Hirngespinste, höhnte ich - neidisch, weil die kleinen grünen Pillen nicht nur meinen Mokehunger weggenommen, sondern auch ein Loch in meine eigenen Träume gepiekst hatten. Es ist schrecklich, am Morgen aufzuwachen und festzustellen, daß der gerade heraufgedämmerte Tag auch nicht besser als der vorige sein wird.
Was führte die Veränderung herbei? Ich weiß es nicht. Nichts wahrscheinlich. Ich traf keinen Entschluß, klärte keine unbeantwortbaren Fragen. Aber eines Morgens stand ich in aller Hergottsfrühe auf, stieg in einer anderen U-Bahn-Station um, stieg aus, wo ich sehr, sehr lange nicht mehr gewesen war, und fand mich bei Mitzis Apartmentgebäude ein.
Das Türding öffnete sein Maul, um meine Fingerspitzen zu beschnüffeln und meine Handflächenabdrücke zu lesen. Mittlerer Erfolg. Es ließ mich nicht ein, aber es schlug auch nicht zu, um mich festzuhalten, bis die Bullen kamen. Binnen einer Minute erschien Mitzis schläfriges Gesicht auf dem Schirm. »Du bist es wirklich«, sagte sie, dachte einen Augenblick nach und fügte dann hinzu: »Du kannst genausogut raufkommen.«
Die Tür öffnete sich lange genug, daß ich mich hindurchquetschen konnte, und den ganzen Weg nach oben auf dem Festhaltelift versuchte ich, herauszufinden, was an der Art, wie sie ausgesehen hatte, merkwürdig gewesen war. Haare verwuschelt? Sicher, aber offenbar hatte ich sie direkt aus dem Bett geholt. Gesichtsausdruck komisch? Vielleicht. Es war ganz eindeutig nicht das Aussehen von jemandem, der froh war, mich zu sehen.
Ich schob diese Frage in den Winkel meines Verstandes, wo der wachsende Berg unbeantworteter Fragen und unaufgelöster Zweifel weggeschlossen war. Bis sie mich in ihre eigene Wohnung einließ, hatte sie sich das Gesicht gewaschen und ein Tuch über die Haare geworfen. Der einzige Ausdruck, den sie zeigte, war höfliche Neugier. Höfliche distanzierte Neugier. »Ich weiß nicht, warum ich hier bin«, sagte ich, »außer, daß ich wirklich nicht wüßte, wo ich sonst hingehen sollte.« Ich hatte nicht geplant, das zu sagen. Ich hatte eigentlich überhaupt nichts geplant, aber als die Worte aus meinem Mund kamen und ich sie hörte, erkannte ich sie als wahr.
Sie schaute meine leeren Hände und meine nicht ausgebeulten Taschen an. »Ich habe keine Mokes hier, Tenny.«
Ich wischte das weg. »Ich trinke keine Mokes mehr. Nein, ich bin nicht davon losgekommen; ich bin bloß auf Ersatz.«
Sie wirkte schockiert. »Pillen, Tenny? Kein Wunder, daß du so schrecklich aussiehst.«
Ich sagte ruhig: »Mitzi, ich bin nicht wütend, und ich glaube nicht, daß du mir irgend etwas schuldest, aber ich dachte, du würdest mich anhören. Ich brauche einen Job. Einen Job, der meine Fähigkeiten verlangt, denn das, was ich jetzt mache, ist dem Totsein so ähnlich, daß ich eines Morgens ganz einfach nicht mehr aufwachen werde, weil ich nicht mehr in der Lage bin, den Unterschied zu erkennen. Ich stehe auf der Schwarzen Liste, das weißt du. Das ist nicht deine Schuld; das will ich damit nicht sagen. Aber du bist meine einzige Hoffnung.«
»Ach, Tenny«, sagte sie. Das Höfliche-Neugier-Gesicht ging entzwei, und einen Augenblick lang dachte ich, sie würde gleich weinen. »Ach, verdammt, Tenny«, sagte sie. »Komm in die Küche und frühstücke.«
Selbst wenn die Welt grau in grau ist, selbst wenn die Umstände auf so verrückte Art anders sind als alles, was du je zuvor getan hast, daß ein Teil deines Verstandes in verwirrten Kreisen seinen Schwanz jagt, helfen dir deine Gewohnheiten und deine Ausbildung weiter. Ich sah zu, wie Mitzi Orangen auspreßte (richtige Obst-Orangen! Sie auspreßte!) des Saftes wegen und Kaffeebohnen (richtige Kaffeebohnen!) mahlte, um Kaffee zu machen, und die ganze Zeit über redete ich so selbstsicher und nachdrücklich auf sie ein, wie ich es nur je beim Alten getan hatte, wenn ich ihm eine Idee verkaufen wollte. »Produktwerbung, Mitzi«, sagte ich. »Darin bin ich gut,
