Ihre Vermählungsbräuche sind wie folgt: Einer von ihnen ersucht um die Hand eines weiblichen Mitglieds einer anderen Familie gegen diesen oder jenen Brautpreis. Der Brautpreis besteht oftmals aus Kamelen, Packtieren und anderen Dingen. Niemand kann sich ein Weib nehmen, bevor er die Verpflichtungen erfüllt, über welche er mit den Männern der Familie Einverständnis erlangt hat. Hat er ihnen indes entsprochen, so kommt er bar jedes Aufhebens, betritt die Behausung, wo sie sich befindet, nimmt sie in Gegenwart ihres Vaters, der Mutter und der Brüder, und sie hindern ihn nicht daran.
Wenn ein Mann stirbt, welcher Weib und Kinder besitzt, so nimmt sie der älteste unter seinen Söhnen zum Weibe, so sie nicht seine Mutter ist.
Wird einer der Türken siech und besitzt Sklaven, so sehen sie nach ihm, und niemand aus seiner Familie kommt ihm nahe. Ein Zelt wird fernab der Häuser für ihn aufgeschlagen, und er verläßt es nicht eher, als daß er stirbt oder gesundet. Ist er indes ein Sklave oder ein Armer, so lassen sie ihn in der Wüste und ziehen ihres Weges. Wenn einer ihrer bedeutenden Männer stirbt, so graben sie für ihn eine große Grube in Gestalt eines Hauses, und sie gehen zu ihm, kleiden ihn in einen Qurtag mitsamt seinem Gurt und Bogen und geben einen Trinkbecher aus Holz mit einem berauschenden Tranke in seine Hand. Sie nehmen all seine Besitztümer und stellen sie in dieses Haus. Darauf bringen sie ihn ebenso in dieses hinab. Darauf errichten sie ein weiteres Haus über ihm und formen eine Art Kuppel aus Lehm.
Darauf töten sie seine Pferde. Sie töten ein- oder zweihundert, so viele, wie er besitzt, an der Stätte des Grabes. Darauf verzehren sie das Fleisch bis auf den Kopf, die Hufe, das Fell und den Schwanz, denn diese hängen sie an hölzernen Stangen auf und sagen: »Dies sind seine Rösser, auf welchen er ins Paradies reitet.« Ist er ein Held gewesen und hat Feinde erschlagen, so schnitzen sie hölzerne Statuen von der Anzahl jener, welche er erschlagen, stellen sie auf sein Grab und sagen: »Dies sind seine Pagen, welche ihn im Paradies bedienen.« Mitunter schieben sie das Töten der Pferde um einen Tag oder zwei auf, und dann spornt ein alter Mann unter ihren Älteren sie an, indem er sagt: »Ich habe den Toten im Schlafe gesehen, und er sagte zu mir: >Hier sehet Ihr mich denn. Meine Gefährten haben mich überholt, und meine Füße waren zu schwach, ihnen zu folgen. Ich kann sie nicht ereilen, und so bin ich allein geblieben.<���« In diesem Falle schlachten die Menschen seine Rösser und hängen sie an seinem Grabe auf. Nach einem Tag oder zweien kommt der nämliche Alte zu ihnen und sagt: »Ich habe den Toten in einem Traum gesehen, und er sagte: >Bestell meiner Familie, daß ich mein Leid überwunden habe.<���« Auf diese Weise bewahrt der alte Mann die Sitten der Oguz, da sich ansonsten für die Lebenden ein Begehren einstellen könnte, die Pferde des Toten zu behalten. (Farzan, ein unverhohlener Bewunderer von Ibn Fadlan, glaubt, dieser Absatz verrate »die Sensibilität eines modernen Anthropologen, da er nicht nur das Brauchtum eines Volkes festhält, sondern auch den Mechanismus, der dazu dient, dieses Brauchtum durchzusetzen. Von der ökonomischen Bedeutung her entspricht das Töten der Pferde eines Nomadenführers ungefähr unseren modernen Erbschaftssteuern; das heißt, es dient dazu, die Anhäufung von ererbtem Wohlstand in einer Familie zu verhindern. Obgleich aus religiösen Gründen geboten, konnte dieser Brauch nicht beliebter gewesen sein, als er es zum heutigen Tage ist. Äußerst scharfsinnig zeigt Ibn Fadlan, wie er den Unwilligen auferlegt wurde.« Endlich reisten wir weiter in dem türkischen Königreich. Eines Morgens begegnete uns einer der Türken. Er war von häßlicher
Gestalt, schmutzigem Auftreten, widerwärtigen Manieren und niedrigem Wesen. Er sagte: »Halt.« Die ganze Karawane hielt aus Gehorsam zu seinem Befehl an. Dann sagte er: »Nicht einer von euch darf weiterziehen.« Wir sagten zu ihm: »Wir sind Freunde des Kudarkin.« Er brach in Gelächter aus und sagte: »Wer ist der Kudarkin? Ich entleere mich auf seinen Bart.« Ob dieser Worte wußte niemand unter uns, was zu tun war, doch darauf sagte der Türke: Bekend; das heißt »Brot« in der Sprache der Chwarezm. Ich gab ihm ein paar Laibe Brot. Er nahm sie und sagte: »Ihr dürft weiter. Ich habe Mitleid mit euch.«
