Der Zahlmeister sagte: »Das habe ich aus Kapstadt. Leutnant, bringen Sie diesen verrückten Schweinehund wieder hinunter, ja?«
Der Wachtposten kam. Den ganzen Weg zurück in den Laderaum Nummer Sechs schlug und trat er mich.
Als mich der Wachtposten unsanft durch die Tür in die rote Dunkelheit stieß, prallte ich gegen einen Menschen. Nach der verhältnismäßig reinen Luft draußen war der Gestank unerträglich.
»Was hast du gemacht?« fragte mich das menschliche Kissen freundlich und richtete sich auf.
»Ich habe versucht ihm zu erzählen, wer ich bin…« Das würde mich auch nicht weiter bringen. »Was geschieht als nächstes?« fragte ich.
»Wir landen. Wir werden einquartiert. Wir müssen arbeiten. Welchen Kontrakt hast du unterschrieben?«
»Arbeitskontrakt B sagen sie.«
Er pfiff durch die Zähne. »Dann hatten sie dich wohl ganz schön in der Mangel, was?«
»Was meinen Sie damit? Was hat das alles zu bedeuten?«
»Du hast wohl blind unterschrieben, was? Pech gehabt. Kontrakt B dauert fünf Jahre. Für Flüchtlinge, Idioten und alle, die sich beschwindeln lassen. Es gibt eine Führungsklausel. Mir hat man Kontrakt B auch angeboten, aber ich habe ihnen gesagt, wenn sie mir nichts besseres bieten können, gehe ich wieder und melde mich freiwillig bei Brink’s Express. Ich konnte sie zu einem F-Kontrakt bringen; sie müssen wirklich dringend Arbeitskräfte gebraucht haben. Das ist für ein Jahr; ich kann außerhalb der betriebseigenen Läden kaufen und so.«
Ich hielt meinen Kopf, weil ich das Gefühl hatte, er würde sonst explodieren. »So schlimm kann es doch gar nicht sein«, sagte ich. »Landleben – Landarbeit – frische Luft und Sonnenschein.«
»Hm«, sagte der Mann etwas zurückhaltend. »Besser als Chemikalien bestimmt. Vielleicht nicht so gut wie Bergbau. Du wirst es schon merken.«
Er ging und ich fiel in leichten Schlummer, anstatt Pläne zu schmieden.
Es gab kein Landesignal. Wir landeten einfach und zwar ziemlich unsanft. Eine Luke öffnete sich, und blendendes tropisches Sonnenlicht flutete in den Laderaum. Es schmerzte nach der langen Dunkelheit in den Augen. Herein wehte nicht etwa frische Landluft, sondern eine Wolke von Desinfektionsmitteln. Ich löste mich aus einem Knäuel fluchender Arbeiter und trieb im Strom der Menschen auf den Hafen zu.
»Halt, du Idiot«, sagte ein Mann mit harten Gesichtszügen; sein Abzeichen ließ erkennen, daß er zum Fabrikschutz gehörte. Er warf eine Kordel mit einer Plakette, auf der eine Nummer stand, um meinen Hals. Jeder bekam so eine und stellte sich dann hinter dem Schiff vor einem Tisch an. Der Kai lag direkt im Schatten der Chlorella-Plantage, ein achtzig Stockwerke hohes Gebäude, das aussah wie die aufeinandergestapelten Kästen für ein- und ausgehende Post in den Büros. Überall an den Terrassen waren Spiegelblenden angebracht. Im weiteren Umkreis um das große Gebäude waren massenhaft weitere Spiegelblenden aufgestellt, die das Sonnenlicht auffingen, um es auf die Spiegel der Terrassen zu reflektieren, die es ihrerseits zu den Fotosynthesetanks weiterleiteten. Von oben gesehen ein spektakulärer, wenn auch nicht ungewöhnlicher Anblick; von unten einfach höllisch. Ich hätte Pläne schmieden sollen. Aber mein Verstand wurde blockiert von den Worten: »Aus den sonnendurchtränkten Plantagen Costa Ricas, gezüchtet von den geschickten Händen freier Farmer, die ihrer Arbeit mit Freude und Stolz nachgehen, kommt das saftige, reife Chlorella-Protein…« Ja; ich selbst hatte diese Worte geschrieben.
»Weitergehen!« brüllte ein Mann vom Fabrikschutz.
Ich beschattete meine Augen und schlurfte vorwärts, während die Reihe am Tisch vorbeimarschierte. Ein Mann mit Sonnenbrille fragte nach meinem Namen.
»Mitchell Court…«
»Das ist der, von dem ich Ihnen erzählt habe«, sagte die Stimme des Zahlmeisters.
»Gut, vielen Dank«, und zu mir: »Groby, wir hatten schon früher mal Leute, die versuchten, aus dem B-Kontrakt herauszukommen. Die haben es hinterher bitter bereut. Wissen Sie zufällig, wie hoch der Jahresetat von Costa Rica ist?«
»Nein«, murmelte ich.
