Und das kann nicht nur heute passieren, sondern an jedem beliebigen Tag. Und in jeder beliebigen Nacht.
Aber ich habe wenigstens noch einen Trumpf im Ärmel. Denn wenn ich die Speichertrommeln im Haus überprüfe, werde ich bald ziemlich genau wissen, was alle, die in diesem Haus leben, tun und wann sie es tun und möglicherweise sogar, warum sie es tun – mich selbst eingeschlossen. Ich werde die Person, die zugleich ich selbst bin, dabei beobachten können, dachte er, wie sie mitten in der Nacht aufsteht, um zu pinkeln. Ich werde, alle Zimmer täglich vierundzwanzig Stunden lang überwachen … obwohl es dabei natürlich zwangsläufig immer eine zeitliche Verzögerung gibt. Es wird mir nicht viel nützen, wenn die Holo-Kameras aufnehmen, wie ich jeden Kontakt zur Realität verliere, weil mir jemand eine gehirnzerstörende Droge in den Kaffee getan hat, die die Hell’s Angels aus einem geheimen Militärdepot geklaut haben; ein anderer Beamter, der die Speichertrommeln durchgeht, wird zuschauen müssen, wie ich tobe oder mich in Agonie auf dem Boden winde, und er wird nicht einmal wissen, wo und was ich in Zukunft sein werde. Er wird nur wissen, daß mich jetzt jemand erwischt hat – eine reichlich verspätete Erkenntnis, die eben nicht einmal mehr mir selbst vergönnt sein wird, sondern nur diesem anderen Beamten.
Luckman sagte: »Ich frage mich, was daheim im Haus vor sich gegangen sein mag, während wir den ganzen Tag über weg waren. Weißt du, Bob, dieser Vorfall beweist doch, daß jemand hinter dir her ist und dich fertigmachen will, so richtig auf die üble Tour. Ich hoffe nur, daß das Haus noch da ist, wenn wir zurückkommen. «
»Oh, verdammt«, sagte Arctor. »Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht. Und wir haben nicht mal ein Cephskop auftreiben können.« Er achtete sorgfältig darauf, daß seine Stimme dumpf und resigniert klang.
Überraschend fröhlich sagte Barris: »Ich an eurer Stelle würde mir da nicht zu viele Sorgen machen.«
Wütend sagte Luckman: »Ach nein? Herr im Himmel, die können bei uns eingebrochen sein und alles gestohlen haben, was wir besitzen. Jedenfalls alles, was Bob gehört. Und vielleicht haben sie sogar die Tiere umgebracht oder totgetrampelt. Oder –«
»Ich habe für alle, die in unserer Abwesenheit das Haus betreten haben, eine kleine Überraschung zurückgelassen«, sagte Barris. »Ich bin erst heute morgen damit fertig geworden … hab’ pausenlos gearbeitet, bis ich den richtigen Dreh raushatte. Eine hübsche kleine elektronische Überraschung.«
Arctor verbarg mühsam seine Betroffenheit und sagte scharf: »Was für eine elektronische Überraschung? Das ist immer noch mein Haus, Jim, und du kannst nicht einfach anfangen, irgendwelche Manipulationen –«
Reg dich doch nicht künstlich auf«, sagte Barris. »Wie unsere deutschen Freunde zu sagen pflegen: leise [1] Anm. d. Übersetz.: Deutsch im Original
Was übrigens bedeutet: immer schön cool bleiben.«
»Was zum Teufel hast du denn gemacht,«
»Wenn während unserer Abwesenheit die Vordertür geöffnet wird«, sagte Barris, »schaltet sich automatisch mein Cassettenrecorder ein. Er steht unter der Couch, und ich habe ihn mit einer Cassette von zwei Stunden Spieldauer bestückt. Sodann habe ich an drei verschiedenen Stellen drei Sony-Mikrophone plaziert und sie –«
»Du hättest mir das sagen sollen«, sagte Arctor.
»Was ist, wenn sie durch die Fenster kommen?« sagte Luckman. »Oder durch die Hintertür?«
»Um die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, daß sie durch die Vordertür ins Haus eindringen und nicht auf anderen, weniger gebräuchlichen Wegen« fuhr Barris fort, »habe ich in weiser Voraussicht einfach die Vordertür unverschlossen gelassen.«
Nach einem Moment der Verblüffung begann Luckman zu kichern.
»Mal angenommen, Sie wissen nicht, daß die Tür unverschlossen ist?« sagte Arctor.
»Ich habe einen Zettel drangemacht«, sagte Barris.
»Hör mal, du willst mich wohl verarschen?«
»Ja«, sagte Barris prompt.
