Die Kugel, die Nessus war, zog sich womöglich noch enger zusammen. Sucher beobachtete den Puppenspieler fasziniert.
»Wenn Sie wieder zu Hause bei Ihrer Weltenflotte sind, dann erzählen Sie Ihren Hintersten, daß es gefährlich ist, sich in menschliche Paarungsgewohnheiten einzumischen. Erzählen Sie ihnen, daß genügend Teela Browns sämtliche Gesetze der Wahrscheinlichkeit umstoßen könnten. Und auf atomarer Ebene sind selbst die Naturgesetze nichts weiter als Wahrscheinlichkeiten. Erzählen Sie ihnen, das Universum sei ein zu kompliziertes Spielzeug für ein intelligentes vorsichtiges Wesen.
Erzählen Sie ihren Hintersten das, wenn ich Sie wieder nach Hause gebracht habe«, sagte Louis Wu. »Und jetzt rollen Sie sich gefälligst wieder auseinander! Augenblicklich! Ich brauche den Schattenblendendraht, und Sie werden ihn für mich suchen! Wir sind fast am Sturmauge vorbei. Kommen Sie heraus, Nessus…!«
Der Puppenspieler entrollte sich und stand auf. »Sie beschämen mich, Louis Wu…«, setzte er an zu protestieren.
»Das wagen Sie hier vor allen zu sagen?« Der Puppenspieler verstummte. Wortlos drehte er sich um und beobachtete durch das Panoramafenster den Sturm.
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
DAS GÖTTERSPIEL
Die Eingeborenen, die den Himmel anbeteten, sahen sich mit einem Mal mit zwei schwebenden Gebäuden konfrontiert.
Wie bereits zuvor wimmelte der Altarplatz auch diesmal wieder vor Gesichtern wie eine Wiese voll goldener Löwenzahnblüten. »Wir sind wieder einmal an einem heiligen Tag angekommen«, mutmaßte Louis. Er hielt nach dem kahlrasierten Priester Ausschau, doch er konnte ihn nirgends entdecken.
Nessus blickte sehnsüchtig zu dem Schloß namens Himmel hinüber. Die Brücke der Unwahrscheinlich befand sich auf gleicher Höhe wie der Kartenraum des Schlosses. »Damals hatte ich keine Gelegenheit, mir das anzusehen. Jetzt könnte ich hinüber«, klagte der Puppenspieler.
»Wir nehmen den Desintegrator und schießen ein Loch hinein«, schlug Der-zu-den-Tieren-spricht vor. »Dann können wir Sie an einem Seil oder über eine Leiter hinbringen.«
»Jetzt bin ich zum zweiten Mal hier und kann die Gelegenheit nicht wahrnehmen.«
»Es ist nicht so gefährlich wie viele andere Dinge, die Sie zuvor hier unternommen haben.«
»Aber wenn ich Risiken eingegangen bin, dann deshalb, weil ich nach Antworten suchte. Jetzt weiß ich alles über die Ringwelt, was mein Volk wissen muß. Jetzt riskiere ich mein Leben nur noch, um meinem Volk dieses Wissen zu bringen. Louis, dort ist Ihr Schattenblendendraht.«
Louis nickte ernst.
Die gesamte spinwärts gelegene Region der Stadt war von etwas bedeckt, das auf den ersten Blick aussah wie eine schwarze Rauchwolke. Nach der Art zu urteilen, wie er sich auf die Umrisse der Häuser gelegt hatte, mußte der Draht sowohl dicht als auch schwer sein. Ein einzelner Obelisk mit Fenstern darin ragte durch die Masse. Der Rest war zugedeckt.
Es mußte der Schattenblendendraht sein. Aber es war entsetzlich viel davon!
»Wie sollen wir bloß diese Masse Draht transportieren?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Louis, weil ihm nichts anderes einfiel. »Wir landen und werfen erstmal einen Blick auf die Sache.«
Sie landeten das halb zerstörte ehemalige Polizeigebäude spinwärts vom Platz mit dem Altar.
Louis schaltete die Schwebemotoren nicht aus. Die Unwahrscheinlich berührte kaum den Boden. Die ehemalige Beobachtungsplattform über den Zellen wurde zur Landerampe der Unwahrscheinlich. Die Masse des Gebäudes hätte sie unter sich begraben.
