„Das habe ich auch gar nicht vor“, entgegnete Cha Thrat. „Jedenfalls vorläufig nicht. Es sei denn, man gibt mir an diesem Hospital die Chance, wie auf Sommaradva wieder als Chirurgin zu praktizieren.“
„Nicht einmal dann“, widersprach ihr der Hudlarer besorgt.
„Das verstehe ich nicht“, sagte Cha Thrat. „Wenn ich die volle Verantwortung für die Heilung eines Patienten übernehme, dann.“
„Dann sind Sie also zu Hause eine Chirurgin gewesen?“ unterbrach sie ihr Klassenkamerad, der offensichtlich Streit vermeiden wollte. „Ich hoffe ebenfalls, mit der Eignung als Chirurg nach Hause zurückkehren zu können.“
Cha Thrat wollte auch keinen Streit. „Wie viele Jahre wird das dauern?“
„Wenn ich Glück habe, zwei“, antwortete der Hudlarer. „Ich habe nicht vor, die volle chirurgische Qualifikation für fremde Spezies zu erwerben, sondern mache gleichzeitig elementare Krankenpflege und den FROB-Chirurgiekurs. Jedenfalls habe ich mich deshalb Conways Projekt angeschlossen und werde, sobald ich den Abschluß geschafft habe, zu Hause gebraucht.
Und um Ihre Frage von vorhin zu beantworten“, fügte er hinzu. „Ob Sie es glauben oder nicht, Schwester, die Beschwerden der meisten dieser Patienten werden gelindert, wenn nicht sogar geheilt. Die Patienten werden in der Lage sein, ein langes und sinnvolles Leben ohne Schmerzen zu führen, das ihnen gestattet, sich innerhalb gewisser Grenzen geistig und körperlich zu betätigen.“
„Ich bin wirklich beeindruckt“, sagte Cha Thrat, wobei sie versuchte, die Skepsis, die sie empfand, nicht durchklingen zu lassen. „Aber worum geht es bei Conways Projekt eigentlich?“
„Da ich Ihnen das Projekt nur unvollständig und ungenau beschreiben kann, wäre es besser, sich von Conway selbst darüber aufklären zu lassen“, antwortete der Hudlarer. „Conway ist im Hospital der leitende Diagnostiker der Chirurgie und wird noch heute nachmittag die wichtigsten seiner neuen FROB-Operationstechniken erläutern und demonstrieren.
Für mich ist es natürlich dringend erforderlich, daran teilzunehmen“, fuhr er fort. „Aber wir werden in naher Zukunft derart viele Chirurgen benötigen, daß Sie sich nicht einmal dem Projekt anschließen müßten, sondern bloß Ihr Interesse daran äußern brauchten, um zu dieser Demonstration eingeladen zu werden. Außerdem wäre es für mich ganz beruhigend, jemanden bei mir zu haben, der fast genausowenig Ahnung hat wie ich.“
„Alienchirurgie ist mein Hauptinteressengebiet“, sagte Cha Thrat. „Aber ich habe ja gerade erst auf dieser Station angefangen. Würde mich denn die Oberschwester schon so früh vom Dienst befreien?“
„Natürlich“, erwiderte der FROB, während sie sich zum nächsten Patienten begaben. „Solange Sie sich die Oberschwester nicht zur Feindin machen.“
„Das werde ich bestimmt nicht“, versicherte sie und fügte rasch hinzu: „Jedenfalls nicht absichtlich.“ Auf der Sprechmembran des dritten Patienten, den sie aufsuchten, befand sich kein Schalldämpfer, und er hatte noch wenige Minuten zuvor mit einem Patienten auf der anderen Seite der Station ein angeregtes Gespräch über seine Enkel geführt. Cha Thrat sprach ihn mit der traditionellen Begrüßung der Heiler auf Sommaradva an, der sich anscheinend auch jeder Arzt im Hospital bediente. „Wie geht es Ihnen heute?“
„Danke, recht gut, Schwester“, antwortete der Patient, wie sie es von vornherein gewußt hatte.
Ganz offensichtlich ging es dem FROB alles andere als gut. Obwohl er geistig auf der Höhe war und der körperliche Degenerationsprozeß noch nicht das Stadium erreicht hatte, in dem selbst die schmerzstillenden Medikamente nicht mehr wirkten, bekam Cha Thrat von dem bloßen Anblick der Oberflächenbeschaffenheit seiner Körperpanzerung und Tentakel einen Juckreiz. Doch wie so viele der anderen Patienten, die sie behandelt hatte, dachte auch dieser nicht im Traum daran, ihr durch die Antwort, ihm würde es nicht gutgehen, mangelnde Fähigkeiten zu unterstellen.
