»Nein, darum geht es diesmal nicht.« Hank warf ihm den zerknüllten Zettel zu. »Diesmal ist es was anderes. Ich bin für heute mit Ihnen fertig – warum setzen Sie sich also nicht in Bewegung, traben schnurstracks da hinüber und bringen es hinter sich?«
*
Zimmer 203 erwies sich als vollständig weißer Raum mit stählernen Beleuchtungskörpern, stählernen Sesseln und einem stählernen Schreibtisch, die alle festgeschraubt waren – ein Raum wie in einem Krankenhaus, blitzblank und steril und kalt; grelles Licht stach Fred in die Augen. Eine Personenwaage an der rechten Seite des Raumes, an der ein Schild mit der Aufschrift NACHJUSTIERUNG NUR DURCH ANGEHÖRIGE DES TECHNISCHEN PERSONALS prangte, verstärkte den Krankenhauseindruck noch. Als er eintrat, blickten ihm zwei Polizeibeamte in voller Uniform entgegen; besondere Ärmelstreifen wiesen sie allerdings als medizinische Assistenten im polizeiärztlichen Stab des Sheriff-Büros von Orange County aus.
»Sie sind der Beamte Fred?« fragte einer der beiden. Er trug einen Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart.
»Ja, Sir«, sagte Fred. Er fühlte sich verschreckt.
»All right, Fred, lassen Sie mich zunächst noch einmal eine grundsätzliche Tatsache klarstellen. Wie Sie zweifellos wissen, werden sämtliche Sitzungen, in denen Sie Ihre Aufträge erhalten oder Bericht erstatten, aufgezeichnet und später noch einmal auf einer Mitschauanlage abgespielt, und zwar für den Fall, daß bei den Sitzungen selbst etwas übersehen worden ist. Das ist natürlich eine reine Routineangelegenheit und gilt für alle Beamten, die hier zur mündlichen Berichterstattung erscheinen, nicht nur für Sie.«
Der andere medizinische Assistent sagte: »Diese Regelung betrifft auch alle Ihre sonstigen Kontakte mit Ihrer Abteilung, also etwa Telefongespräche, und alle übrigen dienstlichen Aktivitäten, wie beispielsweise die öffentliche Ansprache, die Sie kürzlich in Anaheim vor den Jungs vom Rotary-Club gehalten haben.«
»Lions-Club«, sagte Fred.
»Nehmen Sie Substanz T?« sagte der medizinische Assistent zur Linken.
»Diese Frage«, sagte der andere, »ist trivial, weil wir es als gegeben annehmen, daß Sie im Vollzug Ihrer Arbeit dazu gezwungen sind. Antworten Sie also nicht. Nicht, daß es Sie belasten könnte, aber es ist einfach trivial.« Er wies auf einen Tisch, auf dem ein Stapel Blöcke und anderer Krimskrams lagen, darunter grellbunte Gegenstände aus Plastik und andere Objekte, die der Beamte Fred nicht identifizieren konnte. »Kommen Sie hier herüber und setzen Sie sich, Beamter Fred. Wir werden Sie, kurz gesagt, einigen einfachen Tests unterziehen. Das wird nicht viel von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen, und es sind auch keine physischen Unannehmlichkeiten damit verbunden.«
»Was diese Rede angeht, die ich gehalten habe –«, sagte Fred.
»Wir führen diese Untersuchungen durch«, sagte der medizinische Assistent zur Linken, während er sich setzte und einen Stift und ein paar Formulare hervorkramte, »weil ein vor kurzem vorgelegter Regierungsbericht gezeigt hat, daß in unserem Zuständigkeitsbereich in den letzten Monaten mehrere Geheime Rauschgift-Agenten in Kliniken für neurale Aphasie eingewiesen werden mußten.«
»Sie sind sich der Tatsache bewußt, daß Substanz T in hohem Maße suchtbildend ist?« sagte der andere Assistent zu Fred.
»Sicher«, sagte Fred. »Natürlich bin ich mir dessen bewußt.«
»Wir werden Ihnen jetzt diese Tests vorlegen«, sagte der sitzende medizinische Assistent, »und zwar in dieser Reihenfolge … Wir beginnen mit einem Test, den wir den OH-Test oder auch –«
»Sie glauben, daß ich süchtig bin?« sagte Fred.
