Schlußfolgerung: Keine der in diesen Proben festgestellten Gasarten, gallertartigen Staubsuspensionen, Bakterien- und Virusformen ist für eine der sauerstoffatmenden Lebensformen gefährlich.“ Ohne es zu merken, hatte Conway den Atem angehalten. Als er ihn nun mit einem kurzen, schweren Seufzer der Enttäuschung wieder ausstieß, beschlüg kurz das Visier seines Helms. Nichts. Der Analysator konnte nichts Gefährliches auf der Station entdecken!
„Ich warte, Doktor“, sagte O'Mara.
Conway blickte sich langsam auf der Station um. Er betrachtete den immer noch künstlich beatmeten Thornnastor, die kelgianische Operationsschwester und den mit ausgebreiteten Armen und Beinen daliegenden Melfaner, den stillen Gilvesh und den leise in einer Ecke des Raums zischenden TLTU, die völlig überfüllte Drucktragbahre und die unter Atemmasken steckenden Wesen mehrerer verschiedener Klassifikationen — sie alle sahen ihn an.
Irgend etwas befindet sich hier auf der Station, dachte er verzweifelt. Irgend etwas, das sich in den Proben nicht nachweisen läßt oder vom Analysator jedenfalls als ungefährlich eingestuft wird. Ein Stoff, der auch an Bord der Rhabwar ungefährlich gewesen ist…
Laut sagte er: „Auf dem Rückflug zum Hospital haben wir ohne jeglichen Körperschutz mehrere DBPK-Leichen untersucht und seziert und eine gründliche Untersuchung und Vorbehandlung der Patientin durchgeführt, all das hatte keinerlei negative Folgen. Natürlich ist es möglich, daß die terrestrischen und extraterrestrischen Wesen an Bord der Rhabwar eine natürliche Immunität besessen haben, aber so eine Deutung strapaziert meiner Meinung nach die Zufallswahrscheinlichkeit doch um einiges über die zulässigen Grenzen hinaus. Erst nach dem Transport der Überlebenden ins Orbit Hospital ist ein Schütz erforderlich geworden, weil Vertreter von vier verschiedenen physiologischen Typen einfach auf der Stelle zusammengebrochen sind. Wir müssen uns also fragen, wodurch sich die Umstände an Bord des Ambulanzschiffs und im Hospital unterscheiden oder unterschieden haben.
Wir sollten uns ebenfalls die Frage stellen, die schon Pathologin Murchison nach Beendigung ihrer ersten DBPK-Sezierung aufgeworfen hat“, fuhr Conway fort, „nämlich wie es angehen kann, daß eine solch schwache, scheue und offensichtlich unaggressive Lebensform wie diese die oberste Stufe der Evolutionsleiter ihres Heimatplaneten erklimmen konnte und dort lange genug geblieben ist, um sich zu einer Zivilisation zu entwickeln, die zu interstellaren Raumreisen befähigt ist. Die DBPKs sind Vegetarier. Sie besitzen nicht einmal Fingernägel, die ja der evolutionäre Überrest von Krallen sind, und scheinen keinerlei natürliche Verteidigungswaffen zu besitzen.“
„Und wie sieht es mit verborgenen natürlichen Verteidigungswaffen aus?“ fragte O'Mara. Conway wollte dem Major gerade eine Antwort darauf geben, aber Murchison kam ihm zuvor.
„Dafür gibt es keinerlei Anzeichen, Sir“, erklärte sie. „Besondere Aufmerksamkeit hab ich dem nackten bräunlichen Hautfleck am Ende des Rückgrats gewidmet, da dies das einzige unverständliche physiologische Merkmal des Wesens ist. Sowohl die männlichen als auch die weiblichen Leichname besitzen dieses Merkmal. Dabei handelt es sich um kleine Beulen oder Schwellungen von zehn bis dreizehn Zentimetern Durchmesser, die aus trockenem, porösem Gewebe bestehen. Sie sondern keinerlei Flüssigkeit ab und erwecken den Eindruck einer inaktiven oder verkümmerten Drüse oder eines Organs. Bei den Erwachsenen sind diese pigmentartigen Flecken von einer einheitlichen blaßbraunen Farbe. Die Überlebende hingegen, bei der es sich, soweit wir das beurteilen können, um ein Mädchen in der Pubertät oder Vorpubertät handelt, hat eine blaßrosa Stelle, die in dem Braun der Flecken der Erwachsenen gefärbt worden ist.“
„Haben Sie die Farbe analysiert?“ fragte O'Mara.
