Nead runzelte die Stirn. »Und wenn die Flugbahn eines fallenden Sterns die Umlaufbahn des Floßes kreuzt…«
»Dann kommen wir in Schwierigkeiten und müssen die Bäume benutzen, um die Umlaufbahn des Floßes zu ändern. Zum Glück bewegen sich Sterne und Floß so langsam aufeinander zu, daß wir genügend Zeit haben, um die Flugbahn des Sternes zu verfolgen…«
»Wenn ständig neue Sterne entstehen, warum sagen dann die Leute, daß der Nebel stirbt?«
»Weil viel weniger neue Sterne entstehen als früher. In der Frühphase des Nebels bestand er fast nur aus Wasserstoff. Die Sterne habe eine große Menge des Wasserstoffs in Helium, Kohlenstoff und andere schwere Elemente verwandelt. So sind die komplexen Strukturen entstanden, auf denen das Leben hier basiert.«
»Oder die eher uns das Leben ermöglichen. Aber was für uns Leben bedeutet, bedeutet einen langsamen Erstickungstod für den Nebel. Für sie sind Stickstoff, Kohlenstoff und die anderen Elemente Abfallprodukte. Da sie schwerer sind als Wasserstoff, legen sie sich langsam um den Kern; der restliche Wasserstoff nimmt immer weiter ab, bis er — wie heute — nur noch eine dünne Schale um den Nebel bildet.«
Nead starrte auf die wenigen jungen Sterne. »Was wird letzten Endes geschehen?«
Rees zuckte die Achseln. »Nun, wir haben schon andere Nebel beobachtet. Die letzten Sterne werden herunterfallen und erlöschen. Seiner Energie beraubt, wird das luftgestützte Leben des Nebels — die Wale, die Himmelswölfe, die Bäume und die weniger entwickelten Lebensformen, die den höheren Spezies als Nahrung dienen — aufhören zu existieren.«
»Gibt es wirklich so etwas wie Wale? Ich dachte, das wären nur Märchen.«
Rees zuckte die Achseln. »Wir haben sie hier draußen nie gesehen, aber es gibt jede Menge Berichte von Reisenden, die in die Tiefen des Nebels vorgedrungen sind.«
»Was, Sie meinen, bis hin zum Bergwerk auf dem Gürtel?«
Rees unterdrückte ein Lächeln. »Nein, noch weiter. Der Nebel ist groß, Junge; er bietet genügend Platz für Geheimnisse. Wahrscheinlich gibt es sogar versprengte menschliche Kolonien; vielleicht existieren die Boneys wirklich, und alle diese Legenden sind wahr… von den animalischen Walsängern, die im Nebel verschollen sind.«
Den Jungen schauderte es.
»Natürlich«, fuhr Rees grüblerisch fort, »gibt es Rätsel, was das ursprüngliche Leben im Nebel betrifft. Wie kann es beispielsweise überhaupt existieren? Aus unseren Aufzeichnungen geht hervor, daß das Leben in unserem Heimatuniversum Milliarden und Abermilliarden von Schichten brauchte, um sich zu entwickeln. Der Nebel ist nicht annähernd so alt — und wird es auch noch nicht sein, wenn er vergeht. Wie also konnte hier Leben entstehen?«
»Sie waren dabei, mir zu erzählen, was geschehen wird, wenn die Sterne erlöschen…«
»Richtig. Die dunkel gewordene Atmosphäre wird ihre Wärme kontinuierlich abgeben und — da sie der Anziehungskraft des Nebelkerns immer weniger wird widerstehen können — schließlich kollabieren. Zuletzt wird der Nebel nur noch eine wenige Zentimeter dicke Schicht um den Kern sein und langsam in ihn hineinstürzen…«
Der junge Mann nickte langsam mit blassem Gesicht.
»Genug«, sagte Rees energisch. »Wir wollen jetzt in den Nebel hineinschauen — über die Ekliptik des Floßes, die tausend Meilen vom Rand der Nebula entfernt ist, hinaus — ins Zentrum des Nebels.«
Nun füllte sich der Monitor mit dem vertrauten roten Himmel. Sterne waren vereinzelt am Himmel verstreut. Rees drückte eine Taste, und die Sterne schossen über den Rand des Monitors hinaus. Der Fokus raste auf den Nebel zu und vermittelte ihnen den Eindruck, als ob sie in ihn hineinstürzten.
Schließlich wurde die Sternenwolke dünner, und eine dunklere Materieansammlung schob sich in die Mitte der Wolke.
