Iwan Jefremow - Das Herz der Schlange

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Die acht Mitglieder der Mannschaft des Raumschiffes
sind auf dem Weg zu einem 300 Lichtjahre von der Erde entfernten Kohlenstoffstern, um dort die Entstehung einer Sonne zu studieren. 300 Lichtjahre, dies ist nicht nur ein weiter Weg, sondern bedeutet auch, dass die Kosmonauten erst nach 700 Jahren auf die Erde zurückkehren werden, 700 Jahre, die sie nur wenige Jahre haben altern lassen. Nicht einmal die Urenkel ihrer Freunde und Verwandten werden dann noch am Leben sein. Wie wird sie die zukünftige Erde empfangen? Trotz dieser Überlegungen haben die Kosmonauten keinen Zweifel am Sinn ihres Unternehmens.
Ihr Raumschiff, kleiner als frühere Langstreckenraumschiffe, bietet ausreichend Platz für Sport und Kunst. Hochentwickelte Technik sichert die medizinische Versorgung.
Als die Expedition zur Erde zurückkehren will, empfängt sie den Suchstrahl eines fremden Raumschiffes. In der Zeit zwischen dem ersten Funkkontakt und dem Treffen diskutiert die Mannschaft die alte amerikanische Science-Fiction-Ezählung
von Murray Leinster. In ihr wird eine ähnliche Situation geschildert, doch wie anders ist der Verlauf. In der Erzählung bestimmen Misstrauen und Angst die Begegnung — die Menschen des Großen Rings dagegen träumen schon seit Generationen von den Brüdern im All. Sie haben die feste Überzeugung, dass Zivilisationen, die weit in den Kosmos fliegen, so hoch entwickelt sein müssen, dass sie keine Aggressionen kennen.
Die Raumschiffe begegnen sich und recht schnell kommt es zur Verständigung. Äußerlich gleichen die Außerirdischen Menschen. Doch ihr Organismus basiert auf Fluor, statt auf Sauerstoff. Ein direkter Kontakt ist nicht möglich, die Fremden, die schon seit langem nach gleichartigen Zivilisationen im All suchen, bleiben auch weiterhin allein. Da empfangen sie den Hilferuf eines anderen Raumschiffes. Schon scheint alles zur Abreise bereit, da hat die Biologin eine Vision. Mit wenigen Skizzen dokumentiert sie einen grandiosen Plan — die Umwandlung des Fluor-Stoffwechsels in einen Stoffwechsel auf Sauerstoffgrundlage. Ein Plan, der in tausenden Jahren die Fluormenschen in die Gemeinschaft der galaktischen Völker führen könnte.
Die Raumschiffe trennen sich, das fremde Schiff eilt dem havarierten Raumschiff zu Hilfe, während die Tellur ihren Weg zur Erde fortsetzt…

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Das lang ersehnte gewaltige Ereignis, das erste Treffen der Vertreter verschiedener Planeten, drohte zu einem furchtbaren Unheil zu werden. Die Raumschiffe verharrten bewegungslos wie zwei feindliche Brüder im unendlichen kosmischen Raum, etwa 700 Meilen voneinander entfernt. Die Raumfahrer führten mehr als zwei Wochen lang über einen Roboter, der wie ein Boot in Kugelform im Räume schwebte, Gespräche miteinander. Beide Kommandanten versicherten sich immer wieder gegenseitig ihre Friedfertigkeit, schienen jedoch selbst nicht daran zu glauben, denn beim nächsten Gespräch ließen sie wieder durchblicken, daß man ja doch niemandem trauen könne. Die Lage wäre hoffnungslos gewesen, wenn nicht der Held der Erzählung, ein junger Astrophysiker, gewesen wäre. Er versteckte einige Bomben von starker Explosivkraft unter seiner Kleidung und erschien eines Tages zusammen mit seinem Kommandanten als Gast auf dem fremden Raumschiff. Dort stellten die Vertreter der Erde kurzerhand ein Ultimatum: Die Schiffe sollten gewechselt werden. Ein Teil der Besatzung des schwarzen Raumschiffes sollte sich an Bord des Erdschiffes begeben, und ein Teil der Erdenbürger sollte auf das fremde Raumschiff übernommen werden. Als erstes aber sollten alle Kanonen, die zur Meteoritenvernichtung bestimmt waren, unschädlich gemacht werden. Schließlich sollten die ausgetauschten Raumfahrer mit der Führung des ihnen unbekannten Schiffes vertraut gemacht werden. Auch sollten sie ihr gesamtes Gepäck mit an Bord des neuen Schiffes nehmen können. Die beiden Helden mit den Bomben sollten aber vorläufig auf dem fremden Raumschiff bleiben, damit sie es im Falle von Verrat sofort in die Luft sprengen könnten. Der Kommandant des fremden Raumschiffes nahm dieses Ultimatum an. Der Austausch der Schiffe ging reibungslos vonstatten. Bald entfernten sich das schwarze Raumschiff mit den Erdmenschen und das Erdschiff mit den Fremden an Bord vom Orte ihrer Begegnung. Im trüben Scheine des Gasnebels verloren sie sich schnell aus den Augen.

