Sagitta, Oulu Nikeria und Norbert Franken, auch Filitra Goma und andere Besatzungsmitglieder saßen noch in der Speisekabine, als der Alarm durch die Räume schrillte. Alle sprangen auf. Hastig wurden die Stühle in die Bodenrasten gestoßen, die das Mobiliar bei Schwerelosigkeit, Beschleunigungen oder Abbremsungen festhielten. Schnell wurden auch die Speisereste und das Geschirr in den Reinigungsautomaten gestopft. Dann drängten alle zur Tür.
„Mirsanow ist ein alter Fuchs“, stieß Norbert Franken im Laufen heraus. „Uns nichts zu sagen! Er hat doch gewußt, daß es Alarm geben wird. Woher?“
Die Astronauten aus dem Speisesaal kamen im Zentralposten als letzter Trupp an. Gleich nach ihrem Eintreffen begann der Kommandant mit seinem Situationsbericht.
„Ich lege jetzt das Radarbild auf den großen zentralen Bildschirm“, sagte er zu Beginn. Ein Schalter knackte. „Wie ihr seht, bleibt die Bildfläche leer. Aus welchem Grund ist Radaralarm gegeben worden, werdet ihr nun fragen. Ich kann euch mitteilen, daß uns das Radar vermutlich in Kürze einen Meteoritenschwarm melden wird.“
„Da werden wir in den nächsten zwölf bis vierzehn Stunden reichlich zu tun haben“, raunte Paro Bacos dem neben ihm stehenden Oulu Nikeria ins Ohr.
„Professor Mirsanow hat bei der Durchsicht von Tabellen bekannter Meteoritenschwärme festgestellt, daß heute mittag in den Bereich der Flottille ein Schwarm von Meteoriten einfliegen muß“, fuhr Kerulen fort. „Es handelt sich um den Meteoritenschwarm MRGC 763 (F 12). Die Überprüfung ergab, daß unser Raumschiff diesem Schwarm am nächsten ist. Die genannten Meteoriten sind vor rund siebzig Jahren von einer unbemannten Forschungsrakete registriert und katalogisiert worden; es sind nur die Bahnelemente des Schwarmes bekannt.
Wir werden also die Meteoriten suchen, anfliegen und vernichten. Ich ordne an, daß der Bereitschaftsdienst für den zentralen Steuerraum von vier auf sechs Astronauten verstärkt wird und daß sich die einzelnen Sechsergruppen ab sofort stündlich ablösen. Wir werden bei der Bekämpfung des Feldes viel systematische Kleinarbeit leisten müssen. Dazu brauchen wir eine gut ausgeruhte Mannschaft hier im zentralen Steuerraum.“
Kerulen mußte seine Erläuterungen abbrechen, denn alle Köpfe wandten sich auf einmal dem großen Bildschirm zu. Dort begann sich auf dem vergrößerten Radarbild eine tellergroße nebelhafte Radarreflexion abzuzeichnen. Sie wirkte wie eine dünne Staubschicht auf dem Glas des Schirmes. Kerulen dunkelte den Steuerraum ab. Sogleich trat das Objekt deutlicher hervor.
Die Astronauten begannen lebhaft zu debattieren. Sie zogen die verschiedenen Möglichkeiten der Bekämpfung der Meteoriten in Betracht.
„Ob wir andere Raumschiffe hinzuziehen müssen?“ fragte Sagitta, sich im Kreise umblickend. Paro Bacos wiegte ungewiß den Kopf. „Wir müssen uns erst einmal bis auf einige hundert Kilometer herantasten und die Größe des Schwarmes feststellen“, antwortete er. Filitra hörte zu. Unbehagen beschlich sie. Schnell warf sie einen Blick auf den großen Bildschirm, wo der Nebelfleck merklich wuchs. „Vielleicht sollte man den Schwarm erst einmal in einem großen Bogen umfliegen“, riet sie zaghaft. Sie erntete brausendes Gelächter. Die Asteroidenjäger, an den ständigen Kontakt mit den Feinden der Raumfahrt gewöhnt, dachten nicht daran, dem Meteoritenschwarm auszuweichen.
Kerulen schaltete inzwischen den Pilotron, den automatischen Astropiloten ab. Er mußte jetzt den weit rechts voraus liegenden Meteoritenschwarm ansteuern. Nachdem der Raumjäger auf neuem Kurs flog, vertraute er dem Pilotron wieder die Steuerung an.
Aus seinem Kommandantensessel aufstehend, sagte er: „Also, in zwei Stunden können wir da sein. Gegen fünfzehn Uhr werden wir den Schwarm eingeholt haben. Wir beginnen jetzt mit den üblichen Vorbereitungen.“ Die Raumfahrer verließen einer nach dem anderen den Steuerraum, um sich an ihre Alarmplätze auf den verschiedenen Stationen des Raumschiffes zu begeben.