»Wir müssen uns einen Weg ausdenken, wie wir mit diesem Zeug hantieren«, sagte Louis. »Vielleicht tut es ein Handschuh aus dem gleichen Material. Oder wir wickeln es auf eine Spule aus Fundamentsubstanz.«
»Wir haben weder das eine noch das andere. Wir müssen mit den Eingeborenen reden«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Vielleicht kennen sie alte Legenden, alte Werkzeuge, alte heilige Relikte. Außerdem hatten sie drei Tage Zeit zu lernen, wie man den Draht anfaßt.«
»Dann muß ich mitkommen.« Das Zögern des Puppenspielers war offensichtlich. Er zitterte plötzlich. »Sprecher, Ihre Sprachkenntnisse sind nicht ausreichend. Wir müssen Halrloprillalar zurücklassen, um das Gebäude in die Höhe zu bringen, falls es nötig werden sollte. Es sei denn… Louis, könnte Teelas eingeborener Liebhaber überredet werden, für uns zu verhandeln?«
Es tat weh, wenn Nessus auf diese Weise über Sucher sprach. »Selbst Teela sagt, daß er kein Genie ist«, entgegnete Louis. »Ich würde ihm die Führung der Verhandlungen nicht anvertrauen.«
»Genausowenig wie ich, Louis. Brauchen wir den Schattenblendendraht wirklich?«
»Ich weiß es nicht. Wenn ich nicht unter Drogen stehe und ein Opfer von Halluzinationen bin, dann werden wir ihn benötigen. Ansonsten…«
»Schon gut, Louis. Ich werde mitkommen.«
»Sie müssen meinem Urteil nicht vertrauen…«
»Ich werde mitkommen.« Der Puppenspieler zitterte erneut. Das merkwürdigste an Nessus Stimme war, daß sie so klar und rein war und nie auch nur die leiseste Spur einer Emotion zeigte. »Ich weiß, daß wir den Draht brauchen. Welcher Zufall ließ ihn so nah bei unserer Absturzstelle herunterkommen? Sämtliche Zufälle führen zu Teela Brown. Würden wir den Draht nicht benötigen, wäre er nicht hier.«
Louis entspannte sich. Nicht, weil Nessus Feststellung Sinn ergeben hätte, denn das tat sie nicht. Doch sie untermauerte Louis’ eigene dürftige Schlußfolgerungen. Und so schöpfte Louis aus den Worten des Puppenspielers Trost und sagte ihm nicht, welchen Unsinn er von sich gegeben hatte.
Sie gingen die Landerampe hinunter und traten aus dem Schatten der Unwahrscheinlich. Louis trug einen Flashlaser bei sich. Der-zuden-Tieren-spricht hielt die Slaverwaffe. Seine Muskeln bewegten sich beim Gehen geschmeidig und waren unter dem erst einen halben Zoll nachgewachsenen Fell nicht zu übersehen. Nessus blieb anscheinend unbewaffnet. Er bevorzugte seinen Tasp und den Platz am weitesten hinten.
Sucher ging an der Seite. Er trug sein langes schwarzes Schwert griffbereit. Seine großen, unempfindlichen Füße waren nackt, genau wie der Rest von ihm. Er trug lediglich einen Lendenschurz aus Tierhaut. Seine Muskeln bewegten sich genauso geschmeidig wie die des Kzin.
Teela ging unbewaffnet.
Die beiden hätten genausogut an Bord der Unwahrscheinlich bleiben können. Es war Nessus’ Schuld. Louis hatte ihn als Dolmetscher mitgenommen, als er dem Schwertkämpfer Sucher angeboten hatte, Teela an ihn zu verkaufen.
Sucher hatte feierlich genickt und eine Kapsel der RingweltLebensdroge als Bezahlung angeboten. Fünfzig Jahre länger leben.
»Ich nehme an«, hatte Louis gesagt. Es war ein guter Preis, obwohl Louis nicht die Absicht besaß, die Droge einzunehmen. Bestimmt war sie noch nie an jemandem getestet worden, der wie Louis seit mehr als hundertzwanzig Jahren Boosterspice einnahm.
Hinterher hatte Nessus auf Interspeak erklärt: »Ich wollte ihn nicht beleidigen, Louis, oder andeuten, daß Sie Teela für nicht besonders wertvoll halten könnten. Ich ging mit dem Preis hoch. Jetzt besitzt er Teela, und Sie können die Droge analysieren, wenn Sie zur Erde zurückkehren. Falls wir zurückkehren. Außerdem wird Sucher unser Leibwächter sein und uns gegen jeden möglichen Feind verteidigen, bis wir den Schattenblendendraht in Besitz genommen haben.«
»Er will uns mit seinem vier Fuß langen Küchenmesser beschützen?«
»Ich wollte ihm doch nur schmeicheln, Louis.«
Teela hatte selbstverständlich darauf bestanden, mit Sucher zu gehen. Er war ihr Mann, und er stand im Begriff, sich in Gefahr zu begeben. Louis überlegte, ob der Puppenspieler vielleicht darauf gebaut hatte. Schließlich war Teela Brown Nessus sorgfältig gezüchteter Glücksbringer…
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