und ich habe große neue Produktkampagnen ausgearbeitet. Wie wär's zum Beispiel mit der: Ist dir je aufgefallen, daß es erhebliche Mühe macht, Einweg-Zellstofftücher, -Rasierapparate, -Kämme, -Zahnbürsten zu verwenden? Du mußt immer einen Vorrat davon zur Hand haben. Wenn du hingegen etwas Permanentes hättest...«
Sie runzelte die Stirn, so daß die Falten sehr tief und sehr auffällig wurden. »Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst, Tenny.«
»Einen permanenten Ersatz für, sagen wir, Einweg-Zellstofftücher. Ich habe Nachforschungen angestellt; früher nannte man das Taschentücher. Ein Luxusgegenstand, verstehst du das nicht? Teuer wegen des damit verbundenen Prestiges.«
Sie sagte zweifelnd: »Es gibt aber doch kein Wiederholungsgeschäft, oder? Ich meine, wenn sie permanent sind...«
Ich schüttelte den Kopf, "»Permanent" heißt doch nur so lange, wie der Verbraucher es behalten will. Der Schlüssel ist die Mode. Im ersten Jahr verkaufen wir viereckige. Im Jahr darauf vielleicht dreieckige - dann in verschiedenen Mustern, Drucken, Farben, vielleicht mit Spitzenbesatz; die Zahlen sagen aus, daß darin ein größerer Profit steckt als in Einwegwaren.«
»Nicht schlecht, Tenny«, gestand sie, während sie eine Tasse dieses eigenartigen Kaffees vor mich hinstellte. Tatsächlich schmeckte er gar nicht mal so übel.
»Das ist nur eine kleine«, sagte ich und schluckte mein erstes Schlückchen hinunter. »Ich habe große. Sehr große. Val Dambois hat versucht, mir meine Selbsthilfe-Ersatzgruppen zu stehlen, aber er hat nur einen Teil davon gekriegt.«
»Gibt's denn noch mehr?« frage sie mit einem raschen Blick auf ihre Uhr.
»Mehr? Worauf du dich verlassen kannst! Man hat es mich nie zu Ende ausarbeiten lassen. Schau, nachdem die Gruppen gebildet sind, geht jedes Mitglied los und treibt weitere Mitglieder auf. Er bekommt eine Provision für die neuen. Du wirbst zehn neue Mitglieder zu fünfzig Dollar jährlich pro Person, und du bekommst eine Provision von zehn Prozent für jeden - das bezahlt deinen Mitgliedsbeitrag.«
Sie schürzte die Lippen. »Ich vermute, das ist ein guter Weg, um zu expandieren.«
»Nicht nur, um zu expandieren! Wie rekrutiert man diese neuen Mitglieder? Du veranstaltest eine Party in deinem Condo. Lädst deine Freunde ein. Gibst ihnen zu essen und zu trinken und Partygeschenke - und wir verkaufen ihnen die Geschenke. Und dann -« ich holte tief Luft - »das Allerschönste: Das Mitglied, das neue Mitglieder anwirbt, wird befördert. Es wird Gruppenleiter, und das bedeutet, daß sein Beitrag auf fünfundsiebzig pro Jahr ansteigt. Bei zwanzig Mitgliedern wird es Sektionsleiter - Beitrag hundert. Bei dreißig ist es ein, ich weiß nicht, Erhabener Gruppengroßmeister der Thetaklasse oder so etwas. Verstehst du, wir bleiben ihnen immer einen Schritt voraus. Egal, mit wie vielen Mitgliedschaften er also hausieren geht, er bezahlt immer die Hälfte davon zurück -und wir verkaufen ihm ständig neue Waren.«
Ich lehnte mich mit meinen Kaffee zurück und beobachtete ihren Gesichtsausdruck. Was immer das auch für ein Ausdruck war. Ich hatte geglaubt, es konnte Bewunderung sein, aber sicher vermochte ich das nicht zu sagen. »Tenny«, seufzte sie, »du bist verdammt noch mal durch und durch ein waschechter Werbefritze.«
Und das durchbrach die wohltrainierten Reflexe. Ich stellte die Kaffeetasse so hart ab, daß etwas von dem Kaffee auf die Untertasse überschwappte. Erneut lauschte ich den Worten die aus meinen Mund kamen, und obwohl ich nicht geplant hatte, sie zu sagen, erkannte ich sie als wahr. »Nein«, sagte ich »das bin ich nicht. So weit ich sagen kann, bin ich überhaupt kein waschechter Irgendwas. Der Grund, warum ich ins Werbegeschäft zurück möchte, ist, daß ich ein Gefühl habe, als sollte ich das wollen. Was ich wirklich will, bist nur...«
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