„Inzwischen habe ich über Kabremms Auftauchen sehr viel Überlegungen angestellt“, sagte Barlennan, „und nur eine Theorie wirkt einigermaßen wahrscheinlich auf mich. Wie du weißt, haben wir jederzeit die Möglichkeit berücksichtigt, daß auf Dhrawn eine intelligente Rasse existieren könne. Eure Wissenschaftler waren sogar schon vor unserer Landung davon überzeugt, daß es hochentwickeltes Leben geben müsse — wegen des hohen Sauerstoffanteils der Atmosphäre, sagten sie. Bisher haben wir nur ein paar niedrige Pflanzen und Tiere von nur mikroskopischer Größe entdeckt, aber die Esket ist weiter in die Tiefdruckzone Alpha vorgedrungen als alle anderen Forschungsfahrzeuge, und die Umweltbedingungen dort sind anders. Die Temperaturen sind höher, soviel steht fest, und wir können kaum ahnen, in welchem Umfang diese Tatsache andere Faktoren zu beeinflussen vermag.
Bis heute galt die Möglichkeit, daß die Esket intelligentem Leben begegnet ist, nur als eine Möglichkeit unter vielen, die nicht mehr Rückhalt als andere besaß. Allerdings läßt sich nicht anzweifeln, und eure Wissenschaftler haben es wiederholt betont, daß kein Besatzungsmitglied der Esket ohne Versorgungsausrüstungen oder ähnlichen Vorrichtungen so lange Zeit hätte überleben können. Die Besatzung kann selbstverständlich auch nicht die Entfernung überwunden haben, die zwischen der unveränderten Position der Esket und der gegenwärtigen Position der Kwembly liegt. Daraus ziehe ich den Schluß, daß Kabremms Auftauchen in der Nähe der Kwembly als stichhaltiger Beweis dafür betrachtet werden muß, daß Destigmets Mannschaft von Eingeborenen des Planeten Dhrawn überwältigt und gefangengenommen wurde. Ich weiß nicht, warum es möglich war, daß Kabremm sich mit dem Suchtrupp traf; vielleicht ist er entflohen, aber ich könnte mir nicht erklären, wie er es unter solchen Umständen gewagt haben sollte. Es ist wahrscheinlicher, daß die Eingeborenen ihn absichtlich geschickt haben, um mit uns in Kontakt zu treten. Ich wünsche ausdrücklich, daß diese Theorie zur Beurteilung an Dondragmer übermittelt wird und daß er Kabremm — falls er noch zur Verfügung steht — eingehend nach allen erhältlichen Informationen befragt. Man hat mir nicht mitgeteilt, ob er sich noch beim Suchtrupp befindet oder nicht. Werdet ihr das an Dondragmer weitergeben?“
Mehrere Stückchen des Mosaiks, das sich in Ib Hoffmans scharfsinnigem Bewußtsein zu bilden begonnen hatte, rutschten urplötzlich an den richtigen Platz. Seine wortlose Bewunderung für den Commander blieb unbemerkt, sogar von Easy.
Barlennan war außerordentlich zufrieden mit seiner Durchsage. Er hatte nicht die geringste Kleinigkeit falsch formuliert. Ungünstigstenfalls konnte man ihn verwegener Spekulationen bezichtigen. Wenn einige der Menschen nicht schon einen dringenden Verdacht hegten, gab es keinen Grund für sie, seine vorgebliche Theorie nicht an den Captain der Kwembly weiterzuleiten.
Er war überzeugt, sich auf Dondragmer verlassen zu können, vor allem was den listigen Hinweis anging, daß Kabremm zwecks Erteilung weiterer Aufschlüsse womöglich nicht zur Verfügung stünde. In gewisser Hinsicht war es nachteilig, sich so viel früher des Tricks mit den angeblichen Eingeborenen bedienen zu müssen; es hätte ihm besser gefallen, die Menschen zu diesem Gedanken zu verleiten, ohne ihn selbst auszusprechen; aber Barlennan wußte nur zu gut, daß jeder Plan, der sich unter neuen Umständen nicht modifiziert anwenden ließ, ein armseliger Plan war.
Aucoin war reichlich verunsichert. Persönlich hatte er nie daran gezweifelt, daß Easy einer Täuschung erlegen war, weil er die Esket schon lange so gut wie völlig abgeschrieben hatte, und daß Barlennan ihre Auffassung teilte, versetzte ihm einen ernsten Schlag. Er wußte, daß Easy bei weitem die kompetenteste Person im Satelliten war, um einen Meskliniten zu identifizieren; allerdings hatte er nicht damit gerechnet, daß auch die Meskliniten um diese Tatsache wußten. Er ärgerte sich nun darüber, den beiläufigen Konversationen zwischen Menschen (hauptsächlich Easy) und den Meskliniten während der letzten Monate nicht genügend Beachtung geschenkt zu haben. Ihm war der Kardinalfehler aller Vorgesetzten unterlaufen, bestimmte Aspekte aus dem Blickfeld entgleiten zu lassen.
