Mut Ang schien zunächst nur Karil zurückhalten zu wollen, überlegte es sich aber anders, als sein Blick auf die kraftstrotzende Gestalt Tei Erans fiel, und lud mit einer kurzen Geste auch diesen ein, mit in die Kommandozentrale zu kommen. Dort ließ er sich mit einem Seufzer der Erschöpfung in einen Sessel fallen, senkte den Kopf und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Tei und Karil verharrten in Stillschweigen; sie wollten den Kommandanten nicht stören. Das Raumschiff flog zur Zeit sehr langsam — natürlich mit kosmischem Maße gemessen. Die automatischen Steuerungsmaschinen hielten es genau auf dem sorgfältig berechneten Gegenkurs.
Mut Ang richtete sich plötzlich auf, und sein Antlitz zeigte ein halb heiteres, halb trauriges Lächeln.
„Komm, ferner Freund…“, sang er leise vor sich hin.
Teis Gesicht wurde um einen Schein finsterer, während er ununterbrochen in die stockfinstere Nacht des vorderen Radarschirms starrte. Das heitere Liedchen des Kommandanten verstimmte ihn, es erschien ihm in einem so ernsten Augenblick recht unpassend. Karil jedoch griff den Kehrreim auf und warf dem mürrischen Tei Eron einen verschmitzten Blick zu.
„Versuchen Sie doch einmal, unseren Radarstrahl etwas hin und her zu schwenken, Karil“, sagte Mut Ang, seinen Gesang jäh unterbrechend. „So etwa 2 Grad nach rechts und links, nach oben und unten.“
Tei schoß die Schamröte ins Gesicht. Ihm selbst war eine so einfache Maßnahme nicht eingefallen, aber dem Kommandanten hatte er in Gedanken Vorwürfe gemacht.
Karil leistete der Anweisung des Kommandanten Folge.
Tei Eron versank in tiefes Nachdenken. Träge wie ein Strom in flachem Gelände flossen seine Gedanken dahin, ohne irgendeine Gemütsbewegung in ihm hervorzurufen. Es kam ihm plötzlich zum Bewußtsein, daß ihn seit dem Abflug von der Erde das eigentümliche Gefühl einer gewissen Weltentfremdung nicht mehr verlassen hatte.
Ein solches Gefühl mochte dem Menschen im Urzustand des Lebens eigentümlich gewesen sein. Es war eine Empfindung völligen Losgelöstseins, des Freiseins von allen Verpflichtungen und allen Sorgen um die Zukunft. So oder ähnlich hatten wohl früher die Menschen in Zeiten großer Not, langer Kriege oder schwerer sozialer Erschütterungen empfunden, nachdem sie das Stadium der inneren Anteilnahme an den Ereignissen bereits überwunden hatten und sich willenlos dem Schicksal in die Arme warfen. Tei Eron hatte alles Vergangene, alle Erinnerungen an das, was er auf der Erde zurückgelassen hatte, von sich abgeschüttelt, und zwar für immer und unter Verzicht auf jede Möglichkeit des Widerrufs. Zwischen der Vergangenheit, von der er sich gelöst, und der Zukunft, der er sich noch nicht zugewandt hatte, war eine Kluft von Hunderten von Jahren. Jenseits dieser Kluft lag für ihn etwas gänzlich Neues, das keine Verbindung mehr zu seinem früheren Erdendasein hätte. Er hatte in dieser Hinsicht keine Pläne, Gefühle und Wünsche., Seine Aufgabe bestand darin, die Ausbeute der Weltraumreise, all das, was man dem Kosmos abgerungen hatte, auf die Erde zu bringen, wo man sehnsüchtig darauf wartete. Deshalb behagte es ihm wenig, daß jetzt die Reise durch ein Abenteuer mit Ungewissem Ausgang unterbrochen werden sollte, daß sich etwas ereignet hatte, wodurch die Erfüllung ihres eigentlichen Auftrags in den Hintergrund gedrängt wurde.
Ganz anders geartet waren die Gedanken Mut Angs während dieser Zeit des Wartens, die für ihn eine Zeit höchster Nervenanspannung war, wenn er sich das auch nicht anmerken ließ. Der Kommandant versuchte, sich das Leben auf dem ihnen entgegenfliegenden Raumschiff vorzustellen. Er malte sich im Geiste aus, wie wohl das fremde Schiff aussähe, wie seine Besatzung beschaffen sei, was für ein Leben an Bord herrsche. Und er war der festen Meinung, daß alles ganz ähnlich sein müsse wie bei ihnen, den Erdmenschen.
