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Lois Bujold: Die Quaddies von Cay Habitat

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Lois Bujold Die Quaddies von Cay Habitat

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Leo Graf war genau das, was man von einem braven Ingenieur erwartet: einen Job so gut wie möglich erledigen, sonst sich um nichts kümmern, vor allem wenn’s Politik geht, gar um Firmenpolitik, strikt Klappe halten, wegsehen. Aber dann kommt er nach Cay Habitat, und was er dort sieht, bringt selbst ihn in Rage: Hunderte von hilflosen, rechtlosen Kindern, die bis zum Umfallen zum Nutzen einer raffgierigen Corporation schuften müssen. Und er entschließt sich, tausend von diesen armen Quaddies zu adoptieren. Doch damit hat er sich ein schier unlösbares Problem an den Hals gehängt: er muß diesen Kindern erst einmal beibringen, was es heißt, frei zu sein.

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Lois McMaster Bujold

Die Quaddies von Cay Habitat

KAPITEL 1

Der leuchtende Rand des Planeten Rodeo drehte sich schwindelerregend am Ausguckfenster der orbitalen Transferstation vorbei. Eine Frau, in der Leo Graf eine seiner Mitreisenden vom Sprungschiff erkannte, spähte ein paar Minuten lang erwartungsvoll hinaus, dann wandte sie sich ab, blinzelte, schluckte und setzte sich ziemlich abrupt auf einen der hellen, gepolsterten Sessel in der Wartehalle. Sie schloß die Augen, öffnete sie wieder und fing Leos Blick auf, verlegen zuckte sie die Achseln. Leo lächelte voller Mitgefühl. Da er selbst gegen die verschiedenen Raumfahrtkrankheiten immun war, übernahm er ihren Platz an dem kristallklaren Aussichtsfenster.

Eine spärliche Wolkendecke wirbelte tief unten durch die dünne Atmosphäre und verhüllte kaum die ausgedehnten Flächen roten Wüstensandes. Rodeo war eine marginale Welt; auf ihr gab es nur die Bergwerks- und Bohranlagen von Galac-Tech und deren Unterstützungseinrichtungen. Aber was tat er hier? fragte sich Leo aufs neue. Unterirdische Operationen gehörten kaum zu seinem Fachgebiet. Als Folge der Rotation der Station glitt der Planet aus dem Gesichtskreis. Leo ging zu einem anderen Fenster, um einen Blick nach innen, auf die Nabe der radförmigen Station, zu bekommen. Dabei bemerkte er die Belastungspunkte und überlegte, wann sie wohl zuletzt auf sich unsichtbar ausdehnende Risse geröntgt worden waren. Die zentrifugalen Gravitationskräfte hier am Rand, wo sich der Wartesaal für Passagiere befand, schienen etwa nur die Hälfte des Erdstandards zu betragen; das war vielleicht ein bißchen leicht. War die Beanspruchung absichtlich reduziert worden, da man Probleme in der Konstruktion voraussah? Aber er war hier als Ausbilder, hatte man ihm in der Galac-Tech-Zentrale auf der Erde gesagt, um Unterricht in Qualitätskontrollverfahren für Schweißen und Konstruktion in der Schwerelosigkeit zu geben. Wen sollte er unterrichten? Warum hier, am Ende der Welt? ›Das Cay-Projekt‹ war eine seltsam nichtssagende Bezeichnung für seinen Auftrag.

»Leo Graf?«

Leo wandte sich um. »Ja?«

Der Sprecher war groß und dunkelhaarig, vielleicht dreißig, vielleicht vierzig Jahre alt. Er trug konservativ modische Zivilkleidung, aber eine unauffällige Anstecknadel wies ihn als einen Mitarbeiter der Gesellschaft aus. Hervorragender Typ eines firmentreuen Angestellten, urteilte Leo. Die Hand, die der Mann Leo zur Begrüßung entgegenstreckte, war gleichmäßig gebräunt, aber weich. »Ich bin Bruce Van Atta.«

Leos kräftige Hand war bleich, aber mit braunen Flecken übersät. An die Vierzig, schneidig und stämmig, trug Leo einen bequemen roten Firmenoverall, teils, um sich unauffällig unter die Arbeiter zu mischen, die er beaufsichtigte, vor allem aber, damit er nie Zeit und Gedanken auf die Entscheidung zu verschwenden brauchte, was er am Morgen anziehen sollte. ›Graf‹ stand auf dem Namensschild auf seiner linken Brusttasche, so daß seine Identität kein Geheimnis darstellte. »Willkommen auf Rodeo, dem dreckigsten Loch des Universums«, sagte Van Atta grinsend.

»Danke.« Automatisch erwiderte Leo das Lächeln.