»Ob Sie süchtig sind oder nicht, ist eine zweitrangige Frage, da wir ohnehin damit rechnen, daß die bei den Streitkräften für chemische Kriegsführung zuständige Abteilung irgendwann in den nächsten fünf Jahren ein Gegenmittel finden wird.«
»Bei diesen Tests geht es nicht um die suchtbildenden Eigenschaften von Substanz T, sondern um – na, am besten lege ich Ihnen zuerst diesen Objekt-Hintergrund-Test vor, mit dessen Hilfe sich die Fähigkeit messen läßt, problemlos ein Objekt von seinem Hintergrund zu unterscheiden. Sehen Sie dieses geometrische Diagramm?« Er legte eine vollgekritzelte Karte vor Fred auf den Tisch. »Inmitten dieser scheinbar bedeutungslosen Linien verbirgt sich ein wohlvertrautes Objekt, das jeder normale Mensch eigentlich erkennen müßte. Sie sollen mir nun sagen, worum es sich bei diesem …«
Item. Im Juli 1969 veröffentlichte Joseph E. Bogen seinen revolutionären Aufsatz »Die andere Seite des Gehirns: Das appositionelle Denken«. In diesem Aufsatz zitierte er einen in der Fachwelt völlig unbekannten Dr. A. L. Wigan, der bereits 1844 geschrieben hatte:
Der Geist ist seinem Wesen nach zweigeteilt, wie jenes Organ, dem er entspringt. Diese Idee hat sich mir aufgedrängt, und ich habe mich mehr als ein Vierteljahrhundert eingehend damit beschäftigt, ohne daß es mir gelungen wäre, einen einzigen validen oder auch nur plausiblen Einwand zu finden. Daher glaube ich, beweisen zu zu können – (1) Daß jede Gehirnhemisphäre als Organ des Denkens ein eigenständiges, in sich vollendetes Ganzes ist. (2) Daß in jeder der beiden Hälften des Cerebrums simultan voneinander unabhängige, gesonderte Prozesse des Denkens oder Schlußfolgerns abzulaufen vermögen.
In seinem Aufsatz schlußfolgerte Bogen daraus: »Ich bin [wie Wigan] der Ansicht, daß jeder von uns zwei Persönlichkeiten in einer Person vereinigt. Natürlich wirft diese Hypothese eine Unzahl von Einzelfragen auf, die noch beantwortet werden müssen. Aber in erster Linie gilt es, dem Hauptwiderstand gegen Wigans Theorie entgegenzutreten: nämlich dem uns allen eigenen subjektiven Empfinden, daß jeder Mensch in sich eine unauflösliche Einheit ist. Dieser Glaube an die menschliche Ganzheit wird in unserer westlichen Kultur nach wie vor hochgehalten. …«
»… Objekt handelt. Sodann zeigen Sie uns bitte, wo genau es sich innerhalb des Gesamtfeldes befindet.«
Ich werde hier für dumm verkauft, dachte Fred. »Was soll das alles eigentlich?« sagte er, wobei er nicht das Diagramm, sondern den medizinischen Assistenten anstarrte. »Ich wette, Sie machen das nur wegen der Rede vor dem Lions-Club?« sagte er. Er zweifelte keinen Augenblick lang daran.
Der ihm gegenübersitzende Assistent sagte:»Bei vielen von denen, die Substanz T nehmen, tritt eine Spaltung zwischen der rechten und der linken Hemisphäre des Gehirns auf. Das führt zu einem Verlust der Fähigkeit zur angemessenen Gestalt-Wahrnehmung, was ein Defekt innerhalb sowohl das des perzeptiven als auch des kognitiven Systems ist, obwohl das kognitive System scheinbar weiterhin normal funktioniert. Aber die Daten, die das kognitive System nun vom perzeptiven System empfängt, sind bereits durch diese Spaltung deformiert, so daß auch das kognitive System nach und nach immer mehr versagt, fortschreitend immer weiter verfällt. Haben Sie das vertraute Objekt in dieser Strichzeichnung ausfindig gemacht? Können Sie es mir zeigen?«
Fred sagte: »Sie meinen damit nicht die Ablagerung von Schwermetallspuren in den Synapsen, wo die Nervenimpulse verarbeitet werden, nicht wahr? Irreversible –«
»Nein«, sagte der Assistent, der neben dem Tisch stand. »Das ist kein herkömmlicher Hirnschaden, sondern eine Art Toxizität, eine Gehirntoxizität. Eine toxische Gehirnpsychose, die das perzeptive System schädigt, indem sie es spaltet. Was da vor Ihnen liegt, dieser OH-Test, mißt den Grad der Handlungsfähigkeit Ihres perzeptiven Systems als ein einheitliches Ganzes. Können Sie die Form hier sehen? Sie sollte Ihnen geradewegs ins Auge springen. «
»Ich sehe eine Coke-Flasche«, sagte Fred.
»Eine Limonadenflasche ist die richtige Antwort«, sagte der sitzende Assistent, nahm mit einem raschen Griff die Zeichnung weg und ersetzte sie durch eine neue. »Haben Sie etwas Ungewöhnliches festgestellt, als Sie meine Rapporte und das alles studiert haben? Irgendwas in Richtung Matschbirne?« Es liegt an der Rede, dachte er. »Was ist mit der Rede, die ich gehalten habe?« sagte er. »Habe ich da bilaterale Dysfunktionen gezeigt? Bin ich darum zu diesen Tests hierhergeschleift worden?« Er hatte mal etwas über diese Gehirnspaltungsteste gelesen, die die Abteilung von Zeit zu Zeit durchführen ließ.
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