„Komm doch mal“, sagte jemand hinter ihm. Er wandte sich um, konnte aber niemanden entdecken. Die Stimme ertönte ein zweites Mal, ganz dicht, höchstens drei Schritt entfernt.
„He, ist da jemand?“ rief Pirx. Die Wort hallten dumpf unter der schwarzen Heckkuppel, in die Dutzende von Ausstoßrohren mündeten. Stille Pirx ging zur anderen Seite und erblickte mehrere Männer. Sie standen in einer Reihe, ungefähr fünfzehn Meter entfernt, und waren damit beschäftigt, einen schweren Treibstoffschlauch über den Boden zu zerren. Außer ihnen rührte sich nichts, alles war öd und leer. Pirx sah ihnen eine Weile zu. Ihm war, als hörte er unklare, seltsam gestammelte Laute, diesmal schienen sie von oben an sein Ohr zu dringen. Sicherlich ein Schalleffekt, den die Ausstoßrohre erzeugen, dachte er. Sie konzentrieren alle Geräusche, sie wirken wie Reflektoren
Er wandte sich um, holte seinen Koffer, schleppte ihn zum Trap. In Gedanken vertieft, erklomm er die sechs Stockwerke hohe Leiter. Es war sonderbar, aber er hätte nicht sagen können, was ihm durch den Kopf ging. Als er oben stand, auf der Plattform mit dem Aluminiumgeländer, sah er sich nicht einmal Abschied nehmend um — s etwas kam ihm gar nicht in den Sinn. Bevor er die Klappe aufstieß, betastete er die Panzerung — sie fühlte sich an wie ein Reibeisen. Unwillkürlich mußte er an einen von Säure zerfressenen Felsen denken.
„Was hilft’s, ich hab’s ja so gewollt“, murmelte er. Die Klappe ließ sich schwer öffnen, ein Findling schien auf ihr zu lasten. Die Druckkammer mutete wie das Innere eines Fasses an. Pirx’ Finger glitten über die Rohre, wischten den Staub breit. Staub, Rost
Als er sich durch die Luke zwängte, stellte er fest, daß die Isolierung geflickt war. Senkrechte Schächte, von Nachtlampen erhellt, verliefen in beiden Richtungen. An ihren Enden schienen sie zu einem bläulichen Streifen zusammenzulaufen. Irgendwo rauschten Ventilatoren, eine unsichtbare Pumpe schnaufte. Pirx reckte sich, beim Anblick des ihn umgebenden Massivs der Decks und Panzer war ihm, als sei sein Körper gewachsen, als sei er selbst zum Riesen geworden. Neunzehntausend Tonnen — alle Wetter! dachte er beeindruckt.
Auf dem Weg zum Steuerraum begegnete er niemandem. Im Korridor war es totenstill, Pirx kam es vor, als fliege das Schiff bereits im Vakuum. Die Wände waren fleckig, die Leinen — sie dienten im Zustand der Schwerelosigkeit als Halt — hingen verrottet herab, und die Muffen der Rohrleitungen, dutzendemal geschweißt, glichen angekohlten Knollen, wie man sie aus einem Aschenhaufen herausklaubt. Pirx durchquerte einen Gang, dann einen zweiten, abfallenden, und erreichte schließlich einen sechseckigen Raum mit seitlich abgerundeten Metalltüren, die nicht mi Pneumatics versehen waren, sondern mit schnurumwundenen kupfernen Klinken.
Die kleinen Fenster der Numeratoren zeigten gläserne Augäpfel. Pirx drückte auf den Taster des Informators — ein Knacken im Übermittler, ein Rascheln in der Metallbuchse, aber das kleine Schild blieb dunkel.
Was tun? überlegte er. Beim Überwachungsdienst beschweren?
Er öffnete eine Tür. Der Steuerraum glich einem Thronsaal. Pirx sah sein Spiegelbild auf den Bildschirmen. In seinem Übergangsmantel und mit dem Koffer in der Hand erinnerte er an einen Spießer, der sich verlaufen hat. Sein Hut hatte im Regen völlig die Form verloren. Etwas erhöht standen die Pilotensitze, deren Ausmaße beeindruckend waren. Ihre Sitzflächen bewahrten noch den Abdruck menschlicher Körper.
Er setzte den Koffer ab, trat an den einen Sitz heran und erschrak vor seinem eigenen Schatten, als sei er dem Gespenst des letzten Steuermanns begegnet. Er schlug mit der Hand auf die Lehne. Staub wirbelte auf, stieg ihm in die Nase und zwang ihn zu niesen — einmal, zweimal. Er wurde wütend, mußte aber unvermittelt lachen. Der Pianobelag war schon morsch, und solche Kalkulatoren hatte er auch noch nicht gesehen. Ihr Projektant war wohl auf Orgeln spezialisiert, dachte er belustigt. An den Pulten gab es unzählige Meßuhren — hundert Augen hätte man haben müssen, um sie alle auf einmal zu überschauen.
