Der hudlarische Arzt, der der Klassifikation FROB angehörte, war ein bulliges, birnenförmiges Wesen, dessen Heimatplanet die vierfache Erdanziehungskraft besaß. Die Atmosphäre auf Hudlar war voll von aufgelösten Substanzen tierischer und pflanzlicher Organismen, so daß sie einer dickflüssigen Suppe ähnelte. Obwohl die FROBs zu den Warmblütern gehörten und praktisch gesehen Sauerstoffatmer waren, konnten sie lange Zeit ohne Luft überleben, wenn sie ausreichend mit Nahrung versorgt wurden, die sie direkt durch den zwar dicken, jedoch äußerst durchlässigen Hautpanzer aufnahmen. Nach Conways Schätzung hatte sich der hudlarische Arzt die letzte Mahlzeit vor weniger als zwei Stunden auf die Haut gesprüht, dafür sprach die flockige Konsistenz der Nährstoffschicht auf dem Panzer. Eigentlich müßte der FROB also auch ohne Sauerstoffmaske lange genug aushalten können, um Thornnastor zu helfen.
„…während der TLTU und der Hudlarer Thornnastor zur Wand hinüberbringen, lassen Sie Ihre Leute die Drucktragbahre so nah wie möglich an die kelgianische Oberschwester heranschieben“, setzte Conway seine Anweisungen an den Leiter des Transportteams fort. „In der Trage befindet sich nämlich ein kelgianischer Diagnostiker. Bitten Sie ihn, mir bei der Durchführung des Luftröhrenschnitts die notwendigen Anleitungen zu geben, und sorgen Sie dafür, daß er durch die Hülle der Trage einwandfreie Sicht auf das Operationsfeld hat. Ich bin in ein paar Minuten bei der kelgianischen Schwester, sobald ich nach Edanelt gesehen hab.“
„Edanelts Zustand ist stabil, mein Freund“, berichtete Prilicla, der zu dem Hudlarer und dem zischenden, metallenen Schwerlaster des TLTUs respektvollen Abstand einhielt, als die beiden gerade Thornnastor zur Wand brachten. Der Cinrussker landete zur besseren Wahrnehmung der emotionalen Ausstrahlung Edanelts federleicht auf dem Panzer des Melfaners. „Er atmet zwar unter Schwierigkeiten, schwebt aber nicht in unmittelbarer Lebensgefahr.“
Von den drei betroffenen ETs hatte sich der Melfaner von der DBPK-Patientin während der Untersuchung und den nachfolgenden operativen Eingriffen die ganze Zeit am weitesten entfernt aufgehalten: das mußte irgend etwas bedeuten. Conway schüttelte verärgert den Kopf — es passierte einfach gleichzeitig zu viel, um auch nur einen klaren Gedanken fassen zu können. Er hatte überhaupt keine Chance nachzudenken…
„Mein Freund“, sagte Prilicla, der mittlerweile zur DBPK-Patientin geflattert war. „Ich spüre bei der Patientin ein zunehmendes körperliches Unbehagen, das nicht mit den Verletzungen zusammenhängt und einer Art Befangenheit gleicht. Außerdem ist sie über irgend etwas äußerst beunruhigt, ohne allerdings Angst davor zu haben. Sie fühlt sich zutiefst schuldig und besorgt. Vielleicht leidet die Patientin nicht nur an den Verletzungen, die sie sich auf dem Schiff zugezogen hat, sondern auch an gewissen psychischen Störungen, wie sie bei Heranwachsenden, die in der Vorpubertät stecken, häufig vorkommen.“
Die geistige Verfassung der DBPK stand im Moment auf Conways Prioritätenliste ganz unten, deshalb war er nicht in der Lage, seine Ungeduld vor Prilicla zu verbergen.
„…darf ich die Gurte der Patientin ein bißchen lockern, mein Freund?“ fragte der Empath schnell.
„Ja, aber lassen Sie die Patientin bloß nicht frei“, antwortete Conway, merkte aber gleich darauf, daß diese Antwort ziemlich dumm gewesen war.
Schließlich stellte das kleine, pelzige und vollkommen harmlose Wesen selbst keine physische Bedrohung dar. Die Gefahr ging vielmehr von den Bakterien im Körper der Patientin aus — und die flogen ja offenbar schon überall auf der Station herum. Als Prilicla mit seinen feingliedrigen Greiforganen auf die Knöpfe drückte, mit denen die Gurte gelockert werden konnten, die die DBPK auf dem Untersuchungstisch festhielten, unternahm die Patientin keinen Fluchtversuch. Statt dessen drehte sie sich vorsichtig so weit, bis sie wie eine schlafende terrestrische Katze dalag — zusammengekugelt und den Kopf unter den langen und pelzigen Schwanz geschoben. Bis auf den nackten Fleck am Schwanzansatz, wo die Haut ein rötliches Braun aufwies, sah sie wie ein Hügel aus gestreiftem Fell aus.
