Aber ich fürchte, das hat nichts genützt. Jeremiah ist eben ein Sportmodell und sehr heißblütig.
»Also, Mr. Gellhorn«, begann ich, »was wollen Sie alles wissen?«
Er blickte sich um.
»Sehr erstaunlich, Mr. Folker.«
»Nennen Sie mich bitte Jake. Das tut jeder hier.«
»Okay, Jake. Wie viele Autos haben Sie hier?«
»Einundfünfzig. Jedes Jahr bekommen wir ein oder zwei neue. In einem Jahr werden es sogar fünf. Bis jetzt haben wir noch keines verloren. Sie sind alle in bester Verfassung. Wir haben sogar ein 15er Mat-O-Mot-Modell, das immer noch läuft, eine der ersten Automatics.«
Guter, alter Matthew. Jetzt stand er fast den ganzen Tag in der Garage. Er war der Großvater aller Autos mit Elektronenmotor. In seiner Jugendzeit hatten nur blinde Kriegsveteranen, Gelähmte und Regierungsmitglieder Automatics gefahren. Aber Samson Harridge, mein damaliger Boß, war schon zu dieser Zeit reich genug gewesen, um sich eine Automatic zu leisten. Damals war ich sein Chauffeur gewesen.
Bei diesen Gedanken kam ich mir uralt vor. Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, wo es auf der ganzen Welt kein Auto gab, das Verstand genug hatte, seinen Weg allein zu finden. Ich hatte tote Maschinen gelenkt, die die ständige Kontrolle des Menschen brauchten. Jedes Jahr hatten solche Maschinen Zehntausende von Menschen getötet.
Die Automatics hatten das abgeschafft. Ein Elektronengehirn kann viel schneller reagieren als ein Menschenhirn. Keine Menschenhand muß mehr lenkend eingreifen. Man setzt sich hinein, stanzt den Bestimmungsort in die Lochkarte, steckt diese in einen Schlitz, und das Auto findet seinen Weg.
Heute erscheint uns das alles selbstverständlich, aber ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als die Gesetze die alten Maschinen auf die Straßen zwangen und nur eine begrenzte Anzahl von Automatics zuließen. Gott, was für ein Unsinn! Sie bekämpften die Automatics, nannten sie je nach Standort Ausgeburten des Kommunismus oder Faschismus. Aber als die Straßen leerer wurden und es immer weniger tödliche Autounfälle gab, setzten sich die Automatics schließlich durch.
Natürlich, die Automatics waren hundertmal so teuer wie die alten, handgelenkten Autos, und nur wenige Leute konnten sich ein solches Privatfahrzeug leisten. Die Industrie spezialisierte sich auf Omnibus-Automatics. Man konnte eine Firma anrufen, und innerhalb weniger Minuten stand ein solcher Omnibus vor der Tür und brachte einen, wohin man wollte. Man mußte den Platz natürlich mit anderen Fahrgästen teilen, die zufällig denselben Weg hatten, aber was machte das schon aus?
Aber Samson Harridge hatte ein Privatauto, und ich ging zu ihm, als es vom Werk geliefert wurde. Damals hieß das Auto noch nicht Matthew. Ich wußte noch nicht, daß es einmal der Doyen der Farm werden sollte. Ich wußte nur, daß es mir meinen Job wegnahm, und ich haßte es.
»Sie werden mich jetzt wohl nicht mehr brauchen, Mr. Harridge«, sagte ich.
»Was reden Sie denn da, Jake? Sie glauben doch nicht etwa, daß ich mich so einem Apparat anvertraue! Sie bleiben da und lenken das Ding.«
»Aber es fährt doch von allein, Mr. Harridge. Es kann die Straße überblicken, Menschen, Hindernissen und anderen Autos ausweichen, und es weiß immer ganz genau, wohin es fahren soll.«
»Das behauptet man, ich weiß es. Trotzdem, Sie sitzen hinter dem Lenkrad. Für den Fall, daß etwas schiefgeht.«
Komisch, wie man so ein Auto allmählich liebgewinnt. Bald nannte ich es »Matthew« und verbrachte viel Zeit damit, es zu polieren und zu pflegen. Das Elektronengehirn einer Automatic kann nur dann fehlerfrei arbeiten, wenn das Fahrgestell in bester Ordnung und der Tank stets gut gefüllt ist. Nach einer Weile konnte ich schon am Klang des Motors hören, wie Matthew sich fühlte.