»Er beläuft sich auf einhundertdreiundachtzig Milliarden Dollar. Und wissen Sie vielleicht, wie hoch die jährlichen Steuern der Chlorella-Gesellschaft sind?«
»Nein, verdammt, Mensch…«
Er unterbrach mich: »Etwa einhundertundachtzig Milliarden Dollar. Und daraus kann ein kluger Bursche wie Sie schließen, daß die Regierung – und die Gerichte – von Costa Rica genau das tun, was Chlorella verlangt. Wenn wir an einem Kontraktbrüchigen ein Exempel statuieren wollen, dann tun sie das für uns. Da können Sie Ihr Leben drauf wetten. Wie ist also Ihr Name, Groby?«
»Groby«, sagte ich heiser.
»Vorname? Ausbildung? Klasse?«
»Ich weiß nicht. Aber wenn Sie mir das mal auf ein Stück Papier schreiben, werde ich mir die Daten merken.« Ich hörte den Zahlmeister lachen; er sagte: »Der wird schon werden.«
»Gut, Groby«, sagte der Mann mit der Sonnenbrille jovial. »Alles in Ordnung. Hier sind Ihre Unterlagen und der Vertrag. Wir machen einen Abschöpfer aus Ihnen. Weitergehen.«
Ich ging weiter. Ein Mann vom Fabrikschutz nahm mir den Vertrag ab und brüllte: »Abschöpfer da entlang.« ›Da entlang‹ führte in das unterste Stockwerk in noch grelleres Licht, über einen Gang, vorbei an übelriechenden flachen Tanks und schließlich durch eine Tür in die Kernsäule des Gebäudes in einen hellerleuchteten Raum, der nach der dreifach reflektierten tropischen Sonne draußen in Dämmerlicht getaucht zu sein schien.
»Abschöpfer?« fragte ein Mann. Ich blinzelte und nickte ihm zu. »Ich bin Mullane – Verlader. Ich habe eine Frage, Groby.« Er sah sich meine Karte an. »Wir brauchen einen Abschöpfer im siebenundsechzigsten Stock, und wir brauchen einen Abschöpfer im einundvierzigsten Stock. Ihre Schlafstelle ist im dreiundvierzigsten Stock der Kernsäule. Wo möchten Sie lieber arbeiten? Ich muß noch hinzufügen, daß es für Abschöpfer und Mitglieder der Klasse 2 keine Aufzüge gibt.«
»Den Job im einundvierzigsten«, sagte ich und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu enträtseln.
»Das ist sehr vernünftig«, sagte er. »Sehr, sehr vernünftig.« Und dann stand er einfach da, die Zeit verstrich. Schließlich fügte er hinzu: »Ich hab’s gern, wenn ein vernünftiger Mensch vernünftig handelt.«
Wieder entstand eine lange Pause.
»Ich habe kein Geld bei mir«, sagte ich.
»Schon gut«, sagte er. »Ich leihe Ihnen was. Unterschreiben Sie hier, dann können wir die Sache am Zahltag regeln. Es ist ein einfacher Schuldschein über fünf Dollar.«
Ich las den Zettel durch und unterschrieb. Ich mußte erneut auf meine Karte blicken; ich hatte meinen Vornamen vergessen. Mullane kritzelte hastig ›41‹ und seine Anfangsbuchstaben unter den Schein und eilte davon, ohne mir die fünf Dollar zu leihen. Ich lief ihm nicht nach.
»Ich bin Mrs. Horrocks, verantwortlich für die Unterbringung«, sagte eine Frau mit sanfter Stimme. »Willkommen in der Chlorella-Familie, Mr. Groby. Ich hoffe, Sie werden viele glückliche Jahre bei uns verbringen. Und nun zur Arbeit. Mr. Mullane sagte Ihnen wohl schon, daß die Bande – ich meine die gegenwärtige Gruppe von Vertragsarbeitern – im dreiundvierzigsten Stock untergebracht wird. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Sie in eine für Sie passende Gruppe von Kollegen kommen.«
Ihr Gesicht ließ mich an eine Tarantel denken, als sie fortfuhr: »Wir haben ein leeres Bett in Zimmer Sieben. Alles nette junge Männer. Vielleicht gefällt es Ihnen dort. Es ist so wichtig, daß man unter seinesgleichen ist.«
Ich begriff, worauf sie anspielte, und erwiderte, ich hätte kein Interesse an Zimmer Sieben.
Strahlend fuhr sie fort: »Dann haben wir noch Zimmer Zwölf. Eine ziemlich rohe Bande, fürchte ich, aber Bettler haben schließlich keine Wahl, nicht wahr? Die von Zimmer Zwölf würden sich freuen, wenn ein so netter junger Mann zu ihnen zöge. Und wie! Aber Sie können ja ein Messer oder ähnliches bei sich tragen. Soll ich Sie für Zimmer Zwölf eintragen, Mr. Groby?«
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