Ganz tief unten, dachte er, in der Motsche, der Motsche ihres Gehirns und der Motsche, die sie von außen umgibt; überall nichts als Motsche. Und das liegt nur an ihnen selbst – daran, was für eine Art von Individuen sie sind.
Er steckte seine Zigaretten ein und ging zurück in den Waschraum, verriegelte die Tür. Dann nahm er zehn Tabletten Tod aus der Zigarettenschachtel, füllte eine Blechtasse mit Wasser und pfiff alle zehn Tabs ein. Er wünschte sich, mehr Tabs mitgenommen zu haben. Na ja, dachte er, ich kann ja noch ein paar schlucken, wenn ich die Arbeit hinter mich gebracht habe. Wenn ich nach Hause komme. Er schaute auf seine Uhr und versuchte, auszurechnen, wie lange das wohl noch hin war. Aber er konnte kaum noch klar denken; wie lange, zum Teufel, ist es bis dahin noch? fragte er sich und überlegte zugleich, was aus seinem Zeitgefühl geworden sein mochte. Das Betrachten der Schirme hat mein Zeitgefühl durcheinandergebracht, erkannte er plötzlich. Ich weiß nicht einmal mehr, wie spät es schon ist.
Ich fühle mich, als hätte ich Acid geschluckt und wäre dann durch eine Wagenwaschanlage geschickt worden, dachte er.
Unmengen von gigantischen, wirbelnden, seifigen Bürsten, die auf mich eindringen; von einer Kette immer tiefer hineingezogen in Tunnels aus schwarzem Schaum. Was für eine Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dachte er und entriegelte die Tür des Waschraumes, um widerwillig zurück an die Arbeit zu gehen.
Als er den Bandtransport erneut anstellte, sagte Arctor gerade: »– soweit ich das bisher überblicken kann, ist Gott tot.«
Luckman antwortete: »Ich wußte nicht mal, daß Er krank war.«
»Da mein Olds jetzt wohl endgültig im Arsch ist«, sagte Arctor, »habe ich beschlossen, ihn zu verscheuern und mir statt dessen eine Ente zu kaufen.«
»Wie teuer ist ‘ne Ente?« sagte Barris.
Bei sich dachte Fred: Kommt ganz aufs Gewicht an.
»Kommt ganz aufs Gewicht an«, sagte Arctor.
*
Am folgenden Nachmittag um drei Uhr wurde Fred, der sich noch schlechter fühlte als am Tag zuvor, von zwei medizinischen Assistenten – nicht denselben wie beim ersten Mal – mehreren Tests unterzogen.
»In rascher Aufeinanderfolge werden Sie nun eine Anzahl von Objekten, die Ihnen vertraut sein müßten, vor sich vorbeiziehen sehen, und zwar zunächst vor Ihrem linken und dann vor Ihrem rechten Auge. Zur gleichen Zeit werden auf dem Leuchtschirm vor Ihnen simultan Umrißzeichnungen mehrerer solcher Ihnen vertrauter Objekte erscheinen, und Sie sollen mit Hilfe des Druckstiftes markieren, welches Ihrer Ansicht nach die korrekte Umrißzeichnung des jeweils gerade sichtbaren Objektes ist. Die Objekte werden sich allerdings sehr schnell an Ihnen vorüberbewegen, also zögern Sie nicht zu lange. Neben Ihrer Trefferzahl wird auch die von Ihnen benötigte Zeit bewertet. Okay?«
»Okay«, sagte Fred, den Druckstift einsatzbereit.
Dann lief eine ganze Herde vertrauter Objekte an ihm vorbei, und er stieß mit dem Stift auf die beleuchteten Fotos darunter. Zuerst exerzierte er diese Übung mit dem linken Auge durch und dann noch einmal mit dem rechten Auge.
»Als nächstes wird vor Ihrem rechten Auge kurzzeitig das Bild eines vertrauten Objekts erscheinen; Ihr linkes Auge wird dabei abgedeckt sein. Sie sollen mit Ihrer linken Hand, ich wiederhole, Ihrer linken Hand, in eine Gruppe von Objekten hineinlangen und das eine finden, dessen Bild Sie gesehen haben.«
»Okay«, sagte Fred. Das Bild eines einzelnen Würfels wurde kurzzeitig gezeigt; mit der linken Hand tastete er zwischen vor ihm aufgebauten kleinen Objekten herum, bis er einen Würfel fand.
»Im nächsten Test werden sich in Reichweite Ihrer linken Hand mehrere Buchstaben befinden, die zusammen ein Wort ergeben, die Sie aber nicht sehen können. Sie werden diese Buchstaben ertasten und dann mit Ihrer rechten Hand das von den Buchstaben gebildete Wort aufschreiben.«
Er tat das. Die Buchstaben ergaben das Wort WARM.