Jedenfalls, er sah keinen Anlaß, die Erfüllung von Barlennans Forderung zu verweigern. Er musterte die anderen. Easy und Mersereau sahen ihn erwartungsvoll an; die Hand der Frau lag auf dem Mikrofonselektor in der Armlehne ihres Sessels.
Das Gesicht ihres Mannes zeigte ein unerklärliches Lächeln, das Aucoin einen Moment lang etwas verwirrte, doch als sich ihre Blicke trafen, nickte Hoffman, als habe er die Theorie des Meskliniten analysiert und sie für vernünftig befunden. Der Planer zögerte noch eine Sekunde länger und sprach dann in sein Mikrofon. „Wir werden das sofort erledigen, Commander.“ Er nickte Easy zu, die prompt ihren Selektor betätigte und die Durchsage an Dondragmer weiterzuleiten begann.
Während sie dies tat, kehrte Benj zurück, dem offensichtlich neue Informationen auf den Lippen lagen, aber er beherrschte sich, als er bemerkte, daß gerade ein Gespräch mit der Kwembly geführt wurde. Sein Vater beobachtete den Jungen, während Easy dem Captain Barlennans Theorie ausrichtete, und vermochte seine Erheiterung nur mühsam zu verbergen. Man sah Benj nur allzu deutlich an, daß er die Idee restlos akzeptierte.
Nun, er war jung und seine Mutter anscheinend auch ein wenig unkritisch.
„Barlennan möchte deine Meinung dazu hören und ganz besonders irgendwelche weiteren Angaben von Kabremm“, beschloß Easy ihren Bericht. „Das ist alles — nein, warte…“ Sie hatte Benj bemerkt. „Mein Sohn ist aus dem Meteorologischen Labor zurückgekommen und hat anscheinend Neuigkeiten für dich.“
„Mr. McDevitt hat die jüngsten Meßdaten verarbeitet“, fing Benj ohne jede Einleitung zu sprechen an. „Er hat sich in seiner Annahme über die Ursache des Schmelz- und Gefrierprozesses sowie über die Natur der Wolken, die Stakendee gesehen hat, nicht getäuscht. Die Möglichkeit ist groß, daß ihre Kondensation zunehmen und den Fluß anwachsen lassen wird. Er schlägt vor, daß du möglichst exakt den Zeitpunkt verzeichnest, wann die Wolken die Kwembly erreichen, wie er es schon einmal erwähnte. Er sagt, je später dies sein wird, um so schlimmere Ausmaße wird die entstehende Flut annehmen. Ich verstehe das nicht, aber so lauten die Computerergebnisse. Ich soll dich ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Wahrscheinlichkeit einer Fehlinformation auch diesmal nicht geringer ist als bei früheren Gelegenheiten. Er hat sich ausführlich über die Gründe geäußert, aus welchen er so wenig sicher sein könne, aber davon habe ich dir ja schon einmal erzählt.“
Dondragmers Antwort erreichte den Satelliten fast sofort nach Ablauf der Übermittlungsverzögerung; nach Anhörung von Benjs Bericht konnte er kaum länger als zwei Sekunden verwandt haben, um sich für den Inhalt seiner Antwort zu entscheiden.
„Ausgezeichnet, Benj. Bitte richte Barlennan aus, daß seine Idee vernünftig klingt, das heißt, sie bietet zumindest eine vernünftige Erklärung für das Verschwinden meiner beiden Helikopter. Ich hatte bisher keine Gelegenheit, mich persönlich von Kabremm informieren zu lassen — falls er es wirklich war; ich habe ihn nicht gesehen. Er ist nicht zur Kwembly gekommen. Ihr müßtet besser wissen als ich, ob er sich noch bei Stakendee befindet. Ich werde Maßnahmen für den Fall einleiten, daß die Vermutung des Commanders sich als richtig erweist. Hätte ich früher an diese Möglichkeit gedacht, würde ich selbstverständlich nicht fast die gesamte Mannschaft nach draußen geschickt haben, um den Notstützpunkt am Ufer des Flußbetts errichten zu lassen. Aber dieser Beschluß dürfte trotzdem richtig sein. Ich sehe keine Chance, das Fahrzeug in einem angemessenen Zeitraum freizulegen. Und wenn Mr. McDevitt auch nur annähernd über das Entstehen einer neuen Flut sicher ist, müssen wir die Räumung der Kwembly kurzfristig abschließen.
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