Hank las nachdenklich weiter. »Unser Informant sagt weiter, daß Arctor unter geheimnisvollen Umständen kommt und geht, besonders gegen Sonnenuntergang. Wenn er zu Hause ankommt, ißt er zunächst und geht dann bald wieder weg, wobei er oft Gründe angibt, die Vorwände sein könnten. Manchmal verläßt er das Haus sogar in großer Hast. Aber er bleibt nie sehr lange weg.« Hank – oder genauer gesagt: der Jedermann-Anzug – schaute auf und blickte Fred an. »Haben Sie das schon einmal beobachtet? Können Sie die Angaben unseres Informanten bestätigen? Lassen sich irgendwelche Schlüsse daraus ziehen?«
»Höchstwahrscheinlich geht er zu seiner Puppe – Donna«, sagte Fred.
»›Höchstwahrscheinlich‹, hm. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie so etwas genau wissen.«
»Natürlich liegt’s an Donna. Er ist drüben bei ihr und vögelt Tag und Nacht mit ihr rum.« Sein Unbehagen wuchs. »Aber ich werd’s mal überprüfen und Sie darüber informieren, was ich herausfinde. Wer ist eigentlich dieser Informant? Vielleicht will da einer Arctor eins reinwürgen.«
»Wissen wir nicht, zum Teufel. Kam per Telefon. Wir haben nicht mal ‘nen Stimmabdruck – der Bursche benutzte eine elektronische Abschirmung, wahrscheinlich selbst zusammengefutschelt.« Hank kicherte; ein seltsam fremdartiges Geräusch, dieses Kichern, das da metallisch aus dem Sprechteil des Anzugs schepperte. »Aber es hat funktioniert. Gut genug.«
»Meine Güte«, begehrte Fred auf, »das war bestimmt bloß dieser ausgeflippte Säurekopf Jim Barris, der aus irgend einem Grund sauer auf Arctor ist und ihn jetzt reinreiten will. Barris hat während seiner Zeit beim Militär pausenlos Elektronikkurse belegt und dazu noch einen Kurs für die Wartung von schwerem Gerät. Ich an Ihrer Stelle würde ihm nicht mal glauben, wenn er Ihnen die Uhrzeit sagt. «
Hank schüttelte ablehnend den Kopf. »Wir wissen nicht, ob es überhaupt Barris war. Und außerdem ist Barris vielleicht doch nicht nur ein ›ausgeflippter Säurekopf‹. Wir haben mehrere Leute auf die Sache angesetzt. Allerdings haben wir keine Erkenntnisse gewonnen, die für Sie von Nutzen sein könnten – jedenfalls bisher nicht.«
»Auf jeden Fall war es einer von Arctors Freunden«, sagte Fred.
»Ja, der Tip ist zweifellos ein Racheakt. Diese verrückten Doper – rufen uns jedesmal an, wenn sie Wut aufeinander haben. Mir schien es übrigens tatsächlich so, als würde er Arctor sehr gut kennen. Also gehört er zu seinem engsten Bekanntenkreis.«
»Netter Junge«, sagte Fred verbittert.
»Tja, auf diese Weise kommen wir nun mal an unsere Informationen«, sagte Hank. »Wo liegt da der Unterschied zu dem, was Sie machen?«
»Ich tu’s nicht, weil ich einen persönlichen Groll gegen jemanden hege«, sagte Fred.
»Und warum tun Sie’s eigentlich dann?«
Nach einer langen Pause sagte Fred: »Sie können mich totschlagen, aber ich weiß es nicht, verdammt noch mal.«
»Sie haben doch im Moment nichts mehr mit Weels am Hut. Ich glaube, ich werde Sie vorläufig dazu einteilen, in erster Linie Bob Arctor zu observieren. Hat er einen zweiten Vornamen? Er verwendet die Initialen –«
Fred gab ein abgewürgtes, roboterartiges Geräusch von sich. »Warum ausgerechnet Arctor?«
»Arctor bezieht Geld aus einer unbekannten Quelle, also geht er auch einer unbekannten Nebentätigkeit nach. Außerdem macht er sich durch seine Aktivitäten offenbar Feinde. Wie lautet Arctors zweiter Vorname?« Hanks Stift schwebte geduldig über dem Papier. Hank erwartete eine klare Antwort.
»Postlethwaite. «
»Wie wird das buchstabiert?«
»Weiß ich nicht. Scheiße noch mal, weiß ich nicht«, sagte Fred.
»Postlethwaite«, sagte Hank und schrieb ein paar Buchstaben hin. »Aus welchem Sprachraum kommt denn das?«
»Walisisch«, sagte Fred kurz. Er konnte kaum noch verstehen, was Hank sagte; in seinen Ohren verschmolz alles zu einem großen Rauschen, und auch seine übrigen Sinne versagten jetzt einer nach dem anderen.