Wir kamen in das Gebiet des Heeresbefehlshabers, dessen Name Etrek ibn-al-Qatagan lautete. Er schlug türkische Zelte für uns auf und hieß uns darin bleiben. Er selbst hatte einen großen Haushalt, Sklaven und geräumige Unterkünfte, Er trieb Schafe für uns zusammen, auf daß wir sie schlachten möchten, und stellte Pferde zum Reiten zu unserer Verfügung. Die Türken bezeichneten ihn als ihren besten Reiter, und wahrhaftig sah ich eines Tages, als er mit uns dahinjagte und eine Gans über uns hinwegflog, wie er seinen Bogen spannte und dann, derweil er sein Pferd darunter lenkte, auf die Gans schoß und sie herabholte. Ich beschenkte ihn mit einem Gewand aus Merv, einem Paar Stiefel aus rotem Leder, einem Mantel aus Brokat und fünf Mänteln aus Seide. Er nahm dies mit glühenden Lobesworten entgegen. Er legte den Brokatmantel ab, welchen er trug, um die Ehrengewänder überzuziehen, welche ich ihm just gegeben. Darauf sah ich, daß der Qurtag, welchen er darunter trug, ausgefranst und sudelig war, doch ist es Brauch bei ihnen, daß niemand das Gewand, welches er trägt, ablegen soll, bevor es zerfällt. Wahrlich, er zupfte überdies seinen gesamten Bart und selbst seinen Schnurrbart, so daß er aussah wie ein Eunuch. Und doch war er, wie ich beobachtet hatte, ihr bester Reiter. Ich glaubte, daß diese edlen Geschenke uns seine Freundschaft gewinnen würden, doch sollte dies nicht so sein. Er war ein verschlagener Mann.
Eines Tages schickte er nach den Anführern in seiner Nähe; das heißt nach Tarhan, Yanal und Glyz. Tarhan war der einflußreichste unter ihnen; er war verkrüppelt und blind und hatte eine verstümmelte Hand. Dann sagte er zu ihnen: »Dies sind die Boten des Königs der Araber an den Häuptling der Bulgaren, und ich möchte sie nicht Weiterreisen lassen, ohne euch zu Rate zu ziehen.« Darauf sprach Tarhan: »Dies ist eine Angelegenheit, wie wir noch keine gesehen haben. Niemals ist der Gesandte des Sultans durch unsere Lande gereist, seit wir und unsere Ahnen hier leben. Ich habe das Gefühl, daß der Sultan uns eine List zufügt. Diese Männer sendet er in Wirklichkeit zu den Hazar, um sie gegen uns aufzuwiegeln. Am besten hauen wir diese Gesandten entzwei und nehmen alles, was sie besitzen.«
Ein weiteres Ratsmitglied sagte: »Nein, wir sollten eher nehmen, was sie besitzen, und sie nackt zurücklassen, auf daß sie dorthin zurückkehren, woher sie kamen.« Und ein weiterer sagte: »Nein, wir haben Gefangene beim König der Hazar, daher sollten wir diese Männer hinschicken, sie auszulösen.« Sieben Tage lang besprachen sie diese Angelegenheit untereinander, derweil wir uns in einer Lage ähnlich dem Tode befanden, bis sie übereinkamen, den Weg freizugeben und uns weiterziehen zu lassen. Wir schenkten Tarhan zwei Kaftane aus Merv als Ehrengewand und überdies Pfeffer, Hirse und einige Laibe Brot. Und wir reisten weiter, bis wir zum Flusse Bagindi kamen. Dort nahmen wir unsere Lederboote, welche aus Kamelhäuten gefertigt waren, breiteten sie aus und luden die Güter von den türkischen Kamelen ein. Als ein jegliches Boot voll war, setzten sich Gruppen zu fünf, sechs oder vier Männern in sie. Sie nahmen Zweige aus Birkenholz in die Hand und benutzten sie als Ruder und paddelten fortwährend, derweil das Wasser das Boot hinabtrug und herumwirbelte. Schließlich gelangten wir hinüber. Was die Pferde und Kamele betraf, so gelangten diese schwimmend hinüber.
Beim Überqueren eines Flusses ist es unbedingt notwendig, daß zuvorderst eine Gruppe Krieger mit Waffen vor einem jeglichen aus der Karawane hinüberbefördert werden sollte, auf daß eine Vorhut gebildet werden kann, die Angriffe durch Baskiren zu verhindern, derweil die Hauptmacht den Fluß überquert.
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