»Sprechen Sie bitte nun das Wort aus, das sich ergibt.«
Also sagte er: »Warm.«
»Als nächstes werden Sie in diese vollständig dunkle Schachtel hineinlangen, während zugleich beide Augen abgedeckt sind, und mit Ihrer linken Hand ein Objekt berühren, um es zu identifizieren. Sagen Sie uns dann, worum es sich bei diesem Objekt handelt, ohne es visuell wahrgenommen zu haben. Danach werden Ihnen drei Objekte gezeigt werden, die einander irgendwie ähnlich sehen, und Sie sollen uns sagen, welches der drei Objekte, die Sie sehen, am stärksten dem Objekt ähnelt, das Sie mit der Hand berührt haben.«
»Okay«, sagte Fred und absolvierte auch diesen und viele weitere Tests, fast eine Stunde lang. Tasten, benennen, mit einem Auge betrachten, auswählen. Tasten, benennen, mit dem anderen Auge betrachten, auswählen. Hinschreiben, zeichnen.
»In dem nun folgenden Test werden Sie, während Ihre Augen wieder abgedeckt sind, hinauslangen und mit jeder Ihrer beiden Hände jeweils ein Objekt fühlen. Sie sollen uns sagen, ob das Objekt, das Ihrer linken Hand präsentiert wird, mit dem identisch ist, das Ihrer rechten präsentiert wird.«
Er tat das.
»Hier nun in schneller Folge Bilder von Dreiecken in verschiedenen Positionen. Sie sollen uns sagen, ob es dasselbe Dreieck ist oder –«
Nach zwei Stunden ließen sie ihn komplizierte Klötze in komplizierte Löcher einpassen und stoppten die Zeit, die er dafür brauchte. Er fühlte sich, als sei er wieder in der ersten Klasse, in der er auch immer alle Tests vermasselt hatte. Ihm kam es vor, als schneide er jetzt noch schlechter ab als damals. Fräulein Frinkel, dachte er; das alte Fräulein Frinkel. Während ich diesen Scheiß machen mußte, stand sie immer nur da, beobachtete mich und schleuderte mir Sterbebefehle entgegen, wie man das in der Transaktions-Analyse nennt. Stirb. Hör auf zu existieren. Hexenmutter-Flüche. Eine ganze Ladung davon, bis ich am Ende wirklich Mist baute. Vielleicht war Fräulein Frinkel jetzt schon längst tot. Vielleicht hatte es jemand geschafft, sich seinerseits mit einem Sterbebefehl zu revanchieren, und es hatte gewirkt. Er hoffte es. Vielleicht hatte sie sogar einer seiner eigenen Sterbebefehle erwischt. Übrigens schleuderte er auch den Testern, die ihm gegenübersaßen, jetzt solche Befehle entgegen.
Es schien aber nicht viel zu nützen. Der Test ging weiter.
»Was ist an diesem Bild falsch? Eines der Objekte paßt nicht zu den anderen. Sie sollen markieren –«
Er tat das. Dann folgte ein Test mit realen Objekten, von denen eines nicht in die Schar der anderen gehörte; man erwartete von ihm, hinzugreifen und das Anstoß erregende Objekt zu entfernen. Danach sollte er alle Anstoß erregenden Objekte aus einer Vielzahl von »Sets« – wie die Tester das nannten – herausnehmen und sagen, ob all die Anstoß erregenden Objekte ein gemeinsames Merkmal hatten, und wenn ja, welches. Ob auch sie zusammen wieder ein »Set« ergaben.
Er mühte sich immer noch damit ab, als die Tester ihm mitteilten, die ihm zur Verfügung stehende Zeit sei abgelaufen, die Testreihen für beendet erklärten und ihn aufforderten, eine Tasse Kaffee trinken zu gehen und anschließend draußen zu warten, bis man ihn wieder hereinriefe.
Nach einer Zeit – die ihm verdammt lange vorkam – erschien einer der Tester und sagte: »Da wäre noch eine Sache, Fred –wir hätten gerne eine Blutprobe von Ihnen.« Er gab ihm einen Zettel: eine Laborüberweisung. »Gehen Sie die Halle hinunter zu dem Raum mit der Aufschrift ›Pathologisches Labor‹ und geben Sie das hier dort ab. Dann, nach der Blutentnahme, kommen Sie hierher zurück und warten.«
»In Ordnung«, sagte er düster und schlenderte mit der Überweisung in der Hand davon.
Spuren im Blut, begriff er. Danach suchen sie.
Als er vom pathologischen Labor wieder nach Zimmer 203 zurückkam, machte er sich an einen der Tester heran und sagte: »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich nach oben gehen würde, um mit meinem Vorgesetzten zu konferieren, während ich auf Ihre Ergebnisse warte? Er hat bald Dienstschluß.«
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