»Was du hier siehst, ist eine den Kern eng umschließende Trümmerschicht«, erklärte Rees leise. »Dahinter befindet sich ein Schwarzes Loch. Es ist nicht schlimm, wenn du jetzt noch nicht genau weißt, was das ist… Das Schwarze Loch hat einen Durchmesser von ungefähr einem viertel Millimeter; das große Objekt, das wir ›Kern‹ nennen, ist eine dichte Materieballung, die das Schwarze Loch umgibt. Wir können durch diese Trümmerschicht den Kern selbst zwar nicht sehen, aber wir vermuten, daß er ein Ellipsoid mit einer Länge von etwa fünfzig Meilen ist. Und irgendwo innerhalb des Kerns befindet sich das Schwarze Loch selbst, umgeben von einer vielleicht dreißig Meter durchmessenden Akkretionsscheibe, in der jegliche Materie zermalmt und in das Schwarze Loch gerissen wird…«
»An der Oberfläche des Kerns beträgt die Schwerkraft nur noch einige Hundert Gravos. Am äußeren Rand des Nebels — wo wir uns befinden — beträgt sie sogar nur noch ein Prozent eines Gravos; aber obwohl die Schwerkraft hier so niedrig ist, wird der Nebel durch die Gravitationswirkung des Schwarzen Lochs zusammengehalten.
Und wenn wir in den Kern selbst hineingelangen könnten, würden wir feststellen, daß die Schwerkraft dort auf Tausende, ja Millionen Gravos ansteigt. Hollerbach hat einige Theorien über die Abläufe im Nahbereich des Kerns und im Kern selbst entwickelt, einer Zone, die er als ›Gravitations-Chemie‹ bezeichnet.«
Nead runzelte die Stirn. »Verstehe ich nicht.«
»Das kann ich mir denken«, lachte Rees. »Aber ich werde es dir trotzdem erzählen, damit du später die richtigen Fragen stellen kannst…
Siehst du, in der Alltagshektik neigen die Menschen — sogar wir Wissenschaftler — dazu, die grundlegende und erstaunliche Tatsache dieses Kosmos zu vergessen — daß nämlich die Gravitationskonstante eine Milliarde mal höher ist als in dem Universum, aus dem die Menschheit kommt. Natürlich können wir die makroskopischen Effekte beobachten — zum Beispiel verfügt ein menschlicher Körper über ein ganz beachtliches Schwerefeld! —, aber was ist mit den kleinen, den subtilen, den mikroskopischen Effekten?
Im Ursprungsuniversum der Menschheit«, fuhr Rees fort, »war die Schwerkraft die einzig relevante Kraft im interstellaren Maßstab. Aber im mikroskopischen Spektrum — im atomaren Bereich — war die Schwerkraft so schwach, daß man sie als eine zu vernachlässigende Größe behandeln konnte. Selbst die elektromagnetische Kraft ist viel stärker als die Gravitation. Und das ist der Grund dafür, daß unsere Körper wandelnde elektromagnetische Käfige sind, deren Existenz durch die elektrischen Felder unserer Moleküle aufrechterhalten wird.
Aber hier…« Er rieb sich nachdenklich die Nase. »Hier liegen die Dinge anders. Hier kann unter bestimmten Umständen die Schwerkraft im atomaren Bereich genauso relevant sein wie die anderen Kräfte — womöglich sogar die dominierende Kraft.
Hollerbach spricht von einer neuen Art von ›Atom‹. Er unterstellt, daß seine Bestandteile massiv sind — vielleicht winzige Schwarze Löcher — und das Atom würde durch die Gravitation in neuartige, komplexe Strukturen eingebunden. Eine neue Art von Chemie — eine Schwerkraftchemie — wäre möglich; neue Naturgesetze, über deren Wesen selbst Hollerbach nur vage Spekulationen anstellen kann.«
Nead runzelte die Stirn. »Aber warum haben wir diese ›Gravitationschemie‹ bisher nicht beobachtet?«
Rees nickte anerkennend. »Eine gute Frage. Hollerbach nimmt an, daß erst die richtigen Bedingungen vorliegen müssen: entsprechende Temperatur und Druck sowie ein enormer Anstieg der Schwerkraft…«
»Im Kern«, keuchte Rees. »Ich verstehe. Vielleicht…«
Ein leiser Knall war zu vernehmen.
Die Brücke bewegte sich leicht, als ob ein Beben durch ihre Struktur liefe. Das Bild auf dem Monitor verschwand.
Rees fuhr herum. Ein stechender Geruch nach Feuer und Rauch stieg in seine Nase. Die Wissenschaftler liefen kopflos durcheinander, aber die Instrumente schienen intakt zu sein. Irgendwo schrie jemand.
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