Stephen Baxter - Zeitschiffe

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Eine neue Reise durch die Zeit führt den Helden aus H. G. Wells’ »Die Zeitmaschine« in Vergangenheiten und Zukünfte, die sich als alternative Zeitströme entpuppen, die er womöglich sehr erzeugt. Der Versuch, das temporale Durcheinander zu ordnen, führt ihn zum Urknall zurück und enthüllt ihm die Geheimnisse des Multiversums… Die »offizielle Fortsetzung« des SF-Klassiker ist eine sehr lange, recht zähe und wenig originelle Hetzjagd durch die Äonen, die erst in ihrem Finale einen »sense of wonder« gewinnt und ein wenig für die aufgewendete Lesezeit entschädigt.

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Und es war diese Analogie, die mich auf die Spur brachte.

»Es ist die Rückseite der Sphäre, der Sonne abgewandt… Ich nehme an, daß es sich bei den Farben, die ich sehe, um Ozeane handelt und Kontinente und Bergketten und Savannen — vielleicht sogar Städte!« Es war ein bemerkenswerter Anblick — als ob Tausende von Welten ihrer felsigen Mäntel beraubt und dann wie Kaninchen an den Haken gehängt worden wären. Die Dimensionen der Sphäre waren so gewaltig, daß nirgendwo eine Krümmung zu erkennen war. Vielmehr kam es mir so vor, als ob ich zwischen verschiedenen Schichten eingeschlossen wäre, d. h. zwischen diesem platten Grasland und einem Deckel aus verschwommenem Himmel, wobei die Sonne wie eine Laterne dazwischen hing — und die Tiefen des Alls gerade ein oder zwei Meilen unter den Füßen.

»Denk daran, daß du dich auf der Höhe des Venusorbits befindest«, erinnerte mich Nebogipfel. »Aus einer solchen Entfernung wäre die Erde nur als bloßer Lichtpunkt zu sehen. Die meisten der hiesigen topographischen Strukturen haben viel größere Dimensionen als auf der Erde.«

»Es muß also Ozeane geben, in denen man die Erde versenken könnte«, überlegte ich. »Ich vermute, daß die tektonischen Kräfte in einer Struktur wie dieser…«

»Es gibt hier keine Tektonik«, fiel mir Nebogipfel ins Wort. »Das Innere und seine Landschaften sind künstlich. Alles, was du siehst, ist im Grunde durchkonstruiert — und in diesem Zustand wird alles auch ganz bewußt belassen.« Er wirkte ungewöhnlich nachdenklich. »Diese Geschichte unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von jener anderen, die du uns beschrieben hast. Aber dennoch gleichen sich auch einige Dinge: Dies ist eine Welt des ewigen Tages — im Gegensatz zu meiner Heimatwelt, auf der ewige Nacht herrscht. Wir haben uns in der Tat zu einer Spezies der Extreme entwickelt, von Licht und Dunkel, genau wie in jener anderen Historie.«

Dann führte Nebogipfel mich zur Kante unserer Glasscheibe. Er verhielt auf der Plattform, den Kopf unter dem Sonnenschirm verborgen; ich aber betrat kühn das umgebende Gras. Der Boden fühlte sich hart unter den Füßen an, aber ich genoß die Wahrnehmung, einen anderen Boden unter mir zu spüren, nach den Tagen auf diesem klaren, elastischen Glas. Das Gras war zwar kurz, aber hart und drahtig, von der Sorte, die man gewöhnlich in Küstennähe findet; und als ich mich bückte und die Finger in den Boden grub, merkte ich, daß das Erdreich ziemlich sandig und trocken war. In der Reihe von kleinen Gruben, die ich ausgehoben hatte, kam ein kleiner Käfer zum Vorschein; er wühlte sich tiefer in den Sand und verschwand aus meinem Blickfeld.

Eine Brise wehte über das Gras. Ich registrierte das Fehlen von Vogelgezwitscher; ich hörte überhaupt keine Tiergeräusche.

»Der Boden ist ja nicht sehr fruchtbar«, rief ich Nebogipfel zu.

»Nein«, bestätigte er. »Aber der…« — ein gurgelndes Wort, das ich nicht identifizieren konnte — »…erholt sich wieder.«

»Was hast du gesagt?«

»Ich meine das interdependent funktionierende System von Pflanzen und Insekten und Tieren. Der Krieg liegt erst vierzigtausend Jahre zurück.«

»Welcher Krieg?«

Jetzt zuckte Nebogipfel die Achseln — seine Schultern hoben sich, und sein Körperhaar raschelte — auf eine Art, die er nur von mir kopiert haben konnte! »Wer weiß? Die Ursache ist längst vergessen, die Kombattanten — die Nationen und ihre Kinder — alle tot.«

»Du hast mir doch erzählt, daß es hier nie einen Krieg gegeben hätte«, hielt ich ihm vor.

