„Stakendee hat gemeldet, daß der Strom merklich breiter und schneller fließt und daß die Wolken sich in Regen verwandeln. Ich habe ihm auf meine Verantwortung geraten, den Rückweg anzutreten.“
Der Captain blickte zum noch wolkenlosen Himmel empor und dann nach Westen. „Danke, Benj. Genau das hätte ich auch getan. Wir verlassen die Kwembly in kurzer Zeit. Die Vorschläge von Mr. McDevitt sind berücksichtigt worden. Bitte, gib dies an Barlennan weiter; sage ihm, daß wir mit aller Vorsicht auf mögliche Umtriebe von Eingeborenen achten werden; falls sie, wie er anscheinend vermutet, Kabremm als Kontaktperson vorgeschickt haben, werde ich mich bemühen, friedliche Beziehungen zu ihnen herzustellen. Ich habe Kabremm noch immer nicht persönlich gesehen, und ihr habt ihn seit seinem Auftauchen nicht mehr erwähnt, so daß ich über ihn so gut wie nichts weiß. Kümmere dich darum, daß man mich über Barlennans Überlegungen und Absichten informiert; gleiches werde ich von meiner Seite aus zu tun versuchen, aber es ist keineswegs ausgeschlossen, daß sich die Ereignisse überschlagen. Beobachtet eure Bildschirme gut.
Das ist vorläufig alles; wir brechen jetzt auf.“ Der Captain stieß einen gellenden Pfiff aus, der zum Glück für die menschlichen Ohren vom Sender nicht in wirklicher Lautstärke übertragen wurde.
Die Meskliniten bildeten eine unregelmäßige Kolonne, und innerhalb von zwei Minuten waren sie aus dem Aufnahmefeld des
Brückenkommunikators verschwunden. Der andere Kommunikator übertrug dem Bildschirm nichts als das Licht der Lampen, die an der Spitze der Kolonne getragen wurden. Die Meskliniten, die nur zwei oder drei Meter von der Kamera entfernt vorbeimarschierten, ließen sich ganz deutlich erkennen, während sie mit ihren Lasten über das steinige Gelände kletterten, mehr allerdings nicht.
Der Kolonne konnten zu beiden Seiten ganze Heerscharen von Eingeborenen auflauern, ohne daß die Menschen dies zu erkennen imstande sein würden. Aucoin war weder der erste noch der letzte, der Dhrawns eintausendfünfhundert Stunden dauernde Rotation verfluchte; es galt noch über sechshundert Stunden abzuwarten, bevor das schwache Tageslicht von Lalande 21.185 zurückkehrte.
Der Fluß war noch schmal, als die Kolonne ihn durchquerte, obwohl Stakendee, der sein Anschwellen gemeldet hatte, sich nur wenige Meilen weiter westlich befand. Benj gelangte zu der Auffassung, daß Stakendees Gruppe wohl den Fluß ebenfalls alsbald überqueren sollte, damit sie sich am anderen Ufer der Kolonne anschließen konnte. Allerdings trug er seinen Vorschlag Dondragmer vor, statt sich direkt an Stakendee zu wenden. Der Captain, der der beiden Kuriere gedachte, die er stromaufwärts geschickt hatte, riet hastig dazu, die Flußüberschreitung so lange wie möglich zu verschieben, damit Stakendee das Anschwellen der Flut zu verzeichnen in der Lage sei. Benj und Easy akzeptierten diese Ausrede. Ib Hoffman, der genau wußte, daß der Spähtrupp keine Chronometer mitführte und deshalb über die Flutentwicklung gar keine vernünftigen Angaben machen konnte, war einige Sekunden lang recht verwirrt. Dann lächelte er verschmitzt.
Die nächsten beiden Stunden gab es kaum etwas zu beobachten. Die Besatzung der Kwembly erklomm das steinige Ufer und erreichte die Stelle, an der die zuerst abtransportierten Ausrüstungsgegenstände deponiert worden waren, und begann, so etwas wie ein Lager zu errichten.
Natürlich wurden die Versorgungsvorrichtungen vorrangig betreut. Es würden noch viele Stunden vergehen, bevor die ersten Schutzanzüge der Vorratsergänzung bedurften, doch ausbleiben konnte dies nicht. Am zweitwichtigsten waren die Nahrungsvorräte. Die Meskliniten erledigten die hiermit verbundenen Arbeiten schnell und routiniert. Dondragmer, ein erfahrener Segler, vermochte die bei einer Havarie anfallenden Probleme glänzend zu bewältigen.
Schließlich setzte Stakendees Gruppe über den Fluß und erreichte bald darauf das im Aufbau befindliche Lager. Dondragmer hatte der Durchquerung zugestimmt, nachdem über Benj eine Durchsage gekommen war, in der rein zufällig der Name eines der beiden Kuriere fiel, die er ausgeschickt hatte.