„Sie fühlt sich jetzt sehr viel wohler, ist aber trotzdem noch beunruhigt, mein Freund“, berichtete der Cinrussker. Gleich darauf trippelte er an der Decke entlang, bis er sich über Thornnastor befand. Weil der bewußtlose Diagnostiker im Zentrum starker Emotionen lag, zitterte der Empath entsprechend.
Der TLTU hatte Thornnastors Hinterbeine mit Klebeband zusammengebunden und sich dann zurückgezogen, um dem Hudlarer und den vier Teammitgliedern ihre Arbeit zu ermöglichen. Jeweils ein Mann hatte sich ein vorderes oder mittleres Bein gegriffen, und zusammen mühten sie sich ab, die vier Gliedmaßen diagonal auseinanderzuspreizen, um die Brust des Tralthaners so weit wie möglich auszudehnen.
Der Hudlarer sagte gerade: „Gleichzeitig ziehen! Fester! Halt! Jetzt wieder loslassen!“ Als er „loslassen“ sagte, nahmen die Beine wieder die natürliche Position ein, während der Hudlarer selbst gleichzeitig mit seinem nicht unerheblichen Gewicht auf Thornnastors gewaltigen Brustkorb drückte, damit sich vor der Wiederholung dieses Vorgangs auch ganz bestimmt keine Luft mehr in der Lunge befand. Hinter den Visieren der Männer, die an Thornnastors Beinen zogen, waren gerötete, schweißüberströmte Gesichter zu erkennen, und einige der Äußerungen waren alles andere als übersetzungsreif Jedem Arzt, Pfleger und Wartungstechniker des Orbit Hospitals wurden die Grundlagen der auf alle Spezies der galaktischen Föderation anwendbaren Ersten Hilfe beigebracht. Sie lernten natürlich nur die Maßnahmen für solche Spezies, deren Umweltbedingungen nicht so übermäßig exotisch waren, daß ein Patient nur von einem Angehörigen seiner eigenen Spezies unverzüglich behandelt werden konnte. Nach der Regel zur künstlichen Beatmung eines tralthanischen FGLI mußte man dessen zwei Hinterbeine zusammenbinden und die restlichen vier spreizen und wieder zusammendrücken, um Luft in die Lunge des FGLIs zu pumpen. Die Atemmaske befand sich bei Thornnastor in der richtigen Lage, und der Diagnostiker war zum Atmen von reinem Sauerstoff gezwungen. Außerdem stand Prilicla bereit, um jede Veränderung von Thornnastors Zustand sofort zu melden.
Ein Luftröhrenschnitt bei einer Kelgianerin hingegen gehörte absolut nicht zu den Erste-Hilfe-Maßnahmen. Die Spezies der Klassifikation DBLF besaß außer einer dünnen Hülle um das Gehirn kein Knochengerüst. Der Körper eines Kelgianers setzte sich aus kreisförmigen, äußeren Muskelbändern zusammen, die sowohl zur Fortbewegung dienten, als auch die lebenswichtigen inneren Organe schützten. Für die kelgianische Spezies waren schon leichte Verletzungen häufig lebensbedrohlich, weil das komplizierte und äußerst empfindliche Blutkreislaufsystem, das die gewaltigen, den Körper kreisförmig umgebenden Muskeln mit Blut versorgen mußte, direkt unter der Haut verlief und nur durch das dichte Fell geschützt wurde. Folglich konnte eine, von vielen anderen Spezies lediglich als oberflächlicher Kratzer angesehene Verletzung bei einem DBLF in Minutenschnelle zum Verbluten führen. Conways Problem bestand darin, daß die kelgianische Luftröhre tief unter der Halsmuskulatur und nicht einmal einen Zentimeter neben der Hauptschlagader verlief, die das Gehirn mit Blut versorgte.
Da nun Conway als ein terrestrischer Chirurg nach der mündlichen Anleitung eines zweiten Kelgianers operieren mußte und er zudem noch durch das Fehlen eines DBLF-Physiologiebands und die Anzughandschuhe gehandikapt war, versprach der Eingriff ebenso schwierig wie gefährlich zu werden.
„Ich würde diese Operation lieber selbst durchführen, Doktor“, sagte der kelgianische Diagnostiker, wobei er sein Gesicht gegen die durchsichtige Hülle der Drucktragbahre preßte.
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