„Ich bitte unsere vier kosmischen Reiseneulinge hierzubleiben“, sagte der Kommandant: „Ihr könnt euch an der Beobachtung des Feldes beteiligen, damit ihr Erfahrungen sammelt und euch mit der Methodik der Vorbereitung einer solchen Meteoritenbekämpfung vertraut macht. Habt ihr Fragen?“
Filitra Goma nutzte diese Aufforderung. „Wenn der MRGC-Nebel ein Meteoritenschwarm sein soll, müßte er doch auf dem Radarbild nicht als milchiger Fleck, sondern als eine Anhäufung zahlreicher kleiner Fünkchen zu sehen sein. Jeder einzelne Meteorit ergibt doch eine helle, punktartige Radarreflexion, nicht wahr? Da das nicht so ist, haben wir vielleicht keinen Meteoritenschwarm, sondern einen kleinen kosmischen Dunkelnebel vor uns.“
„Scheinbar richtig überlegt“, sagte der Kommandant. „Moment, überzeugen wir uns doch und machen wir eine Probe.“
Er nahm die Radarwiedergabe durch einige Schalterdrehungen von dem großen Bildschirm herunter und legte dafür ein Fernsehbild auf die zwei mal fünf Meter große Glasfläche. Wieder hatte man das Gefühl, als würde die Wand durchsichtig. Ein wunderschönes Bild von Licht und Dunkelheit tat sich auf. Filitra erschauerte, so großartig war für sie dieser Anblick.
Quer über den tiefschwarzen Hintergrund zog sich von links nach rechts das helle, ungleichmäßige, schmale und wolkige Lichtband der Milchstraße. Mitten in dieses helle Band ragte deutlich erkennbar und scharf abgegrenzt der schwarze Umriß eines Pferdekopfes hinein. Er wirkte wie ein Scherenschnitt.
„Was Sie hier sehen, Filitra, ist der berühmte Pferdekopfnebel im Sternbild des Orion, einer der bekanntesten und charakteristischsten Dunkelnebel. Er ist Hunderte Lichtjahre von uns entfernt“, erklärte Axel Kerulen. „Bei den Dunkelnebeln handelt es sich um Anhäufungen gas- und staubförmiger Materie. Diese Nebel bestehen zumeist aus metallischen Partikeln, die wie lichtundurchlässige Vorhänge vor den Sternenwolken verharren. Diese Vorhänge sind unvorstellbar dünn. Erst 1000 Kubikkilometer Weltraum enthalten 1 Gramm dieses metallischen Staubes.“
Wieder knackte der Schalter. Der Pferdekopf verschwand, und statt dessen erschien ein neues Sternenpanorama auf der Glasfläche.
„Ihr seht nun den Teil des Kosmos vor euch, in dem uns das Radar vorhin den MRGC-Nebel gezeigt hatte. Wäre an dieser Stelle ein Dunkelnebel, so müßte dort ein schwarzer Fleck wie im Sternbild des Orion sichtbar sein. Er müßte sich genauso deutlich vom Hintergrund der Sterne abheben wie der Pferdekopf. Wie ihr aber seht, ist dies nicht der Fall. Das kann auch gar nicht anders sein, denn Dunkelnebel sind stets viele Lichtjahre entfernt. Sie können wegen dieser großen Entfernung, wegen ihrer ungeheuren Ausdehnung und wegen ihrer geringen Dichte unmöglich auf einem Radarschirm sichtbar gemacht werden. Sie sind für uns nur optisch sichtbar. Der milchige Fleck auf unserem kombinierten Radar- und Fernsehschirm ist dagegen nur rund 10000 Kilometer entfernt. Später, wenn wir näher herangekommen sein werden, wird sich dieser matte Fleck in zahlreiche punktförmige Radarreflexionen auflösen. Wir können also mit Sicherheit annehmen, daß wir den Meteoritenschwarm MRGC 763 (F 12) vor uns haben.“
„Wenn man das Fernsehbild ohne die Radareinstellung betrachtet, sieht es aus, als gäbe es vor uns nichts, was uns gefährden könnte. Wie trügerisch ist das!“ sagte Oulu wie zu sich selbst in das entstandene Schweigen hinein, das nach der langen Erklärung des Kommandanten entstanden war. „Ohne Radar würden wir mitten in den Schwarm hineinrasen.“
„So ist es“, nickte Kerulen. Abermals knackte der Schalter. Das Fernsehbild mit den unzähligen Sternen zerging, und nur die Radarwiedergabe blieb auf dem Schirm sichtbar. Der milchige Fleck des Meteoritenschwarms hatte sich inzwischen weiter vergrößert. „Wenn sich also unser Meteoritenschwarm, der morgen um diese Zeit schon nicht mehr existieren wird, weil wir ihn ausgelöscht haben werden, jetzt noch nicht als eine Ansammlung nadelstichfeiner Lichtpunkte zeigt, so kann das daran liegen, daß unser Raumschiff noch zu weit weg ist oder daß die Meteoriten äußerst klein sind“, schloß Kerulen seine Erklärung. „Wir müssen uns selbstverständlich, bevor wir mit der Bekämpfung der Meteoriten beginnen, über den Aufbau und die Gliederung des Schwarmes, über seine Größe und seinen Umfang, seine Zusammensetzung und Dichte vergewissern.“ Damit wollte Kerulen eigentlich seinen kleinen Vortrag für die Jungkosmonauten beenden. Aber die vier gaben sich noch nicht zufrieden.
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