»Und Sie waren natürlich dabei«, sagte Skander.
»O ja. Ich kam in eine neue Welt. Ich entdeckte, daß die Reichen, die ich beneidet hatte, von größeren Reichtümern träumten, und daß die Macht nicht vom Gehorsam gegen das Gesetz rührte, sondern vom Nichterwischtwerden. Ich stieg in der Organistion auf. Ich aß gut, wurde dick, kommandierte die Leute herum. Ich habe — hatte — meinen eigenen Besitz auf einer Privatwelt der Bosse. Bedient nur von jungen Frauen, die alle schwammsüchtig waren. Viele waren Sklavinnen, andere hatte ich zu Tieren gemacht. Sie streifen nackt durch den Wald, leben in Bäumen, fressen den Abfall, den ich ihnen bringen lasse.«
Skander hatte ein flaues Gefühl im Magen, hörte aber trotzdem fasziniert zu.
»Aber das ist jetzt vorbei«, sagte Skander mit erzwungener Ruhe.
»Nicht vorbei«, erwiderte Hain erregt. »Jetzt werde ich Mutter werden.«
Es gab nichts, was Skander sagen konnte. Mitleid gab es für das, was Hain war oder hätte sein können — nicht für das, was das Wesen jetzt geworden war.
»Was erhoffen Sie sich von alledem, Skander?«fragte Hain plötzlich. »Warum alle diese Mühen, diese Anstrengungen? Was wollen Sie?«
»Ich will die Menschheit zu sich selbst zurückführen«, erwiderte Skander heftig. »Ich will die genetischen Ingenieure loswerden, die gleichgeschalteten Philosophen auf den Kom-Welten. Ich will, daß wir umkehren, Hain. Ich will die Menschen wieder menschlich machen, selbst wenn ich die Zivilisation zerstören muß, um die Menschheit zu retten. Wir werden zu einer Rasse von Robotern, Hain. Wir beseitigen die Roboter, oder wir treten das Universum an andere Rassen ab. Die Markovier sind an der Stagnation zugrundegegangen, Hain, und uns wird es genauso ergehen, wenn nicht Einhalt geboten wird.«
Hain hatte Fanatiker, Welterlöser und Visionäre nie gemocht, aber es blieb nichts anderes, als sich zu unterhalten.
»Sagen Sie, Skander, würden Sie zurückgehen? Wenn Sie könnten, meine ich. Würden Sie zurückgehen, wenn Ihr Wunsch erfüllt würde, oder hierbleiben?«
»Ich glaube, ich könnte meine Tage hier beenden, wenn ich bekäme, was ich will«, erwiderte Skander. »Es gefällt mir hier — die Vielfalt, die Herausforderungen. Ich hatte keine Zeit, das Dasein als Umiau zu genießen. Aber ich möchte sehen, was unsere kleine Rasse erreichen würde, wenn mein Plan in Erfüllung ginge. Und würden Sie zurückgehen?«
»Nur als Königinmutter der Akkafier«, sagte Hain sofort. »An der Seite meines geliebten Herrn Azkfru. Nur um zu herrschen, würde ich zurückkehren, Skander. Für nichts Geringeres.«
Ortega glitt heran. Er hatte kleine Pistolen in den Händen und legte je eine vor Skander und Hain hin.
»Pistolen für alle«, sagte er leichthin. »Hübsche kleine Energiewaffen. Sie funktionieren hier, wie in jedem Hoch-Tech-Hex. Bei allen, nur bei mir nicht. Das verhindert eine hübsche kleine Schaltung.«
Skander griff nach der Waffe und sah Ortega in die Augen.
»Sie erwarten, daß wir uns gegenseitig umbringen, nicht wahr? Sie erwarten, daß der Teufel los ist, wenn wir im Schacht sind und wissen, wie er arbeitet. Und den Sieger erledigen Sie.«
Ortega zuckte mit den Achseln und lächelte.
»Ist eure Sache«, erklärte er. »Ihr könnt mit mir oder untereinander Kompromisse schließen oder es mit den Waffen austragen. Aber am Ende bin ich auf jeden Fall dabei.«Er glitt davon, um an die anderen Waffen auszuteilen.
* * *
Varnett kam zu Brazil, der noch vor der Barriere stand.
»Brazil?«sagte er leise. »Sind Sie wach?«
»O ja, ich bin wach,«erwiderte Brazil und drehte langsam den Kopf. »Ich habe nur nachgedacht. Mir hat diese Sache Spaß gemacht, wissen Sie, sehr viel Spaß. Jetzt ist sie vorbei, zu Ende. Und sie endet wie alle anderen Episoden in meinem Leben. Ich muß wieder weitermachen.«
»Ich verstehe Sie ganz und gar nicht, Brazil«, sagte Varnett verwirrt. »Sie führen das Kommando. Sie allein wissen, was dort ist. Sie haben ein Mädchen, das Sie liebt, und eine Zukunft. Was ist los mit Ihnen?«
Brazil schüttelte langsam den Kopf.