Pirx wandte sich ab, sein prüfender Blick glitt von Wand zu Wand. Er sah das Gewirr der geflickten Kabel, die korrodierten Isolationsplatten, das verblichene Rot der Löschleitungen und die ausgeleierten Eisenkurbeln zum Herunterlassen der hermetischen Sperrplatten. Alles war alt an diesem Schiff, alt und verstaubt
Als er mit der Fußspitze gegen die Amortisatoren des Sitzes stieß, floß Öl aus der Hydraulik. Ach was! sagte er sich. Wenn andere geflogen sind, kann ich das auch Er verließ den Steuerraum, öffnete die gegenüberliegende Tür, betrat einen Seitengang und schritt weiter. Kurz hinter dem Fahrstuhlschacht entdeckte er eine dunkle Einbuchtung in der Wand. Er legte die Hand darauf und fand seine Vermutung bestätigt: eine Plombe! Weitere Spuren von Lecks sah er nicht, man hatte offenbar die gesamte Sektion erneuert, denn Decke und Wände waren makellos glatt. Sein Blick fiel erneut auf die Plombe. Der Zement war zu einem Klumpen erstarrt. Pirx glaubte den Abdruck von Händen zu erkennen, von Händen, die in fieberhafter Eile gearbeitet haben mußten Er stieg in den Aufzug und fuhr zur Atomsäule hinunter. An der Türscheibe glitten Leuchtziffern vorbei, sie zeigten die einzelnen Decks an: siebentes, sechstes, fünftes
Unten war es kühl. Der Korridor verlief im Bogen, vereinigte sich mit anderen zu einem langen, niedrigen Flur. Pirx sah an seinem Ende die Tür zur Atomsäulekammer. Je weiter er kam, desto niedriger wurden die Temperaturen, sein Atem dampfte weiß im Licht der verstaubten Lampen. Woher die Kälte? fragte er sich kopfschüttelnd. Die Kühlaggregate? Sie müssen hier irgendwo sein Er lauschte. Die Bleche der Verschalung vibrierten.
Pirx ging weiter, er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, immer tiefer ins Erdinnere hinabzusteigen. Es hallte dumpf, wenn er die Füße aufsetzte, der Schall brach sich an der niedrigen Decke. Endlich erreichte er die Tür, sie war hermetisch verschlossen, die Kurbel ließ sich nicht bewegen. Er versuchte es mit Gewalt, aber sie rührte sich nicht. Schon wollte er den Fuß dagegenstemmen, da fiel ihm ein, daß er erst das Sicherungsstäbchen herausziehen mußte.
Es folgte ein weiteres Hindernis, eine Art Flügeltür — stark wie die Wand eines Panzerschranks. In Augenhöhe waren die Reste von Buchstaben zu erkennen, der rote Lack war halb abgeblättert:
LEB G HR
Ein enger, finsterer Gang schloß sich an. Pirx setzte den Fuß auf die Schwelle — es klickte, grelles Licht blendete ihn, gleichzeitig flammte ein Warnschild auf mit einem drohenden Totenkopf. Die hatten aber Angst damals! dachte Pirx, als er die Stufen zur Kammer hinabstieg. Das Blech dröhnte dumpf unter seinen Absätzen. Unten war ihm, als stünde er auf dem Boden eines trockenen Burggrabens. Vor ihm erhob sich die graue Schutzwand des Reaktors, zwei Stockwerke hoch und gewölbt, wie die gezackte Wehr einer Festungsmauer. Die Schutzwand war mit gelben und grünlichen Flecken übersät, die wie Pockennarben anmuteten. Es waren Plomben — Spuren ehemaliger Strahlendurchschüsse. Er versuchte, sie zu zählen, aber als er die Plattform betrat und den Reaktor aus der Höhe betrachtete, gab er sein Vorhaben auf — vor lauter Plomben war stellenweise die Wand nicht mehr zu sehen.
Die Plattform ruhte auf kleinen Metallsäulen, sie war von der übrigen Kammer durch große Glasscheiben getrennt und wirkte wie ein durchsichtiger Würfel. Bleiglas, konstatierte Pirx. Es soll vor Strahlen schützen, dieses Überbleibsel atomarer Architektur Welch ein Unsinn
Unter einer kleinen Überdachung ragten Geigerzähler hervor, sie waren fächerartig angeordnet und auf den Bauch der Säule gerichtet. Pirx entdeckte in einer Nische mehrere Meßuhren. Die Zeiger standen auf null — mit einer Ausnahme. Die Atomsäule hatte Leerlauf.
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