„Ja, Sir“, antwortete Murchison. „Ein Teil der Farbe wies bereits Risse auf und war abgeblättert, wahrscheinlich ist das passiert, als die DBPK die Verletzungen erlitten hat. Den Rest haben wir bei der präoperativen Säuberung vor dem Transport der Patientin ins Hospital entfernt. Die Farbe war organisch inaktiv und chemisch ungiftig. Unter Berücksichtigung des Alters der Patientin bin ich von einer zu kosmetischen Zwecken aufgetragenen Schmuckfarbe ausgegangen. Die junge DBPK hat wahrscheinlich versucht, älter zu wirken, als sie tatsächlich war.“
„Das scheint eine berechtigte Annahme zu sein“, entgegnete O'Mara. „Wir haben es also mit einem Wesen zu tun, das zwar natürliche Eitelkeit, aber keine natürlichen Waffen besitzt.“
Farbe… schoß es Conway plötzlich durch den Kopf. Im hintersten Winkel seines Gehirns regte sich zwar eine Idee, aber er konnte ihr noch keine konkrete Form geben. Es hatte irgend etwas mit Farbe oder vielleicht mit den verschiedenen Verwendungsarten von Farbe zu tun. Schmuck, Isolierung, Schütz, Warnung. Das mußte es sein! Das Auftragen von organisch inaktiver, ungiftiger und ungefährlicher Farbe.
Er begab sich rasch zum Instrumentenschrank und nahm eine der Sprühdosen heraus, mit denen sich eine ganze Anzahl von ETs eine Schützschicht auf die Greiforgane auftrug, anstatt Operationshandschuhe anzuziehen. Conway probierte die Dose kurz aus, weil der Sprühkopf eigentlich nicht für die Finger eines DBDGs vorgesehen war. Als er sich sicher war, mit der Dose punktgenau sprühen zu können, ging er zu der Patientin hinüber, die in ihrem weichen Pelz schutzlos dalag.
„Was, zum Teufel, machen Sie da, Conway?“ fragte O'Mara.
„Unter diesen Umständen dürfte dem Patienten die Farbe der Schützschicht ziemlich egal sein“, sagte Conway, der lediglich laut dachte und im Moment vom Chefpsychologen überhaupt keine Notiz nahm. „Prilicla, kommen Sie doch bitte mal näher an die Patientin heran“, führ er fort. „Die emotionale Ausstrahlung der DBPK wird sich in den nächsten paar Minuten merklich verändern, das spüre ich ganz deutlich.“
„Ich bin mir Ihrer Gefühle durchaus bewußt, mein Freund“, antwortete Prilicla.
Conway lachte nervös und entgegnete: „In dem Fall, mein Freund, spüre ich ziemlich deutlich, daß ich die Lösung gefunden habe. Aber wie sieht es denn mit den Emotionen der Patientin aus?“
„Die sind unverändert, mein Freund“, antwortete der Empath. „Die Patientin empfindet eine allgemeine Besorgnis. Das gleiche Gefühl hatte ich schon nach ihrem Erwachen aus der Bewußtlosigkeit und der Überwindung der anfänglichen Angst und Verwirrung festgestellt. Im Moment strahlt die DBPK Besorgnis, Traurigkeit, Hilflosigkeit und. und Schuldgefühle aus. Vielleicht denkt sie an ihre toten Freunde.“
„Sie denkt an ihre Freunde, ja“, entgegnete Conway, drückte auf den Kopf der Dose und besprühte die kahle Stelle über dem Schwanz der Patientin mit der knallroten, chemisch inaktiven Schutzfarbe. „Aber sie denkt dabei an ihre Freunde, die leben.“
Die Farbe trocknete schnell und wurde zu einem stabilen, biegsamen Schutzfilm. Nachdem Conway noch eine zweite Schicht aufgesprüht hatte, zog die Patientin den Kopf unter dem Schwanz hervor und betrachtete den frisch versiegelten Fleck nackter Haut. Dann wandte sie das Gesicht Conway zu und musterte ihn fest mit ihren großen, sanften Augen. Conway unterdrückte den unwiderstehlichen Drang, ihr den Kopf zu streicheln.
Prilicla trillerte aufgeregt — diesen Laut konnte der Translator natürlich nicht übersetzen — und sagte dann: „Die emotionale Ausstrahlung der Patientin hat sich deutlich verändert, mein Freund. Statt tiefer Besorgnis und Traurigkeit empfindet sie jetzt hauptsächlich riesige Erleichterung.“
Genau dasselbe Gefühl herrscht bei mir im Moment auch vor, dachte Conway bewegt. „Tja, das war's dann wohl“, sagte er laut. „Die Gefahr einer Verseuchung ist gebannt.“
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