Plötzlich fühlte Mut Ang, der in Gedanken versunken auf den Fußboden starrte, an der jähen Bewegung seiner Gefährten, daß auf dem Leuchtschirm des Radars ein Lichtzeichen erschienen sein mußte. Er sah aber beim Aufblicken den leuchtenden Punkt schon nicht mehr, so schnell war dieser wieder verschwunden. Die Signalglocke hatte bei dem Aufleuchten kaum angeschlagen, so kurz war es gewesen. Die Raumfahrer sprangen auf und beugten sich weit über die Pulttische vor, in dem instinktiven Bestreben, dem Leuchtschirm möglichst nahe zu sein. Wenn es sich auch nur um das flüchtige Auftauchen eines Lichtpunktes gehandelt hatte — welche gewaltige Bedeutung war in diesem Aufblitzen enthalten! Jetzt stand eindeutig fest, was man bisher nur gehofft und sehnlich gewünscht hatte: Das fremde Raumschiff hatte wirklich gewendet und war zurückgekehrt. Die Unendlichkeit des Kosmos hatte es also nicht für immer verschlungen! Damit stand auch fest, daß das fremde Schiff von Wesen gesteuert wurde, die nicht weniger geschickt und erfahren in der interstellaren Raumschiffahrt waren als die Menschen der Erde; denn sie hatten es vermocht, den Kurs des Rückfluges zur ersten Begegnungsstelle ebenso exakt und rasch festzulegen wie sie selbst, die Erdmenschen. Jetzt aber waren die fremden Raumfahrer dabei, aus einer riesigen Entfernung die „Tellur“ mit ihrem Suchstrahl abzutasten. Zwei unfaßbar kleine Pünktchen, winziger als zwei Stecknadelkuppen auf dem Erdball, die sich in einer undurchdringlichen Finsternis verloren hatten, suchten einander und hatten sich gefunden! Und andererseits verbargen sich hinter diesen Pünktchen zwei gewaltige Welten, angefüllt mit ungeheuren Energien und riesigem Wissen, und beide Welten berührten sich in diesem Augenblick über die Lichtbündel ihrer Radarstrahlen hinweg.
Karil schwenkte den Strahl des Hauptradars von Teilstrich „488“ nach Teilstrich „375“ und wiederholte dies mehrfach. Auch das helle Pünktchen tauchte auf dem Leuchtschirm wieder auf, verschwand abermals, huschte erneut über den schwarzen Spiegel, plötzlich von einem abklingenden Pfeifsignal begleitet.
Mut Ang übernahm jetzt selbst die Bedienung des Radargerätes. Er begann damit, den Radarstrahl innerhalb des Anflugraumes des sich nähernden Raumschiffes eine gewaltige Spirale beschreiben zu lassen, die von der Peripherie des riesigen in den Raum gezeichneten Kreises nach innen verlief.
Die Fremden machten offensichtlich dieses Manöver nach. Nach längerem unruhigem Hin und Her blieb das Lichtpünktchen schließlich innerhalb des dritten Ringes des schwarzen Spiegels haften. Nur die zitternden Bewegungen beider Raumschiffe ließen es noch ein wenig herumtanzen. Die Signalglocke ertönte jetzt ununterbrochen, und zwar so laut, daß sie abgedämpft werden mußte. Es war kein Zweifel mehr: Auch der Radarstrahl der „Tellur“ war von den Suchgeräten des fremden Raumschiffes eingefangen worden, und beide Schiffe flogen nun direkt aufeinander zu, wobei sie sich in der Stunde um 400 000 Kilometer näherten.
Tei Eron entnahm der Rechenmaschine die von ihr ermittelten Ergebnisse und stellte fest, daß zwischen den beiden Raumschiffen eine Entfernung von ungefähr 3 Millionen Kilometern lag. Es würde also bei gleichbleibender Geschwindigkeit noch sieben Stunden bis zum Zusammentreffen der beiden Schiffe dauern. In einer Stunde konnte mit der Totalbremsung begonnen werden, wodurch die Begegnung noch einige Stunden hinausgeschoben werden würde, sofern das fremde Raumschiff ebenfalls zur Bremsung schritt und dabei mit ähnlichen Werten arbeitete. Sonst wäre es nicht ausgeschlossen, daß man abermals aneinander vorüberraste und die Begegnung wiederum in weite Ferne gerückt würde.
Einige Zeit später setzte das fremde Raumschiff weit kräftiger eis die „Tellur“ zur Geschwindigkeitsabbremsung an und wiederholte das Bremsmanöver nochmals, nachdem es die Verlangsamung des Fluges bei dem Erdschiff festgestellt hatte. In stark verminderter Geschwindigkeit kamen sich beide Schiffe näher und naher. Die Besatzung der „Tellur“ war jetzt geschlossen in der Kommandozentrale versammelt, und die Raumfahrer verfolgten in dem schwarzen Radarspiegel das Anwachsen des Lichtpünktchens zu einem leuchtenden Fleck.
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