Conway gab keine Antwort. Denn hätte der Diagnostiker die Trage verlassen, würde er genauso wie die anderen Insassen der Stationsluft und den darin enthaltenen, wie auch immer gearteten Viren oder Bakterien ausgesetzt sein. Das war beiden klar. Also entfernte Conway am Hals der kelgianischen Schwester ein kleines Stück Fell, und Golvesh desinfizierte die Stelle.
„Versuchen Sie, so wenig wie möglich Fell abzurasieren, Doktor“, bat der kelgianische Diagnostiker, der sich als Towan vorgestellt hatte. „Das wächst nämlich bei Erwachsenen nicht mehr nach, und der Fellzustand ist für Kelgianer von größter psychologischer Bedeutung, ganz besonders bei der zur Paarung unternommenen Annäherung ans andere Geschlecht.“
„Das weiß ich doch alles“, entgegnete Conway ungeduldig.
Bei der Operation stellte er fest, daß zwar einige der Erinnerungen an das kelgianische Physiologieband verläßlich waren, viele andere jedoch nicht. Deshalb war er über die aus der Drucktragbahre dringende Stimme äußerst froh, da sie ihn zumindest von fatalen Fehlern abhielt. Während der fünfzehnminütigen Operation überschüttete Towan ihn unaufhörlich mit Anleitungen, Ratschlägen und Warnungen, die manchmal nicht mehr von persönlichen Beleidigungen zu unterscheiden waren — das Zusammengehörigkeitsgefühl war unter Kelgianern sehr stark ausgeprägt. Doch schließlich hatten sowohl die Operation als auch die Beschimpfungen ein Ende. Gilvesh bereitete den Anschluß der kelgianischen Schwester an ein Beatmungsgerät vor, während Conway quer durch die Station zu Thornnastor ging, um ihn näher in Augenschein zu nehmen.
Plötzlich flammte der Stationsschirm wieder auf, diesmal mit den Gesichtern von O'Mara und Colonel Skempton, dem Leiter der Ingenieursdivision, die in erster Linie für das Nachschub- und Nachrichtenwesen und die Wartung des Orbit Hospitals verantwortlich war. Es war schließlich der Colonel, der das Wort ergriff.
„Wir haben die Zeit berechnet, die Ihnen noch bis zum vollständigen Verbrauch der momentan auf der Station zur Verfügung stehenden Luftvorräte verbleibt“, sagte er ruhig. „Alle Leute mit Atemmasken haben noch für ungefähr drei Tage Luft — wenn sie sich nicht im Schlaf die Masken vom Gesicht reißen oder durch eine andere Körperöffnung von dem Krankheitserreger befallen werden. Die sechs Ventilationssysteme der Station enthalten nämlich jeweils einen zehnstündigen Vorrat an Sauerstoff und auch an anderen Gasen wie Stickstoff, CO2 und dergleichen, die für Sie in der gegenwärtigen Situation aber uninteressant sind. Die Mitglieder des Transportteams verfügen in ihren leichten Anzügen jeweils über einen vierstündigen Vorrat, wenn sie, indem sie sich möglichst nicht bewegen, soviel Sauerstoff wie möglich sparen.“
Der Colonel hielt kurz inne und Conway spürte, wie Skempton die vier Teammitglieder anstarrte, die dem Hudlarer gerade bei der künstlichen Beatmung von Thornnastor halfen. Schließlich räusperte er sich und führ fort: „Der Kelgianer, der Nidianer und die drei Terrestrier in der schützenden Drucktragbahre haben nur noch Luft für knapp eine Stunde. Die Mitglieder des Transportteams können jedoch die Trage und ihre eigenen Anzüge bei Bedarf wieder mit frischer Luft aus dem Ventilationssystem auffüllen. Wenn all das getan wird, und sich jeder soviel wie möglich ausruht, dann müßten also alle, die nicht durch den Bazillus infiziert sind, in, sagen wir mal, dreißig Stunden noch am Leben sein. Dadurch haben wir genügend Zeit, die not.“
„Was ist mit Gilvesh und dem TLTU?“ fragte Conway in scharfem Ton.
