Nun geschah es, daß ich eines Nachts, derweil wir speisten, über meiner Speise sagte: »Im Namen Gottes«, und Buliwyf von Herger zu wissen begehrte, was ich gesagt. Ich teilte Herger mit, daß ich glaubte, eine Speise müsse geweiht werden, und gemäß meinem Glauben verfuhr. Buliwyf sagte zu mir: »Ist dies die Sitte der Araber?« Herger war der Übersetzer. Ich brachte diese Erwiderung vor: »Nein, denn in Wahrheit muß der, welcher die Speise tötet, die Weihe vornehmen. Ich spreche diese Worte, auf daß ich nicht nachlässig bin.« (Dies ist ein typisch moslemisches Empfinden. Anders als im Christentum, einer Religion, welcher er in vielen Aspekten ähnelt, glaubt man im Islam nicht ausdrücklich an die vom Sündenfall des Menschen herrührende Erbsünde. Für einen Moslem bedeutet Sünde Nachlässigkeit in der Ausführung der täglich vorgeschriebenen religiösen Rituale. Infolgedessen ist es ein ernsthafterer Verstoß, das tägliche Ritual völlig zu vergessen, als wenn man zwar an das Ritual denkt, es aber aufgrund gegebener Umstände oder persönlicher Einschränkungen nicht ausführen kann. Daher will Ibn Fadlan letztlich ausdrücken, daß er den vorgeschriebenen Vollzug durchaus beachtet, auch wenn er sich nicht dementsprechend verhält; dies sei besser als nichts.)
Dies befanden die Nordmänner als einen Grund zur Belustigung. Sie lachten aus vollem Herzen. Darauf sagte Buliwyf zu mir: »Könnt Ihr Töne zeichnen?« Ich verstand nicht, was er meinte, und erkundigte mich bei Herger, und es gab manches Gerede hin und her, und schließlich verstand ich, daß er schreiben meinte. Die Nordmänner nennen die Sprache der Araber Geräusch oder Ton. Ich erwiderte dem Buliwyf, daß ich schreiben könne und lesen ebenso.
Er sagte, daß ich für ihn auf die Erde schreiben solle. Im Lichte des abendlichen Feuers ergriff ich einen Stock und schrieb: »Gepriesen sei Gott.« Sämtliche Nordmänner blickten auf das Geschriebene. Man befahl mir auszusprechen, was da stand, und dies tat ich. Nun starrte Buliwyf eine lange Zeit auf das Geschriebene, und er hatte das Haupt auf die Brust gesenkt. Herger sagte zu mir: »Welchen Gott preist Ihr?« Ich antwortete, daß ich den einen Gott preise, dessen Name Allah sei.
Herger sagte: »Ein Gott kann nicht genügen.« Nun reisten wir einen weiteren Tag und ließen eine weitere Nacht verstreichen und darauf einen weiteren Tag. Und am folgenden Abend ergriff Buliwyf einen Stock und zeichnete auf die Erde, was ich zuvor gezeichnet hatte, und befahl mir vorzulesen. Laut sprach ich die Worte aus: »Gepriesen sei Gott.« Darob war Buliwyf zufrieden, und ich erkannte, daß er mich einer Prüfung unterzogen hatte, indem er sich die Zeichen ins Gedächtnis eingeprägt hatte, um sie mir erneut vorzuzeigen. Nun sprach Ecthgow, der Stellvertreter oder Hauptmann des Buliwyf und ein weniger heiterer Krieger denn die anderen, ein gestrenger Mann, zu mir mittels des Dolmetschers Herger. Herger sagte: »Ecthgow begehrt zu wissen, ob Ihr den Ton seines Namens zeichnen könnt.« Ich sagte, dies könne ich, und ich ergriff einen Stock und hob an, auf der Erde zu zeichnen. Mit einem Male sprang Ecthgow auf, schleuderte den Stock fort und stampfte mein Schriftwerk aus. Er sprach wütende Worte. Herger sagte zur mir: »Ecthgow wünscht nicht, daß Ihr jemals seinen Namen zeichnet, und dies müßt Ihr geloben.« Hierauf war ich verblüfft, und ich erkannte, daß Ecthgow bis zum äußersten wütend auf mich war. Und desgleichen starrten mich die anderen mit Betroffenheit und Zorn an. Ich gelobte Herger, daß ich den Namen des Ecthgow nicht zeichnen würde, noch den eines der anderen. Darob waren sie alle erleichtert. Danach ward nicht länger über mein Schreiben gesprochen, doch Buliwyf erteilte gewisse Anweisungen, und wann immer es regnete, ward ich stets zum größten Baume gewiesen, und ich erhielt mehr Speise denn zuvor. Nicht immer schliefen wir in den Wäldern, noch ritten wir immer durch die Wälder. Am Rande eines Waldes pflegten Buliwyf und seine Krieger vorauszupreschen und