Als man im Vorlesen des primitiven Geisteswerkes des alten amerikanischen Schriftstellers bis hierher gekommen war, begann ein Gewirr aufgeregter Stimmen den Bibliotheksraum anzufüllen. Schon vorher hatte wiederholt dieser oder jener der jugendlichen Raumfahrer zu erkennen gegeben, daß er diese Art der Darstellung eines ersten Treffens im Kosmos ablehnte. Jetzt brachten sie es nicht länger fertig, sich zu beherrschen, und trotz der Unhöflichkeit, die in ihrem Verhalten erblickt werden konnte, äußerten sie laut ihren Unmut. Alle wandten sich an den Kommandanten, als sei er für das altertümliche Machwerk, das er lediglich der Vergessenheit entrissen hatte, persönlich verantwortlich.

Die meisten entrüsteten sich darüber, daß zwischen der Zeit der Handlung und der seelischen Verfassung der Helden der Erzählung ein Anachronismus bestehe. Wenn die Raumschiffahrt bereits so weit fortgeschritten war, daß sich ein Raumschiff auf eine Strecke von 4000 Lichtjahren von der Erde entfernen konnte, dann mußte die Handlung auch heute noch in der Zukunft spielen. Denn bis jetzt waren so große kosmische Entfernungen nicht erreicht worden. Demgegenüber unterschied sich das Denken und Trachten der in der Erzählung auftretenden Erdmenschen jedoch in nichts von der Denkweise zur Zeit des Kapitalismus, also einer viele Jahrhunderte zurückliegenden Epoche! Weiter wendeten die aufmerksamen Zuhörer ein, daß in technischer Hinsicht eine ganze Anzahl offenkundiger Fehler und Irrtümer in der Erzählung enthalten seien. So sei es ausgeschlossen, ein Raumschiff so rasch und einfach abzubremsen, wie das geschildert sei. Ferner sei es ganz unwahrscheinlich, daß sich denkende Wesen untereinander mittels Radiowellen verständigten. Wie in der Erzählung angedeutet sei, stammten die Fremden von einem Planeten, der eine Atmosphäre von etwa der gleichen Dichte besitze, wie sie die Erdatmosphäre habe. Da sei nicht anzunehmen, daß die Fremden gehörlos seien. Schließlich sei es auch unmöglich, daß die Erdmenschen die „Sprache“ der Fremden in so kurzer Zeit und gleich so vollendet hätten entschlüsseln können, daß sofort ihre Übersetzungsmaschinen anwendbar gewesen wären.

Tei Eron wies besonders auf die engstirnige Vorstellung vom Kosmos hin, die dieses literarische Machwerk erkennen ließ. Diese Beschränktheit in der Auffassung sei um so weniger zu verstehen, als der große Wissenschaftler Ziolkowski bereits mehrere Jahrzehnte vor der Abfassung der Erzählung die Menschheit darauf aufmerksam gemacht habe, daß der Kosmos in seinem Aufbau bedeutend komplizierter sei, als man gemeinhin angenommen habe.