»Ich bin jetzt der Leiter des Cay-Projekts; ich werde Ihr Boss sein«, erläuterte Van Atta. »Ich habe Sie persönlich angefordert, wissen Sie. Sie werden mir helfen, diesen Bereich endlich auf Trab und auf Touren zu bringen, den Leuten hier Feuer unterm Arsch zu machen. Sie sind wie ich, das weiß ich, Sie haben keine Geduld mit Mehlsäcken. Ein Mordsjob, was man mir hier aufgehalst hat, diesen Bereich profitabel zu machen — aber wenn ich es schaffe, dann bin ich ein gemachter Mann.« »Mich angefordert?« Der Gedanke, daß sein Ruf ihm vorausgeeilt sei, war ja ein Ansporn, aber warum konnte man nicht mal von jemandem angefordert werden, der in einer Gartenlandschaft residierte? Ach, na ja… »In der Zentrale hat man mir gesagt, daß ich hierher geschickt werde, um eine erweiterte Version meines Kurzkurses über nichtdestruktives Testen abzuhalten.« »Ist das alles, was man Ihnen gesagt hat?«, fragte Van Atta erstaunt. Als Leo bejahend die Achseln zuckte, warf er den Kopf zurück und lachte. »Sicherheitsgründe, nehme ich an«, fuhr Van Atta fort, nachdem er aufgehört hatte zu glucksen. »Da steht Ihnen ja noch eine Überraschung bevor. Nun gut, ich werde sie nicht verderben.« Van Attas verschmitztes Grinsen war so irritierend wie ein freundschaftlicher Rippenstoß.

Zu freundschaftlich — verdammt, dachte Leo, dieser Bursche kennt mich von irgendwo her. Und er denkt, ich kenne ihn auch… Leos höfliches Lächeln erstarrte in sanfter Panik. In seinem achtzehnjährigen Berufsleben war er Tausenden von Galac-Tech-Mitarbeitern begegnet. Vielleicht würde Van Atta bald etwas sagen, um die Möglichkeiten einzuengen.

»Meine Instruktionen führten einen Dr. Cay als den nominellen Leiter des Cay-Projektes auf«, sondierte Leo. »Werde ich ihn treffen?«

»Veraltete Informationen«, sagte Van Atta. »Dr. Cay ist letztes Jahr gestorben — einige Jahre nach dem Zeitpunkt, wo er meiner Meinung nach hätte zwangsweise pensioniert werden sollen, aber er war ein Vizepräsident und Hauptaktionär und fest in der Firma verwurzelt — doch das ist der Schnee von gestern. Ich bin sein Nachfolger.« Van Atta schüttelte den Kopf. »Aber ich kann es kaum erwarten zu sehen, was für ein Gesicht Sie machen, wenn Sie sehen — kommen Sie mit. Ich habe ein privates Shuttle für uns.«


Abgesehen vom Piloten hatten sie das für sechs Mann bestimmte Personalshuttle für sich allein. Der Passagiersitz verformte sich während der kurzen Perioden der Beschleunigung und paßte sich Leos Körper an. Diese Perioden waren sehr kurz; offensichtlich wurde nicht zum Wiedereintritt in die Planetenatmosphäre gebremst. Rodeo drehte sich unter ihnen und blieb weiter zurück.

»Wohin fliegen wir?«, fragte Leo Van Atta, der neben ihm saß.

»Ah«, sagte Van Atta. »Sehen Sie das Pünktchen etwa dreißig Grad über dem Horizont? Beobachten Sie es. Das ist die Heimatbasis für das Cay-Projekt.« Das Pünktchen wuchs schnell zu einer ausgedehnten chaotischen Struktur heran, voller Winkel und vorspringender Teile; seine scharf abgegrenzten Schatten waren mit konfettibunten Lichtern übersät. Leos erfahrene Augen machten Anhaltspunkte für die Funktion der Konstruktion aus, die Tanks, die Luken, die Treibhausfilter, die in der Sonne blinkten, die Größe der Sonnenkollektoren im Vergleich zum geschätzten Volumen der Struktur.

»Ein Habitat in der Umlaufbahn?«

»Sie haben’s kapiert«, sagte Van Atta.

»Es ist riesig.«

»Das kann man wohl sagen. Wie viele Leute passen da Ihrer Meinung nach rein?«

»Oh — fünfzehnhundert.«

Van Atta hob die Augenbrauen, vielleicht etwas enttäuscht darüber, daß er keine Korrektur anbringen konnte. »Fast exakt. Vierhundertundvierundneunzig turnusmäßig wechselnde Galac-Tech-Mitarbeiter und tausend ständige Bewohner.«

Leos Lippen wiederholten das Wort ›ständig‹…

»Apropos Wechsel — wie erzielen Sie bei Ihren Leuten die Null-Ge-Dekonditionierung? Ich…« — seine Augen wanderten über die enorm große Struktur — »ich sehe gar kein Trainingsrad. Gibt es keinen rotierenden Turnraum?«

»Es gibt einen Null-Ge-Sportraum. Das wechselnde Personal bekommt nach jeder Dreimonatsschicht einen Monat Aufenthalt auf dem Planeten.«

»Das ist teuer.«

»Aber wir haben das Habitat dort droben für weniger als ein Viertel der Kosten von Unterkünften gleichen Volumens in Ein-Ge-Kreiseln errichtet.«

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