„Die Auffrischung des Lebenserhaltungssystems eines TLTUs ist eine Arbeit für Spezialisten“, antwortete Colonel Skempton. „Jedes unfachmännische Herumgebastel könnte zu einer Dampfexplosion führen, womit Sie dann noch ein weiteres Problem am Hals hätten. Und was Doktor Gilvesh betrifft, so haben Sie bestimmt nicht vergessen, daß Sie sich in einer Beobachtungsstation für warmblütige Sauerstoffatmer befinden. Da ist also nirgends Chlor vorhanden. Tut mir leid, Doktor.“
Mit ruhiger, aber fester Stimme antwortete Conway: „Wir brauchen in Flaschen abgefüllte Sauerstoff- und Chlorvorräte, eine Sprühdose mit Nährlösung für den Hudlarer, ein Gerät zur Auffrischung der TLTU-Atmosphäre und hochwertige Lebensmittel mit einem geringen Anteil an Ballaststoffen, komplett mit Schläuchen, die das Essen beim Einnehmen vor direktem Kontakt mit der Stationsluft schützen. Bis auf das Gerät zur Auffrischung der TLTU-Atmosphäre ist keiner dieser Gegenstände sperrig. Und ich bin mir sicher, daß der Teamleiter mit diesem Gerät umgehen kann, wenn ihm von einem Ihrer Wartungstechniker jeder Schritt einzeln erklärt wird. Sie könnten die Sachen durch die AUGL-Station in unsere Schleusenkammer bringen lassen. Dabei hätten Sie wahrscheinlich weniger Probleme als wir damals mit dem Transport der DBPK-Patientin.“
Skempton schüttelte den Kopf, und mit ebenso ruhiger und fester Stimme wie Conway entgegnete er: „Wir haben über diese Versorgungsmöglichkeit natürlich auch schon nachgedacht, Doktor. Aber wir haben leider feststellen müssen, daß die Schleusenkammer geöffnet geblieben ist, nachdem man die Patientin hindurchtransportiert hat. Deshalb ist sie der Kontaminierung schon genauso lange ausgesetzt wie die restliche Station. Wenn wir nun die Schleuse mit den benötigten Gegenständen beladen wollten, müßte sie vorher mit Wasser aus der AUGL-Station geflutet werden. Zum Entladen der Schleuse müßte das Wasser durch Ihre Leute notwendigerweise wieder abgepumpt werden. So würde das Wasser, das mit was auch immer infiziert ist, wieder in die AUGL-Station gelangen. Was das für Folgen hätte, können wir nicht einmal ahnen. Denn ich hab von einer ganzen Menge Ihrer Kollegen gehört, daß durch die Luft übertragene Bakterien häufig auch in Wasser überleben und sich dort sogar vermehren können.
Ihre Station muß also unter strikter Quarantäne bleiben, Doktor“, fügte der Colonel abschließend hinzu. „Ein Krankheitserreger, der womöglich nicht nur die Lebensformen seines Ursprungsplaneten, sondern auch Angehörige von vier anderen, außerplanetarischen Spezies befällt, darf einfach nicht frei herumvagabundieren. Das müssen Sie genauso einsehen wie ich.“
Conway nickte und erwiderte dann: „Möglicherweise reagieren wir etwas übertrieben und machen uns selbst unnötig Angst, nur weil ein paar.“
„Immerhin sind ein tralthanischer FGLI, eine kelgianische DBLF, ein melfanischer ELNT und ein terrestrischer DBDG so krank geworden, daß man die Atmung schon wenige Minuten später künstlich unterstützen mußte“, unterbrach ihn der Colonel. Der Gesichtsausdruck, mit dem er Conway ansah, war wie bei einem Arzt, der dem unheilbar kranken Patienten mitzuteilen versuchte, wie hoffnungslos seine Lage war.
Conway spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. „Die auf der Station beobachteten Auswirkungen sind doch völlig anders als die an Bord der Rhabwar“, gab Conway zu bedenken, wobei er durch eine bewußt ruhige Stimme bei niemanden das Gefühl aufkommen lassen wollte, er bettele um das Unmögliche. „Wir haben ohne irgendwelche negativen Folgen auf dem Schiff mit der Patientin und einer ganzen Reihe von DBPK-Leichen gearbeitet und sie dabei natürlich auch berührt.“
„Vielleicht sind einige terrestrische DBDGs von Natur aus gegen den Erreger immun“, unterbrach ihn Skempton. „Soweit es das Hospital betrifft, ist das allerdings nur ein schwacher Trost.“
„Doktor Prilicla und Schwester Naydrad haben sich aber ebenfalls ohne Schütz mit den DBPKs beschäftigt“, wandte Conway ein.
„Ich verstehe“, entgegnete der Colonel nachdenklich. „Auf der Station wird eine Kelgianerin vom Erreger befallen, während eine zweite Kelgianerin an Bord der Rhabwar unbehelligt bleibt. Vielleicht gibt es bei mehr als einer Spezies von Natur aus immune Individuen, und das Personal der Rhabwar hatte einfach nur Glück gehabt. Zudem ist der Besatzung ja jeglicher Kontakt mit dem Hospital oder in der Nähe befindlichen Schiffen untersagt, obwohl die Probleme mit der Versorgung der Rhabwar im Vergleich zu denen, die bei Ihnen bestehen, relativ leicht zu lösen sind.
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