»Verarschst du uns nun oder nicht?« sagte Luckman. »Bei dir weiß ich das nie so recht. Verarscht er uns, Bob?«
»Wir werden’s ja feststellen, wenn wir heimkommen«? sagte Arctor. »Wenn ein Zettel an der Tür hängt und sie nicht abgeschlossen ist, dann wissen wir, daß er uns nicht verarscht.«,
»Sie würden den Zettel vielleicht abmachen und die Tür abschließen, nachdem sie alles Brauchbare geklaut und den Rest der Einrichtung zertrümmert haben«, sagte Luckman. »Das ist also kein zuverlässiges Kriterium. Wir werden’s nie genau wissen können. Jedenfalls nicht mit letzter Sicherheit. Wieder einmal diese Grauzone.«
»Natürlich scherze ich nur!« sagte Barris mit Nachdruck. »Nur ein Psychopath würde so etwas tun – die Vordertür seines Hauses unverschlossen zu lassen und einen Zettel an der Tür zu hinterlassen.«
Arctor wandte sich zu ihm um. »Was hast du auf den Zettel geschrieben, Jim?«
»An wen ist der Zettel gerichtet?« stimmte Luckman ein. »Ich wußte nicht mal, daß du überhaupt schreiben kannst.«
Herablassend sagte Barris: »Ich habe draufgeschrieben: ›Donna, komm ruhig rein; die Tür ist offen. Wir –‹« Barris hielt inne »Die Nachricht ist für Donna«, schloß er, jetzt weniger selbstbewußt.
»Er hat’s tatsächlich gemacht«, sagte Luckman. »Er hat’s echt gemacht. Alles, was er uns erzählt hat.«
»Auf diese Weise«, sagte Barris glatt, »werden wir herausfinden, wer hinter der ganzen Sache steckt, Bob. Und das ist von vorrangiger Wichtigkeit.«
»Außer, sie klauen«, sagte Arctor. Er dachte fieberhaft darüber nach, ob diese neue Entwicklung wirklich ein ernsthaftes Problem darstelle. Warum mußte dieser Kindskopf Barris auch jede mögliche und unmögliche Gelegenheit dazu benutzen, um sein verdrehtes elektronisches Genie unter Beweis zu stellen? Ach, zum Teufel, beruhigte er sich schließlich selbst, sie werden die Mikros schon innerhalb der ersten zehn Minuten finden und dann die Kabel zum Recorder zurückverfolgen. Sie werden genau wissen, was in einer solchen Situation zu tun ist. Sie werden das Band löschen, es zurückspulen, die ganze Konstruktion so lassen, wie sie war, die Tür nicht abschließen und auch den Zettel daran hängen lassen. Vielleicht wird die offene Tür ihnen ihren Job sogar erleichtern. Scheiß-Barris, dachte er. Immer voller grandioser, genialer Pläne, die das Universum aus den Angeln heben sollen! Möglicherweise hat er sogar vergessen, den Recorder überhaupt in die Steckdose einzustöpseln. Moment mal … wenn er feststellt, daß der Recorder nicht eingestöpselt ist …
Schlagartig begriff Arctor, daß Barris gerade das als Beweis dafür werten würde, daß in ihrer Abwesenheit tatsächlich jemand ins Haus eingedrungen war. Und von diesem Augenblick an würde er keine Ruhe mehr geben und ihnen allen tagelang damit in den Ohren liegen, daß jemand hereingekommen sein müsse, der seine Vorrichtung entdeckt und schlauerweise den Stecker herausgezogen habe. Und darum, dachte Arctor, kann ich eigentlich nur hoffen, daß sie den Recorder einstöpseln, wenn sie feststellen, daß er gar nicht eingestöpselt war, und außerdem noch sicherstellen, daß das Gerät betriebsbereit ist. Noch besser wäre es natürlich, wenn sie Barris’ Überwachungsanlage mit der gleichen Sorgfalt durchtesten würden wie die, die sie selber einbauen; sie sollten absolut sicher sein, daß Barris’ System perfekt funktioniert, bevor sie das Band dann bis Null zurückspulen und dabei alle etwaigen Aufzeichnungen löschen, damit nur eine Tafel zurückbleibt, auf der nichts steht – eine Tafel, auf der aber mit absoluter Sicherheit etwas stehen würde, wenn jemand (zum Beispiel eben das Verwanzungsteam) das Haus betreten hätte. In jedem anderen Fall würde Barris unweigerlich zu dem Schluß kommen, daß etwas nicht in Ordnung war. Und nichts und niemand würde ihn wieder davon abbringen können.
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