Beim geringsten Zweifel unterbreche ich den Countdown.“ Er fügte hinzu: „Wann das aber sein mag weiß ich nicht. Man kann keine SBR starten, wenn die Komm-Leitungen zum Zielhafen unterbrochen sind — und der Flugleiter sagte, alle Satelliten-ReflektorVerbindungen seien verlorengegangen.“Janet verließ das Bett, richtete sich auf und gab ihm einen Kuß. „Jetzt hör auf, dir Sorgen zu machen! Auf der Stelle! Natürlich wirst du alles persönlich überprüfen, solange man die Saboteure nicht erwischt hat.
Für den Augenblick wirst du dir das Problem aber aus dem Kopf schlagen, da man dich erst wieder in den Dienst holen wird, wenn die KommVerbindungen wieder stehen. Nimm’s als Urlaub!
Was Betty und Freddie angeht, so ist es natürlich schade, daß wir nicht mit ihnen sprechen können, die beiden sind aber durchaus in der Lage, auf sich allein aufzupassen, und das weißt du natürlich. Zweifellos machen sie sich Gedanken über uns, und das ist natürlich ebenfalls überflüssig. Ich freue mich nur, daß das alles passiert ist, als du zu Hause warst — und nicht irgendwo auf der anderen Seite des Erdballs.
Du bist hier und in Sicherheit, und nur das ist mir wichtig. Wir warten hier einfach ab, bis der ganze Unsinn vorbei ist.“
„Ich muß nach Vancouver.“
„Mein lieber Ehemann, ›müssen‹ tust du überhaupt nichts mehr, außer Steuern zu zahlen und zu sterben.
Man wird nicht gleich Artefakte in die Kanzeln stekken, wenn überhaupt keine SBR starten.“
„›Artefakte!‹“ platzte ich heraus und bedauerte meine Unbedachtheit sofort.
Ian schien mich zum erstenmal wahrzunehmen.
„Hallo, Marj — guten Morgen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen — ich bedaure nur den ganzen Wirrwarr, der eingetreten ist, während du unser Gast bist. Die Artefakte, von denen Jan spricht, sind keine Geräte; sie leben. Unsere Direktion verfolgt die verrückte Idee, daß ein als Pilot entworfenes LebendigesArtefakt die Arbeit besser verrichten könnte als ein Mensch. Ich bin Gewerkschaftsabgeordneter für die Gruppe Winnipeg und muß dagegen angehen. Morgen ist in Vancouver ein Treffen der Manager-Gilde.“
„Ian“, sagte Jan, „ruf den Generalsekretär an! Es wäre dumm, nach Vancouver zu reisen, ohne vorher zurückzufragen.“
„Okay, okay.“
„Aber frage nicht nur nach der Lage. Du sollst den Generalsekretär drängen, Einfluß auf die Direktion dahingehend auszuüben, daß die Sitzung erst nach Beendigung der Krise stattfindet. Ich möchte, daß du hierbleibst und uns beschützt.“
„Das gilt aber auch umgekehrt.“
„Natürlich“, räumte sie ein. „Aber wenn es nötig ist, sinke ich dir ohnmächtig in die Arme. Was hättest du gern zum Frühstück? Mach es nicht zu kompliziert sonst erinnere ich dich an deine Küchenpflichten.“
Ich hörte nicht richtig zu. Das Wort „Artefakt“ hatte meinen Gedanken eine neue Richtung gegeben.
Ich hatte Ian — und seine anderen Freunde und Verwandten — für so zivilisiert und gebildet gehalten daß sie Lebewesen von meiner Art auf jeden Fall als vollwertige Menschen akzeptierten.
Und jetzt mußte ich erfahren, daß Ian sich darauf festgelegt hatte, seine Gewerkschaft gegenüber der Direktion zu vertreten, mit dem Ziel, einen Wettbewerb zwischen meiner Gattung und Menschen zu verhindern.
(Was sollen wir denn tun, Ian? Uns die Kehlen durchschneiden? Wir haben nicht verlangt, produziert zu werden, ebensowenig wie du gefordert hast, geboren zu werden. Mag sein, daß wir keine Menschen sind, aber wir tei-len das uralte Schicksal der Menschen: wir sind Fremde in einer Welt, die wir nicht geschaffen haben.)
„Also, Marj?“
„Äh … Entschuldigung — ich war in Gedanken versunken. Was hast du gesagt, Jan?“
„Ich habe dich gefragt, was du zum Frühstück haben möchtest, meine Liebe.“
„Ach, das ist egal. Ich esse alles, was ich zwischen die Finger bekommen kann. Soll ich mitkommen und helfen? Bitte!“
„Ich hatte gehofft, daß du das sagst. Ian ist nämlich in der Küche nicht sonderlich geschickt, obwohl er seine Dienstverpflichtung kennt.“
„Ich bin ein verdammt guter Koch!“
„Ja, mein Lieber, Ian hat es mir schriftlich gegeben jederzeit für uns zu kochen, wenn ich es wünschte.