im Galopp durch die dichten Bäume zu reiten, ohne Obacht oder einen Gedanken an Furcht. Und in anderen Wäldern hielt er an und verharrte, und die Krieger saßen ab und entfachten ein Feuer und boten Speise dar oder ein paar Laibe harten Brotes oder einen Fetzen Tuches, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Und darauf ritten sie am Rande des Waldes entlang und drangen niemals in seine Tiefen vor. Ich erkundigte mich bei Herger, warum dies geschah. Er sagte, daß manche Wälder sicher seien und manche nicht, doch erklärte er sich nicht weiter. Ich fragte ihn: »Was ist in den dergestalt eingeschätzten Wäldern nicht sicher?« Er brachte diese Erwiderung vor: »Es gibt Dinge, die kein Mensch besiegen kann und kein Schwert töten und kein Feuer verbrennen, und solche Dinge sind in den Wäldern.« Ich sagte: »Wie kann man darum wissen?« Darauf lachte er und sagte: »Ihr Araber wünscht stets einen Grund für alles zu haben. Eure Herzen sind große, überquellende Beutel aus Gründen.« Ich sagte: »Und Ihr kümmert Euch nicht um Gründe?« »Es verhilft einem zu nichts. Wir sagen: Ein Mann sollte halbwegs weise sein, doch nicht mehr, auf daß er sein Schicksal nicht im voraus kennt. Der Mann, dessen Sinnen bar jeglicher Sorge ist, kennt sein Schicksal nicht im voraus.«
Nun erkannte ich, daß ich mich mit dieser Antwort bescheiden mußte. Denn es traf zu, daß ich bei der einen oder anderen Gelegenheit dergestalt Wissen zu erheischen suchte und Herger zu erwidern pflegte, und so ich seine Antwort nicht verstand, fragte ich weiter, und er antwortete. Doch wenn ich erneut von ihm eine Antwort begehrte, so erwiderte er in aller Kürze, als ob die Frage ohne Gewicht wäre. Und darauf ward ich von ihm mit nichts weiterem bedacht denn mit einem Schütteln des Hauptes. Nun reisten wir weiter. Wahrlich, ich kann sagen, daß manche der Wälder im wilden Nordlande ein Gefühl der Furcht hervorrufen, welches ich nicht zu erklären vermag. Des Nachts saßen die Nordmänner um das Feuer und erzählten Geschichten von Drachen und grimmigen Bestien und ebenso von ihren Ahnen, welche diese Wesen erschlagen hätten.
Diese, so sagten sie, seien der Quell meiner Furcht. Doch sie erzählten die Geschichten bar eines Zeichens von Furcht, und von solchen Bestien sah ich nichts mit eigenen Augen. Eines Nachts vernahm ich ein Grollen, welches ich für Donner hinnahm, doch sie sagten, es sei das Knurren eines Drachens in dem Walde. Ich weiß nicht, was die Wahrheit ist, und berichte nur, was man mir gesagt. Die Nordlande sind kalt und feucht, und die Sonne ist selten zu sehen, denn der Himmel ist den ganzen Tag grau vor dichten Wolken. Die Menschen dieses Gebietes sind bleich wie Linnen, und ihr Haar ist sehr hell. Nach so vielen Tagen des Reisens sah ich keinerlei dunkle Menschen, und aufgrund meiner Haut und des dunklen Haares ward ich von den Bewohnern dieses Gebietes in der Tat bestaunt. Oftmals traten ein Landmann oder sein Weib oder seine Tochter vor, mich zu berühren mit streichelnder Geste; Herger lachte und sagte, sie suchten die Farbe fortzuwischen, mit welcher sie mein Fleisch bemalt wähnten. Sie sind unwissende Menschen bar jeder Kenntnis um die Weite der Welt. Oftmals fürchteten sie mich und wollten mir nicht nahe treten. An einem Orte - ich weiß den Namen nicht - schrie ein Kind vor Schrecken auf und rannte, sich an seine Mutter zu klammern, als es mich sah.
Darob lachten die Krieger des Buliwyf mit großer Belustigung. Doch nun beobachtete ich dies: Im Verlaufe der Tage ließen die Krieger des Buliwyf vom Lachen ab und verfielen jeden Tag mehr in eine üble Laune. Herger sagte zu mir, daß sie ans Trinken dachten, welches sie seit vielen Tagen entbehrten. Bei jeglichem Gehöft oder jeglicher Behausung baten Buliwyf und seine Krieger um einen Trank, doch gab es an diesen armseligen Orten oftmals kein geistiges Getränk, und sie waren bitterlich enttäuscht, bis am Ende keine Spur Frohsinn mehr an ihnen war.
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