»Sind das nicht die Leute, die immer dieses Lied über die Männer von Harlech singen? Was ist ›Harlech‹? Eine Stadt irgendwo?«
»Harlech ist der Ort, wo im Jahre 1468 der heldenhafte Widerstand gegen die Yorkisten –« Fred verstummte. Scheiße, dachte er. Das ist alles so fürchterlich.
»Moment, ich möchte das zu den Akten nehmen.« Hanks Stift flog über das Papier.
Fred sagte: »Bedeutet das, daß sie Arctors Haus und seinen Wagen verwanzen lassen werden?«
»Ja, mit dem neuen Holografie-System; das ist wesentlich leistungsstärker, und außerdem haben wir im Augenblick sowieso mehr Geräte zur Verfügung, als angefordert werden. Sie wollen doch sicher die kompletten Speicheraufzeichnungen und die Ausdrucke aller Auswertungen haben?« Hank notierte sich auch das.
»Ich nehme alles, was ich kriegen kann«, sagte Fred. Er fühlte sich vollständig von allen Vorgängen um sich herum isoliert; er wünschte sich nichts sehnlicher, als daß diese Besprechung endlich vorbei sein möge. Und er dachte: Wenn ich bloß ein paar Tabletten einpfeifen könnte –
Jenseits des Tisches schrieb der andere formlose Fleck immer weiter, übertrug Kennziffern aus einer Inventarliste in die dafür vorgesehenen Formblätter – die Kennziffern jener elektronischen Spielereien, über die Fred würde verfügen können, sobald Hanks Vorhaben von oben abgesegnet worden war, und mit denen sich ein lückenloses, dem modernsten Stand der Technik entsprechendes Überwachungssystem installieren ließ, das auf sein eigenes Haus gerichtet war.
Und auf ihn selbst.
*
Seit über einer Stunde arbeitete Barris nun schon daran, einen Schalldämpfer zu fabrizieren, der nur aus Haushaltsmaterialien bestehen sollte, die nicht mehr als elf Cent kosteten. Und jetzt hatte er es fast geschafft – mit Alufolie und einem Stückchen Schaumgummi. In der nächtlichen Dunkelheit von Bob Arctors Hinterhof, zwischen all den Stapeln Unkraut und Abfall, machte er sich nun bereit, seine Pistole mit dem hausgemachten Schalldämpfer abzufeuern.
»Die Nachbarn werden’s hören«, sagte Charles Freck unbehaglich. Er konnte überall erleuchtete Fenster sehen, Fenster, hinter denen vielleicht Leute in die Glotze starrten oder sich Joints drehten.
Luckman, der im Schatten herumlungerte und alles beobachtete, ohne selbst sichtbar zu sein, sagte: »In diesem Viertel rufen die nur die Bullen wenn ein Mord passiert.«
»Wozu brauchst du überhaupt einen Schalldämpfer?« fragte Charles Freck Barris. »Ich meine … äh … die sind doch illegal, oder?«
Barris sagte düster: »In einer Zeit wie dieser, da die Gesellschaft degeneriert ist und die Gottlosigkeit unter den Menschen um sich greift, braucht jeder aufrechte Mann, der etwas auf sich hält, eine Pistole, um sich zu schützen. Und er sollte sie ständig bei sich tragen.« Er kniff die Augen zusammen und feuerte seine Pistole mit dem selbstgebastelten Schalldämpfer ab. Ein gewaltiger Knall ertönte, der vorübergehend alle drei taub machte. In weit entfernten Höfen begannen Hunde zu bellen.
Lächelnd machte sich Barris daran, die Alufolie von dem Schaumgummi abzuwickeln. Er schien amüsiert zu sein.
»Mann, das is’ ja ‘n toller Schalldämpfer«, sagte Charles Freck und fragte sich, wann die Polizei wohl kommen würde. Mit einer ganzen Armada von Polizeiwagen.
»Wirklich faszinierend«, erklärte Barris und zeigte Freck und Luckman die schwarz versengten Brennkanäle im Schaumgummi. »Er hat den Sound verstärkt, statt ihn zu dämpfen. Aber ich hab’ den Dreh beinahe raus. Im Prinzip jedenfalls.«
»Wie teuer ist so eine Pistole eigentlich?« erkundigte sich Charles Freck. Er selbst hatte noch nie eine Pistole gehabt. Mehrere Male hatte er ein Messer besessen, aber irgendwer stahl es ihm immer. Einmal hatte eine Puppe das getan, während er gerade im Badezimmer war.
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