Folglich blieb das Anwachsen des Ammoniak-Wasser-Stroms sowohl menschlichen als auch mesklinitischen Augen verborgen. Der Anblick wäre allerdings höchst interessant gewesen. Zuerst handelte es sich um nicht mehr als ein dünnes Rinnsal, das von den höheren Ebenen des Flußbettes von einer Bodenkuhle zur nächsten sickerte. In dem Maße, wie der Flüssigkeitsgehalt des Nebels sich niederschlug, begannen neue, dünne Zuflüsse den Hauptstrom von beiden Seiten aus zu speisen, wodurch der Fluß tiefer wurde und anschwoll. Da und dort gefror er vorübergehend, als Wasser, das aus stromaufwärts gelegenen vereisten Tümpeln stammte, mit aus dem Nebel sich ablagerndem Ammoniak eine eutektische Verbindung einging, die bei der herrschenden Temperatur jedoch unvermeidlich in flüssigen Zustand übergehen mußte. Die Temperatur betrug etwa 174 Grad Kelvin und ungefähr 71 Grad nach der von den mesklinitischen Wissenschaftlern benutzten Skala. Die Flut verstärkte sich, während sie sich der Kwembly näherte; mehr und mehr Wassereis schmolz, und die Aggregatprozesse wurden komplizierter. Das Ammoniak verwandelte eine Zeitlang Eis in Flüssigwasser, und die Mischung rann stromabwärts. Dann erstarrte der Strom infolge der Anreicherung mit Ammoniak für eine Weile wie das Wachs einer erloschenen Kerze, um sich anschließend, als das untergelagerte Eis mit der Mischung eine Reaktion einging, wieder zu verflüssigen. Endlich erreichte die Flut das Loch, das man auf der Steuerbordseite der Kwembly in die Eisschicht geschmolzen hatte, so daß die Menschen die Entwicklung fortan beobachten konnten. Zu diesem Zeitpunkt bestand der sogenannte Strom aus einer verwirrenden Vielfalt von flüssigen und gefrorenen Verbindungen und erstreckte sich über ungefähr zwei Meilen. Das Eis löste sich nach und nach auf. So weit stromabwärts standen noch keine Wolken am Himmel, doch war die Atmosphäre so mit Ammoniak gesättigt, daß es zu kondensieren begann. Das ammoniakarme Wassereis, das eine Schicht zwischen dem Felsuntergrund und dem Flüssigkeitsstrom bildete, begann dadurch zu tauen und löste sich allmählich auf. Die Flüssigkeit neigte erne ut zur Erstarrung, als sie noch mehr Ammoniakdunst absorbierte, aber ihr Vordringen bereicherte sie auch um mehr Wassereis. Sehr langsam, so unauffällig, daß weder die Menschen noch die beiden in der Matratzenzelle hockenden Meskliniten die Veränderung bemerkten, löste das Eis seine Umklammerung um die Kwembly, und schließlich lag das Fahrzeug eisfrei. Inzwischen hatte sich das gesamte Flußbett mit Flüssigkeit gefüllt, die nur noch sehr wenige Eisschollen mitführte. Eine sehr schwache Strömung begann sich zu entwickeln.
Unbemerkt von den Menschen und unbemerkt von den beiden Meskliniten schickte die Kwembly sich an, mit dieser Strömung zu treiben, so sanft, daß weder die Augen der Menschen noch die Nervensysteme der Steuerleute auch nur die leiseste Bewegung registrierten.
Der Fluß, der sich auf dem großen Plateau gebildet hatte, wand sich durch eine Kette von Hügeln, die für Dhrawns Verhältnisse respektable Bodenerhebungen waren; er floß aus dem Nordwesten etwa viertausend Meilen weit nach Südosten. Die erste Flutwelle hatte das Fahrzeug über einen Paß in der Nähe des südöstlichen Endes der Flußlänge und in eine niedrigere Region am Rande der Tiefdruckzone Alpha gespült. Diese Flut war das erste recht zögernde Anzeichen für die jahreszeitliche Wetteränderung gewesen, die aus Dhrawns Annäherung an seine Sonne resultierte.
Die zweite Flut war identisch mit der tatsächlichen Flußbildung und würde erst aufhören, nachdem der gesamte Schnee geschmolzen war, über ein Erdjahr später. Die Kwembly bewegte sich so schwach, weil sie nur langsam freischmolz; daran änderte sich auch nichts, als sie schließlich weiter abtrieb, denn der inzwischen völlig verflüssigte Strom war zu breit und tief. Beetchermarlf und Takoorch waren vielleicht ein wenig durch den fallenden Wasserstoffdruck verwirrt, doch selbst wenn sie die leisen Bewegungen des Fahrzeugs bemerkt hätten, würden sie sie wahrscheinlich ihren eigenen Regungen auf dem flexiblen Material der Pneumatik zugeschrieben haben.
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