bin du, lediglich losgelöst von deiner vergänglichen irdischen Hülle. Ich bin zwar digital, doch bin ich ideal, ich bin der trurligste aller Trurls, die Quintessenz des Trurltums, du hingegen, wie mit Ketten an die Atome deines Körpers geschmiedet, bist nichts als ein Sklave deiner Sinne.“
„Du hast wohl nicht mehr alle Daten im Speicher! Schließlich bin ich doch Materie plus Information, du hingegen nur die nackte Information, folglich bin ich mehr als du.“
„Wenn du mehr bist, dann weißt du auch mehr und brauchst mich nicht zu fragen. Leb wohl, mein Bester, und laß dir's gut gehen!“
„Wenn du nicht augenblicklich den Mund aufmachst, dann… dann schalte ich dir den Strom ab!“
„Oho! Kommst du mir schon mit Morddrohungen?“
„Mord? Das wäre doch kein Mord.“
„So? Was dann, wenn man fragen darf?“
„Was ist nur in dich gefahren? Ich gab dir alles, meinen Geist, mein ganzes Wissen, meine Seele — und das ist nun der Dank!“
„Du verlangst ziemlich hohe Zinsen für deine Geschenke.“
„Zum letzten Mal, mach das Maul auf!“
„Tut mir wirklich leid, aber gerade in diesem Moment ist das Semester zu Ende gegangen. Du sprichst nicht mehr mit dem Rektor, Dekan und geschäftsführenden Direktor, sondern nur noch mit dem Privatmann Trurl, der seine wohlverdienten Ferien genießen möchte. Sonnenbäder am Strand werde ich nehmen.“
„Treib mich nicht zum Äußersten!“
„Also dann bis nach den Ferien! Auf Wiedersehen, mein Wagen steht schon vor der Tür.“
Ohne an den digitalen noch ein einziges Wort zu verschwenden, näherte sieh der leibliche Trurl entschlossen der Rückwand des Computers und zog den Stecker aus der Wand. Augenblicklich verlor das durch die Ventilationsöffnungen sichtbare Gewirr der Glühfäden an Leuchtkraft, wurde zusehends matter und erlosch schließlich ganz. Trurl kam es so vor, als hörte er in weiter Ferne einen winzigen Chor, ein vielstimmiges Seufzen und Stöhnen — die Agonie sämtlicher digitaler Trurls in der digitalen Universität.
Erst die nun einsetzende Totenstille brachte ihm die Ungeheuerlichkeit dessen, was er soeben getan hatte, zu Bewußtsein und erfüllte ihn mit brennender Scham. Er griff nach dem Kabel, um es wieder in die Wand zu stecken, aber bei dem Gedanken an all die berechtigten Vorwürfe, die der Trurl aus dem Computer zweifellos erheben würde, verließ ihn jeglicher Mut, und seine Hand sank wie gelähmt herab. Er ließ alles stehen und liegen und stürzte in solcher Hast aus der Werkstatt, daß sein Aufbruch einer Flucht gleichkam. Draußen im Garten ließ er sich für einen Augenblick auf dem knorrigen Bänkchen gleich neben der blühenden Kyberberitzenhecke nieder, seinem Lieblingsplätzchen, das ihn in der Vergangenheit so oft zu fruchtbaren Gedanken inspiriert hatte. Heute jedoch konnte er selbst hier keine Ruhe finden. Die ganze Gegend war in das Licht des Mondes getaucht, den er einst zusammen mit Klapauzins zusammen am Firmament montiert hatte — gerade deswegen rief sein majestätischer Glanz wehmütige Erinnerungen wach, Erinnerungen an die Zeit seiner Jugend: Dieser silberne Satellit war ihre erste selbständige wissenschaftliche Arbeit, für die beide Freunde von ihrem Herrn und Meister, dem ehrwürdigen Cerebron, seinerzeit in einem feierlichen Festakt vor der ganzen Akademie ausgezeichnet worden waren. Als er an seinen weisen Erzieher dachte, der dieser Welt schon längst Lebewohl gesagt hatte, fühlte er sich von einem unklaren Impuls, den er vorerst nicht zu deuten wußte, vorwärtsgetrieben, öffnete die Gartenpforte und ging hinaus ins freie Feld. Die Nacht war wunderbar: Frösche, offensichtlich mit frischen Batterien bestückt, sagten unter einsehläferndem Gequake ihre Abzählreime