„Wenn Sie ein bißchen mehr Nahrung aufgenommen haben, werden Sie sich noch besser fühlen“, ermunterte sie ihn, während ihr Kollege mit dem Schwamm beschäftigt war.
Jedenfalls einen Hauch besser, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Ich habe Sie hier noch nie gesehen, Schwester“ stellte der Patient fest. „Sie sind neu, oder? Ich finde, Sie haben höchst interessante und optisch äußerst ansprechende Körperformen.“
„Der letzte, der mir so was gesagt hat“, antwortete Cha Thrat, während sie das Nahrungspräparat aufsprühte, „war ein etwas zu leidenschaftlicher junger Sommaradvaner.“
Aus der Sprechmembran des Patienten drangen unübersetzbare Laute, und der riesige, von der Krankheit geschwächte Körper begann in seinem Gestell zu zucken, als er sagte: „Ihre Unschuld ist vor mir vollkommen sicher, Schwester. Leider bin ich zu alt und gebrechlich, um Ihnen gefährlich zu werden.“
Cha Thrat erinnerte sich wieder an Sommaradva, wo schwerverletzte und ruhiggestellte Krieger ihrer Spezies versucht hatten, während der Visite mit ihr zu flirten, und sie wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
„Das ist aber nett von Ihnen“, bedankte sie sich scherzhaft. „Aber vielleicht müssen Sie mir das noch einmal versichern, sobald Sie sich wieder auf dem Wege der Besserung befinden.“
Mit den übrigen Patienten war es genau das gleiche: Während sich Cha Thrat angeregt mit ihnen unterhielt, sagte der hudlarische Klassenkamerad kaum ein Wort. Cha Thrat war neu auf der Station, gehörte einer Spezies von einem Planeten an, über den die Patienten nichts wußten, und wurde deshalb zum Objekt maßloser, aber dennoch höflicher Neugier. Die Patienten hatte keine Lust, über sich selbst oder ihre traurige körperliche Verfassung zu sprechen, sondern nur über Sommaradva und Cha Thrat, der es ihrerseits Vergnügen bereitete, diese verständliche Neugier zu stillen — zumindest was die erfreulicheren Seiten des Lebens auf ihrem Heimatplaneten anging.
Das ständige Reden half ihr dabei, die zunehmende Erschöpfung sowie die Tatsache zu vergessen, daß die Gurte, obwohl der G-Gürtel das Gewicht des schweren Behälters mit dem Nahrungspräparat auf Null reduzierte, in ihrem oberen Brustkorb schmerzhafte und womöglich bleibende Striemen hervorriefen. Dann waren auf einmal nur noch drei Patienten zu säubern und zu besprühen, und hinter Cha Thrat und ihrem Klassenkameraden tauchte wie aus dem Nichts Segroth auf.
„Wenn Sie genauso gut arbeiten, wie Sie reden, Cha Thrat, werde ich mich über Sie nicht beschweren können“, sagte die Oberschwester und fragte dann den Hudlarer: „Wie stellt Sie sich denn an?“
„Sie ist mir wirklich eine große Hilfe, Oberschwester“, antwortete der FROB, „und beklagt sich auch nicht. Den Patienten gegenüber verhält sie sich sehr freundlich und gelöst.“
„Na, prima“, freute sich Segroth, wobei sich ihr Fell anerkennend kräuselte. „Aber Cha Thrat gehört zu einer dieser Spezies, die wenigstens dreimal pro Tag Nahrung aufnehmen müssen, wenn sie bei Laune gehalten werden sollen. Ich will damit sagen, daß das Mittagessen längst überfällig ist. Wären Sie bereit, die Arbeit bei den restlichen Patienten alleine zu beenden?“
„Selbstverständlich“, antwortete der Hudlarer, als sich Segroth zum Gehen wandte.
„Oberschwester!“ rief Cha Thrat ihr schnell hinterher. „Ich weiß, ich habe gerade erst angefangen, aber würden Sie mir vielleicht die Erlaubnis erteilen, heute nachmittag an.“
„.an Conways Vorlesung teilzunehmen?“ beendete Segroth die Frage für sie. „Ihnen ist wohl jedes Mittel recht, um sich vor der anstrengenden Arbeit auf der Station zu drücken, wie? Aber vielleicht tue ich Ihnen unrecht. Nach den Gesprächen zu urteilen, die ich über die Schallsensoren mitgehört habe, haben Sie bei der Unterhaltung mit den Patienten bewiesen, daß Sie Ihre Gefühle sehr gut im Zaum halten können, und in Anbetracht Ihrer chirurgischen Vorbildung dürfte Ihnen der praktische Teil der Vorlesung kaum zu schaffen machen. Falls Sie jedoch irgendeinen Teil der Demonstration nervlich nicht aushaken sollten, ziehen Sie sich von dort sofort und so unauffällig wie möglich zurück.
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