Und das tut er auch; er hat noch nie versucht, sich da herauszuwinden. Aber ich muß schon schrecklich hungrig sein, um mich darauf einzulassen.“
„Marj, hör bloß nicht auf sie!“
Ich weiß bis heute nicht, ob Ian kochen kann — Janet aber kann es auf jeden Fall (und ebenso Georges, wie ich später erfuhr). Janet servierte uns — mit bescheidener Unterstützung durch mich — leichte, lockere und milde Käseomelettes, umgeben von dünnen zarten Palatschinken, die nach guter böhmischer Art gerollt und mit Marmelade gefüllt und mit Puderzucker überstreut waren, garniert mit trocken gebratenem Speck. Dazu Orangensaft aus frisch gepreßten Früchten — mit der Hand gepreßt und nicht durch eine Maschine zu Brei zermalmt. Und schließlich Filterkaffee aus frisch gemahlenen Bohnen.
(In Neuseeland gibt es vorzügliche Lebensmittel,während die Küche etwas zu wünschen übrigläßt.)
Georges erschien mit dem sicheren Zeitgefühl einer Katze — in diesem Falle geleitet von Mama-Katze, die Georges majestätisch vorausschritt. Sofort verbannte Janet die Jungtiere aus der Küche, weil sie zuviel zu tun hatte, um auch noch auf die herumkriechenden Kätzchen zu achten. Janet bestimmte außerdem, daß während des Essens die Nachrichten ausgeschaltet blieben und daß die Krise nicht zu den Gesprächsthemen am Tisch gehörte. Das war mir nur recht, da mich die seltsamen und schwerwiegenden Ereignisse nachhaltig beschäftigt hatten, sogar im Schlaf. Janet wies uns nicht zu Unrecht darauf hin daß nur eine H-Bombe unsere Abwehr durchstoßen könnte — eine Explosion, die wir vermutlich gar nicht mehr mitbekommen würden. Man könnte sich also genausogut entspannen und das Frühstück genießen.
Ich genoß es — ebenso die Katzenmutter, die im Gegenuhrzeigersinn um den Tisch strich und jeden von uns informierte, wenn es an der Zeit war, ihr ein Stück Speck zukommen zu lassen — ich glaube, sie bekam den größten Teil des Specks ab.
Nachdem ich das Frühstücksgeschirr abgeräumt hatte (das nicht vernichtet, sondern wiederverwendet werden sollte; in mancher Beziehung war Janet eben altmodisch), machte Janet einen frischen Topf Kaffee und schaltete die Nachrichten wieder ein. Wir setzten uns zurecht, um die Meldungen zu verfolgen und zu besprechen — diesmal nicht in dem großen Raum, den wir zum Abendessen benutzt hatten, sondern in der Küche, die das eigentliche Wohnzimmer dieser Gemeinschaft war. Janet besaß eine sogenannte „Bauernküche“, obwohl kein Bauer es je so gut gehabthatte: ein großer Kamin, ein runder Tisch für die Familienmahlzeiten mit sogenannten Kapitänsstühlen große, bequeme Freizeitstühle, das Ganze inmitten eines weitläufigen Raums, in dem es keine Verkehrsprobleme gibt, da das Kochen am entgegengesetzten Ende stattfindet. Nun durften auch die jungen Katzen wieder herein, was ihrem Protest ein Ende machte und mit steif emporgereckten Schwänzen paradierten sie über die Schwelle. Ich griff mir ein kuscheliges weißes Tier mit großen schwarzen Flecken; sein Schnurren wirkte wie das einer viel größeren Katze.
Offensichtlich hatte sich Katzenmamas Liebesleben nicht nach den Regeln des Rassebuches vollzogen; von den Kätzchen sahen sich keine zwei ähnlich.
Die Nachrichten bestanden überwiegend aus den schon bekannten Meldungen, allerdings gab es im Imperium eine neue Entwicklung:
Demokraten wurden aufgespürt, von Standgerichten (die hier Provost-Tribunale hießen) verurteilt und auf der Stelle hingerichtet — mit Laser oder Gewehren, da und dort auch mit dem Strick. Ich mußte meine Gedankenkontrolle streng handhaben, um mir das anschauen zu können. Man verurteilte sie bis zum Alter von vierzehn Jahren — wir sahen ein Elternpaar beide verurteilt, das darauf bestand, daß der Sohn der hingerichtet werden sollte, erst zwölf sei.
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