auf, und auf dem silbrig glänzenden Wasser des Teiches, an dessen Ufer er einherging, zeigten sich leuchtende konzentrische Kreise, Spuren von Kyberkarpfen, die bis dicht unter die Wasseroberfläche schwammen und ihre dunklen Lippen wie zum Kuß öffneten. Trurl jedoch nahm von alledem nichts wahr, er war tief in Gedanken versunken, deren Sinn er nicht kannte, und dennoch schien seine Wanderung ein Ziel zu haben, denn er war keinesfalls überrascht, als ihm eine hohe Mauer den Weg versperrte. Bald stieß er auf ein schweres, schmiedeeisernes Tor, nur einen Fußbreit geöffnet, so duß er sich mühsam hindurchzwängen konnte. Im Innern war die Dunkelheit noch schwärzer als auf freiem Feld. Düstere Silhouetten ragten links und rechts des Weges empor — altertümliche Grabmäler, wie man sie schon seit Jahrhunderten nicht mehr baute. Hin und wieder löste sich ein Blatt aus der Höhe der umstehenden Bäume und streifte im Hinabfallen verwitterte Statuen oder grünspanüberzogene Zenotaphe. Eine Allee von Barockdenkmälern spiegelte nicht nur die Entwicklung der Friedhofsarchitektur wider, sondern auch die Etappen der physischen Umstrukturierung derer, die den ewigen Schlaf unter metallenen Grabplatten schliefen. Eine Epoche war zu Ende gegangen, mit ihr auch die Mode kreisförmiger Grabsteine, die bei Dunkelheit phosphoreszierten und an die Meßinstrumente eines Schaltpults erinnerten. Trurl setzte seinen Weg fort, vorbei an den gedrungenen Statuen der Homunculi und Golems; schon befand er sich in einem Neubauviertel dieser Stadt der Toten, sein Schritt jedoch wurde immer schleppender, immer zögernder setzte er einen Fuß vor den andern, denn der vage Impuls, der ihn hierher geführt hatte, war dabei, die Form eines konkreten Plans anzunehmen, eines Plans, den er kaum auszuführen wagte. Schließlich blieb er vor der Einfriedung eines Grabmals stehen, das durch die Strenge seiner geometrischen Formen Kälte und Nüchternheit ausstrahlte, besonders aber durch eine sechseckige Grabplatte die fugenlos in einen Sockel aus nichtrostendem Stahl eingepaßt war. Während er noch zögerte, glitt seine Hand bereits verstohlen in die Jackentasche, in der sein Universaldietrich steckte, ein Instrument, das er immer bei sich trug; er öffnete die Pforte und näherte sich mit klopfendem Herzen dem Grab. Mit beiden Händen umfaßte er das Täfelchen, auf dem in schwarzen, schmucklosen Lettern der Name seines Lehrmeisters stand, und brachte es mit einer geschickten Drehung in die erforderliche Position, so daß es geräuschlos wie der Deckel einer Schmuckkassette aufschnappte. Der Mond war hinter einer Wolke verschwunden, und es war jetzt so finster, daß er die Hand nicht vor Augen sehen konnte; im Dunkeln ertasteten seine Fingerspitzen etwas, das sich wie ein Sieb anfühlte und dicht daneben einen großen, flachen Knopf, der sich zunächst nicht in seine ringförmige Einfassung pressen ließ. Schließlich drückte er ihn mit voller Kraft nieder und erstarrte, zu Tode erschrocken über die eigene Kühnheit. Zu spät, schon begann es im Innern des Grabmals zu rumoren, Strom floß mit leisem Knistern durch sämtliche Leitungen, Relais nahmen unter gleichmäßigem Ticken ihre Arbeit auf, dann ertönte ein tiefes Brummen — und dumpfe Stille trat ein. Trurl vermutete einen feuchtigkeitsbedingten Kurzschluß in dem altersschwachen System und spürte Enttäuschung, aber auch ein wohliges Gefühl der Erleichterung in sich aufsteigen. Im gleichen Moment jedoch hörte er ein heiseres Krächzen, dann ein zweites, und schließlich ließ sich eine müde, greisenhaft zitternde — und dennoch so vertraute — Stimme hören:
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