Doch da meine Kenntnisse in diesem Fall von meinen jüngst gewonnenen persönlichen Erfahrungen und den Gefühlseindrücken meines hudlarischen Gehirnpartners stammen, sind sie rein subjektiv, so daß meine Überlegungen womöglich nicht vollkommen zuverlässig ausfallen. Um zu entscheiden, ob meine Idee etwas taugt oder nicht, ist der objektive Standpunkt eines Psychologen erforderlich, der über Erfahrungen mit Extraterrestriern, einschließlich der FROB-Lebensform, verfügt.“
O'Mara schwieg eine ganze Weile, dann nickte er und fragte: „Was können Sie diesen Hudlarern, die fast sämtlicher Gliedmaßen beraubt wurden, bieten, Conway? Und wodurch könnten diese bedauernswerten Geschöpfe ihr verlängertes und nunmehr weniger schmerzvolles Leben selbst lebenswerter machen?“
„Bisher hatte ich nur Zeit, über einige wenige Möglichkeiten nachzudenken“, antwortete Conway. „Die Situation der FROBs wäre mit der der hudlarischen Amputierten vergleichbar, die wir in ein paar Wochen nach Hause schicken. Diese werden auf den Prothesen eingeschränkt bewegungsfähig sein, während ein oder zwei Vorderglieder voll funktionstüchtig bleiben, und ihre geistigen und körperlichen Kräfte dürften sie bis kurz vorm Tod behalten. Bevor ich mir dessen allerdings sicher sein kann, muß ich natürlich noch mit Thornnastor die physiologischen Einzelheiten besprechen, aber ich.“
„Das ist eine durchaus berechtigte Vermutung, Conway“, fiel ihm der Tralthaner ins Wort. „Ich bezweifle jedenfalls nicht, daß Sie recht haben.“
„Danke, Sir“, entgegnete Conway, der ganz genau spürte, wie ihm bei diesem Kompliment das warme terrestrische Blut ins Gesicht schoß. An O'Mara gewandt fuhrt er fort: „Auf Hudlar steckt die Medizin noch in den Kinderschuhen und wird sich eine Zeitlang vor allem mit der Behandlung von Krankheiten bei sehr jungen FROBs befassen, da die erwachsenen Mitglieder der Spezies nie krank werden. Diese pädiatrischen Fälle bleiben trotz der Krankheit äußerst lebhaft und brauchen kaum gebremst oder beaufsichtigt zu werden, während die verschriebenen Medikamente ihre Wirkung entfalten. Dennoch werden unsere alternden Amputierten körperlich in der Lage sein, die Ausgelassenheit und Verspieltheit der eine halbe Tonne schweren hudlarischen Kleinkinder ohne Verletzungen zu überstehen. Wir bilden bereits die ersten einer ganzen Reihe von Krankenschwestern für die Kinderstation aus, die imstande sein werden, den Kleinen entsprechende Verhaltensregeln beizubringen.“
Die Erwähnung der äußerst gutaussehenden Schwester hatte Conways hudlarischen Gehirnpartner augenblicklich wieder in Erregung versetzt, deshalb mußte sich der Diagnostiker in spe ein paar Sekunden Zeit nehmen, diesen zu ermahnen, sich gefälligst etwas mehr zu beherrschen.
Doch als er versuchte, seine Gedanken wieder auf das zu lenken, was er eigentlich hatte sagen wollen, stiegen in ihm die Erinnerungen an seine steinalte, aber muntere Großmutter und — zu der Zeit — einzige Freundin auf. Das löste plötzlich einen äußerst starken Schmerz von seiten Khones über den in sehr jungen Jahren erlittenen Verlust des Körperkontakts mit den Eltern aus, der für das Fortbestehen des geistig-seelischen Zusammenhalts in der gogleskanischen Gesellschaft so wichtig war. Zusammen mit Khone konnte er den damaligen Verlust dieser Liebe und Wärme nachempfinden und auch ihre bange Erwartung des zukünftigen Verlustes des eigenen Kindes, sobald der eigene Nachkomme geboren und seiner Mutter nur allzu kurz nahe sein würde, bevor er sie endgültig verließ. Und merkwürdigerweise war die kleine Gogleskanerin in der Lage, den Anblick, die Laute und die Erinnerungen an Conways steinalte und gebrechliche erste Freundin ohne das leiseste Anzeichen von Schmerz zu respektieren, obwohl ihrem Wesen beinahe alles zuwiderlief, was Conway und seinen Gehirnpartnern in den Sinn kam.
Wie Conway wußte, war dies ein wichtiger Punkt, denn es gab Anzeichen dafür, daß die Gogleskanerin auch von dem Gedanken an die alterskranken FROBs nicht vollkommen abgestoßen wurde. Zwischen Khone und den übrigen in seinem Kopf herumspukenden Spezies wurde eine Brücke geschlagen, und Conway blinzelte schnell, da ihm plötzlich Tränen in die Augen stiegen.