Langsam wuchs auch Harridges Zuneigung zu Matthew. Er hatte sonst niemanden, den er gernhaben konnte. Er hatte drei Ehefrauen überlebt oder sich von ihnen scheiden lassen. Ebenso hatte er fünf Kinder und drei Enkel überlebt. So überraschte es mich also nicht sonderlich, daß er kurz vor seinem Tod seinen Landsitz in eine Farm für ausgediente Autos verwandelte. Ich avancierte zum Leiter dieser Farm, und Matthew war der erste der vornehmen Bewohner.
Ich weihte mein Leben der Farm. Ich heiratete nie. Man kann nicht verheiratet sein und gleichzeitig den Automatics die Pflege zukommen lassen, die sie brauchen.
Die Zeitungsreporter hielten mich für verrückt, aber mit der Zeit hörten sie auf, sich über mich lustig zu machen. Vielleicht konnten Sie sich bisher noch keine Automatics leisten, und vielleicht werden Sie auch niemals in der Lage dazu sein, aber glauben Sie mir: An meiner Stelle hätten Sie diese Geschöpfe auch liebgewonnen. Sie sind so zutraulich und herzlich. Nur ein Mann ohne Herz und Gefühl kann sie mißhandeln oder zusehen, wie sie mißhandelt werden.
Nach einiger Zeit wurde es Brauch, daß jeder Besitzer einer Automatic sich rechtzeitig um einen Platz auf der Farm kümmerte, wo sein Liebling seine alten Tage fristen konnte. Natürlich nur, wenn er keine Erben hatte, die die Automatic in sorgsame Obhut nehmen würden.
Das alles erklärte ich Gellhorn.
»Einundfünfzig Autos!« sagte er. »Das stellt einen ganz schönen Wert dar.«
»Mindestens fünfzigtausend für jedes Auto. Das ist aber nur der Kaufpreis. Heute sind sie noch viel wertvoller. Ich habe viel für sie getan.«
»Es muß viel Geld kosten, die Farm zu erhalten.«
»Da haben Sie recht. Die Farm ist eine gemeinnützige Organisation. Deshalb müssen wir keine Steuer zahlen. Und mit jedem Neuling kommt eine ganz schöne Stange Geld herein. Aber trotzdem steigen die Kosten ständig. Ich muß die Landschaft instand halten, den Asphalt ständig erneuern und die alten Autos reparieren. Dazu kommen Benzin, Öl und Ersatzteile. Das summiert sich.«
»Und Sie haben eine Menge Zeit dafür geopfert.«
»Sicher, Mr. Gellhorn. Dreiunddreißig Jahre.«
»Sie haben aber keinen großen Gewinn dabei gehabt.«
»Keinen Gewinn? Sie überraschen mich, Mr. Gellhorn. Ich habe Sally und fünfzig andere. Sehen Sie sie doch an!«
Ich mußte grinsen. Ich konnte nicht anders. Sally war immer so reinlich. Wenn irgendein Insekt gegen ihre Windschutzscheibe geschlagen war oder irgendwo ein winziger Staubfleck zu sehen war, so machte sie sich schon an die Arbeit. Und so schoß auch jetzt eine kleine Röhre aus ihr und spritzte Tergosol über die Glasscheibe. Rasch verteilte sich die Flüssigkeit über den Silikon-Film, die Scheibenwischer fuhren blitzschnell hin und her und trieben die Flüssigkeit in den kleinen Kanal, der sie zum Boden leitete. Kein einziger Wassertropfen zeigte sich auf Sallys spiegelglatter, apfelgrüner Motorhaube. Röhre und Scheibenwischer verschwanden.
»Ich habe noch nie gesehen, daß eine Automatic so etwas kann«, sagte Gellhorn.
»Das glaube ich. Ich habe das speziell für unsere Autos entwickelt. Sie sind sehr auf Sauberkeit bedacht. Ständig schrubben sie an ihrem Glas herum. Für Sally habe ich sogar Düsen zum Einwachsen entwickelt. Sie poliert sich selbst jeden Abend, bis Sie ihren Lack als Rasierspiegel benutzen können. Wenn ich genug Geld zusammengekratzt habe, werde ich das bei den anderen Mädchen auch einbauen. Kabrioletts sind sehr eitel.«
»Ich kann Ihnen sagen, wie sie das Geld zusammenkriegen können. Falls es Sie interessiert.«
»So etwas interessiert mich immer. Wie?«
»Merken Sie das denn nicht selbst, Jake? Jedes Ihrer Autos ist mindestens fünfzigtausend wert, haben Sie gesagt. Ich wette, daß Sie für die meisten sogar sechzigtausend bekommen.«
»So?«
»Haben Sie nie daran gedacht, ein paar zu verkaufen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie werden es nicht verstehen, Mr. Gellhorn, aber ich kann keines meiner Autos verkaufen. Sie gehören der Farm, nicht mir.«
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