„Ein Umstand ist bisher noch unerwähnt geblieben“, schaltete sich plötzlich der schweigsame Jaß Tin in das Gespräch ein. „Die Erzählung ist in englischer Sprache geschrieben worden. Alle Vornamen, Beinamen und humoristischen Redewendungen lassen den englischen Ursprung erkennen. Das ist ein Umstand, der nicht übersehen werden darf! Ich habe mich aus Liebhaberei mit Sprachforschung befaßt und besonders das Werden der ersten Weltsprache studiert. Das Englische war in der Vergangenheit eine der weitestverbreiteten Sprachen. Vielleicht kam es dem Schriftsteller darauf an, dem Leser seiner Zeit gleichsam einen Spiegel vorzuhalten und ihm dadurch die Augen zu öffnen für die Erkenntnis, daß der damalige blinde Glaube an die Unerschütterlichkeit beziehungsweise an die unbegrenzte Dauer der gerade bestehenden Gesellschaftsordnung ein Irrtum und sinnlos war. Die Langsamkeit, mit der sich beispielsweise in der antiken Welt die Sklavenhaltergesellschaft oder später die Epoche des Feudalismus entwickelte, und die erzwungene Langmut, mit der die Völker des Altertums ihre Unterdrückung ertrugen, wurden fälschlicherweise vielfach als ein Anzeichen der Stabilität überhaupt aller Formen der menschlichen gesellschaftlichen Beziehungen angesehen: der Sprachen, der Religionen und vor allem der letzten spontanen Gesellschaftsordnung, des Kapitalismus. Es gab viele, die glaubten, der gefährliche Zustand der gesellschaftlichen Ungleichheit gegen Ende des Kapitalismus könne sich niemals wieder ändern. Das Englische war bereits damals ein Überbleibsel aus vergangener Zeit, denn es enthält in Wirklichkeit zwei verschiedene Sprachen, eine Schriftund eine Lautsprache. Dadurch wird es ganz ungeeignet für unsere Übersetzungsmaschinen. Es ist erstaunlich, wie der Autor nicht begreifen konnte, daß sich eine Sprache um so mehr und um so schneller verändert, je rascher die Veränderung der menschlichen Beziehungen und der Vorstellungen von der Welt vor sich geht!

Die halbvergessene antike Sprache Sanskrit erwies sich als eine Sprache, die in ihrem Aufbau äußerst klar und streng logisch ist. Deshalb wurde sie zur Grundsprache für die Übersetzungsmaschinen gemacht. Es dauerte jedoch nicht lange, da hatte sich aus ihr die erste Weltsprache unseres Planeten herausgebildet. Allerdings hat sie seit damals noch viele Veränderungen durchgemacht. Auch sind die früheren menschlichen Vornamen nicht von Bestand gewesen, die vielfach auf religiöse Überlieferungen zurückgingen oder aus ganz fremden, teilweise bereits damals toten Sprachen stammten.“

„Jaß Tin hat eine sehr wichtige Bemerkung gemacht“, mischte sich Mut Ang jetzt in die Unterhaltung ein. „Schlimmer und gefährlicher als wissenschaftliche Unkenntnis oder eine unrichtige Methode sind Trägheit und das bewußte Festhalten an solchen Formen des gesellschaftlichen Aufbaus, die sich bereits in den Augen der Zeitgenossen offensichtlich nicht bewährt haben und deshalb ungerechtfertigt sind. Abgesehen von den verhältnismäßig seltenen Fällen einfacher Unwissenheit, fand sich die Bereitschaft zur Verteidigung solcher überholter Zustände in gewissen Schichten der Bevölkerung, denen es besser als der großen Mehrheit der Menschen ging und die auf Kosten der anderen lebten. Was bedeuteten schon für sie die ganze Menschheit, das Schicksal unseres Planeten, seine Energiereserven, die Gesundheit und das Wohlergehen seiner Bewohner?

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