Er spürte, wie Murchison ihre Hand sanft auf seinen Arm legte, als sie ihn eindringlich fragte: „Was hast du?“
„Conway, ist alles in Ordnung?“ erkundigte sich O'Mara in besorgtem Ton.
„Entschuldigen Sie bitte, aber ich bin gerade in Gedanken ganz woanders gewesen“, antwortete Conway mit leiser Stimme. „Danke, mit mir ist alles in Ordnung. Mir geht es sogar sehr gut.“
„Aha“, entgegnete O'Mara. „Aber die Gründe für Ihre abschweifenden Gedanken, und worum es darin ging, würde ich schon sehr gern mit Ihnen zu einem geeigneteren Zeitpunkt besprechen. Fahren Sie fort.“ „Wie die älteren Mitglieder der meisten intelligenten Spezies haben auch die sehr alten Hudlarer eine enge Wesensverwandtschaft mit den Kleinkindern, und aus dieser Gemeinsamkeit können beide Seiten großen Nutzen ziehen, wenn man sie zusammenlegt“, setzte Conway seine Ausführungen fort. „Die Alten befinden sich in einer salopp als zweite Kindheit bezeichneten Phase, in der sich Eindrücke und Erinnerungen aus den jüngeren Tagen in den Vordergrund drängen, und außerdem wissen sie mit der verbleibenden Zeit nicht mehr allzuviel anzufangen. Die Kinder wiederum hätten einen erwachsenen Spielkameraden, der sie versteht, an ihrer Gesellschaft Freude hat und — anders als die jüngeren Erwachsenen und Eltern — vielleicht nicht so sehr von den täglichen Dingen des Lebens in Anspruch genommen ist, daß er nicht genügend Zeit für die Kinder hätte.
Sollte die Idee der Amputation für die alterskranken FROBs auf Akzeptanz treffen, wären sie nach meiner festen Überzeugung die idealen Kandidaten für die Ausbildung zum Kinderpfleger“, fuhr Conway fort. „Die weniger alten, deren Intelligenzgrad noch bedeutend höher läge, könnten zu Lehrern für ältere Kinder und Jugendliche ausgebildet werden. Vielleicht wären sie auch mit der Überwachung automatisierter Herstellungsprozesse oder dem Beobachtungsdienst auf den Wetterkontrollstationen sinnvoll beschäftigt oder könnten als.“
„Genug!“ unterbrach ihn O'Mara mit erhobener Hand. „Lassen Sie mir bitte auch noch etwas zu tun übrig, Conway, damit ich hier wenigstens eine Existenzberechtigung habe“, fuhr er sarkastisch fort. „Zumindest ist mir jetzt Ihr untypisches Verhalten von vorhin kein Rätsel mehr. Die Unterlagen über Ihre Kindheit im psychologischen Persönlichkeitsdiagramm und Ihr Vorschlag bezüglich der alterskranken Hudlarer erklären den vorübergehenden Verlust der Selbstbeherrschung voll und ganz.
Was Ihre ursprüngliche Frage angeht, kann ich Ihnen leider keine prompte Antwort geben. Aber ich werde mir sofort meine Fachkenntnisse über Hudlarer ins Gedächtnis rufen und anfangen, daran zu arbeiten. Sie haben mir zu viel zum Nachdenken gegeben, als daß ich mich jetzt wieder schlafen legen könnte.“
„Tut mir leid“, entschuldigte sich Conway, aber das Gesicht des Chefpsychologen war bereits vom Bildschirm verschwunden.
„Auch die Verzögerung tut mir leid“, sagte er zu Thornnastor. „Aber jetzt können wir uns wenigstens über den Beschützer unterhalten und uns.“
Er brach mitten im Satz ab, als die blaue Bitte-den-Tisch-räumen-Lampe zu blinken begann. Damit sollte angedeutet werden, daß sie länger in der Kantine geblieben waren, als für den Verzehr der bestellten Gerichte vorgesehen war, und sie den Speiseraum zu verlassen hatten, um den Tisch für andere hungrige Kantinenbesucher freizumachen, von denen schon etliche ungeduldig warteten.
„Gehen wir in Ihr Büro oder in meins?“ wollte Thornnastor wissen.
Der Erstkontakt mit der als Beschützer des Ungeborenem bekannten Spezies war von der Rhabwar geknüpft worden, als das Ambulanzschiff auf ein Notsignal von einem Schiff reagiert hatte, das zwei gefangene Mitglieder dieser Spezies transportierte. Wie man herausfand, waren die Beschützer ausgebrochen und hatten die Schiffsbesatzung getötet, wobei auch einer der beiden Ausgebrochenen ums Leben gekommen war.
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