»Nicht zwischen den Morlocks«, meinte er. »Aber im Inneren… Jener Krieg war sehr verlustreich. Große Bomben fielen. Das Land hier wurde zerstört — alles Leben ausgelöscht.«

»Aber wenigstens die Pflanzen und die kleineren Tiere…«

»Alles. Du verstehst nicht. Alles auf einer Fläche von einer Million Quadratmeilen ist untergegangen, außer dem Gras und den Insekten. Und erst jetzt ist das Land wieder sicher geworden.«

»Nebogipfel, welche Wesen haben hier gelebt? Waren sie wie ich?«

Er zögerte. »Einige waren archaische Varianten wie du. Aber es hatte noch ältere Formen gegeben; ich weiß von einer Kolonie nachgezüchteter Neandertaler, welche die Religion dieses ausgestorbenen Volkes wiederbelebt hatte… Und es gab auch welche, die weiter entwickelt waren als du: Die sich nicht weniger von dir unterschieden wie ich, wenn auch auf unterschiedliche Art. Die Sphäre ist groß. Wenn du möchtest, werde ich dich zu einer Kolonie von Wesen bringen, die annähernd von deiner Art sind…«

»Oh — ich weiß nicht, ob ich das will!« winkte ich ab. »Nebogipfel, ich bin von diesem Ort überwältigt, dieser Welt aller Welten. Ich möchte erst alles gesehen haben, bevor ich mich entscheide, wo ich mein Leben verbringen werde. Kannst du das verstehen?«

Er diskutierte diesen Vorschlag nicht; vielmehr schien er aus dem Licht verschwinden zu wollen. »Sehr gut. Halte dich in der Nähe der Plattform auf. Wenn du willst, daß ich erscheine, begib dich in ihren Mittelpunkt und rufe meinen Namen.«

Und so begann mein einsamer Ausflug in das Innere der Sphäre.

In dieser Welt der ewigen Nacht gab es keinen Tag-Nacht-Rhythmus, anhand dessen man den Verlauf der Zeit hätte ermitteln können. Wenigstens hatte ich noch meine Taschenuhr: die von ihr angezeigte Zeit hatte wegen meiner Reisen durch Raum und Zeit zwar keine Bedeutung, half mir aber immerhin, Vierund-zwanzigstunden-Perioden zu definieren.

Nebogipfel hatte auf der Plattform einen Unterstand entstehen lassen — eine schlichte, viereckige Hütte mit einem Fenster und einer Tür, die sich auf die schon beschriebene Art öffnete. Er hatte mir auch ein Tablett mit Essen und Wasser bereitgestellt und zeigte mir, wie ich für Nachschub sorgen konnte: Ich mußte das Tablett wieder in die Oberfläche der Plattform hinein drücken — das war wirklich ein seltsames Gefühl — und nach wenigen Sekunden erschien dann ein anderes, vollbeladenes Tablett auf der Oberfläche. Dieser unnatürliche Vorgang verursachte mir Übelkeit, aber ich hatte keine andere Nahrungsmittelquelle und unterdrückte daher mein Unbehagen. Nebogipfel zeigte mir auch, wie ich Gegenstände in den Boden schieben mußte, um sie zu säubern; er wandte diese Technik sogar bei seinen Händen an. Ich nutzte diese Möglichkeit, meine Kleidung und Stiefel zu reinigen — die Hose wurde völlig faltenfrei wieder ausgeliefert! — aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, irgendeinen Teil meines Körpers auf diese Art zu behandeln. Der Gedanke, eine Hand oder einen Fuß — oder noch schlimmer, das Gesicht — in diese klare Fläche zu stecken, war mehr, als ich verkraften konnte, und ich benutzte weiterhin Wasser zum Waschen.

Ich verfügte indessen nach wie vor nicht über Rasierzeug und hatte schon einen schönen Vollbart entwickelt — aber er war eine deprimierende feste Masse aus Eisengrau.

Nebogipfel zeigte mir, wie ich die Einsatzmöglichkeiten meiner Brille erweitern konnte. Indem ich die Gläser auf eine bestimmte Art berührte, konnte ich entfernte Objekte stark vergrößern lassen und sie nahe und lebensecht heranholen. Sofort setzte ich die Brille auf und fokussierte sie auf den entfernten Schatten, den ich für eine Bauminsel gehalten hatte. Er erwies sich dann aber nur als ein Felsen, der ziemlich verwittert bzw. geschmolzen wirkte.

Die ersten Tage genügte es mir, einfach nur da zu sein, in diesem geschundenen Grasland. Ich begab mich auf lange Wanderungen; ich zog die Stiefel aus und erfreute mich an dem Gefühl von Gras und Sand zwischen den Zehen, und oft entkleidete ich mich im heißen Sonnenlicht bis auf die Hose. Bald war ich richtig schokoladenbraun geworden — obwohl ich auf der Stirn unter dem zurückweichenden Haaransatz einen ziemlichen Sonnenbrand bekommen hatte — es war wie ein Kuraufenthalt in Bognor!

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