»Ich habe keine Zukunft, Varnett«, sagte er. »Dieser Teil des großen Stückes ist vorbei. Ich kenne das Ende schon und finde es nicht gut. Ich sitze in der Falle, Varnett, ich bin verdammt. Diese Ablenkung war gut für mich, aber nicht für lange, weil sie auch zuviel Schmerz und Sehnsucht wiedergebracht hat. Und was Wuju angeht — sie liebt nicht mich, Varnett. Sie hat ein tiefes Bedürfnis, geliebt zu werden. Sie liebt ein Symbol, etwas, das Nathan Brazil mit ihr und für sie getan hat, etwas in der Art, wie er auf sie reagierte. Aber sie will von mir, was ich ihr nicht geben kann. Sie will ihren Traum der Normalität.«Er streckte die Beine. »Ich bin nicht normal, Varnett«, sagte er traurig. »Ich kann ihr geben, was sie will, braucht, verdient. Ich kann es für euch alle tun. Aber ich kann nicht beteiligt sein, das ist der Fluch.«
»Hört sich für mich nach grandiosem Selbstmitleid an«, sagte Varnett spöttisch. »Warum nicht nehmen, was Sie wollen, wenn Sie das alles können?«
»Sie werden es bald wissen«, entgegnete Brazil seufzend. »Sie müssen sich nur eines merken, Varnett, bei allem, was geschieht: Innerlich bin ich nicht von euch verschieden.«
»Was würden Sie wollen, wenn Sie alles haben könnten?«fragte Varnett.
Brazil sah ihn gequält an.
»Ich will sterben, Junge. Ich will sterben — und ich kann nicht. Nie. In keiner Weise. Und ich wünsche mir so den Tod.«
Varnett schüttelte verständnislos den Kopf.
»Ich begreife Sie einfach nicht, Brazil.«
»Was wollen Sie, Varnett?«fragte Brazil scharf. »Worum geht es Ihnen?«
»Ich habe viel darüber nachgedacht«, erwiderte der andere. »Ich bin erst fünfzehn Jahre alt, Brazil. Fünfzehn. Meine Welt bestand immer aus entmenschlichten Leuten und kalter Mathematik. Jetzt bin ich der älteste Fünfzehnjährige meiner Rasse. Ich glaube, ich möchte das Leben genießen, ein menschliches Leben genießen — und auf irgendeine Weise meinen Beitrag zum Fortschritt leisten. Diesen Sturz der Menschheit in eine markovische Hölle verhindern und versuchen, die Gesellschaft aufzubauen, die sie aus ihren Zehntausenden von Kulturen und Rassen zu entwickeln hofften. Im Schacht der Markovier ist Größe, ein vielleicht nicht realisiertes Potential, aber wahre Größe. Ich möchte sehen, daß sie erreicht wird, daß die Gleichung gelöst wird, mit der die Markovier nicht fertig wurden.«
»Ich auch, mein Junge«, sagte Brazil, »denn erst dann könnte ich sterben.«
»Sieben Stunden!«Ortegas Stimme zerriß die Stille. »Es ist fast Zeit!«
Brazil drehte sich langsam um. Alle hasteten zur Barriere.
»Keine Sorge«, versicherte er. »Sie wird sich für mich öffnen. Ein Licht wird aufleuchten, dann geht hinein. Die Barriere wird sein wie nichts. Nur ich werde mich verändern, seid darauf vorbereitet. Und noch etwas — ich führe. Ich habe keine Waffen, aber der Schacht wird mir eine Form verleihen, die euch nicht vertraut ist. Laßt euch nicht beunruhigen und schießt nicht aufeinander. Sobald wir alle im Inneren sind, führe ich euch den Schacht der Seelen hinunter und erkläre unterwegs alles. Tut nichts Übereiltes, denn ich bin der einzige, der euch mit Sicherheit hinunterführen kann, und ich dulde keine Verstöße. Klar?«
»Großes Gerede, Nate«, sagte Ortega, aber er wirkte unsicher. »Wir machen mit.«
»Ich habe Ihnen mein Wort gegeben, Serge«, sagte Brazil. »Ich halte es.«
»Seht!«rief der Slelcronier. »Das Licht!«
Hinter Brazil leuchtete ein Abschnitt des Bodens in die ÄquatorBarriere hinein.
»Gehen wir«, sagte Brazil ruhig, drehte sich um und trat in die Wand. Die anderen folgten ihm mit angespannten Mienen.
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