Stephen Baxter - Zeitschiffe

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Eine neue Reise durch die Zeit führt den Helden aus H. G. Wells’ »Die Zeitmaschine« in Vergangenheiten und Zukünfte, die sich als alternative Zeitströme entpuppen, die er womöglich sehr erzeugt. Der Versuch, das temporale Durcheinander zu ordnen, führt ihn zum Urknall zurück und enthüllt ihm die Geheimnisse des Multiversums… Die »offizielle Fortsetzung« des SF-Klassiker ist eine sehr lange, recht zähe und wenig originelle Hetzjagd durch die Äonen, die erst in ihrem Finale einen »sense of wonder« gewinnt und ein wenig für die aufgewendete Lesezeit entschädigt.

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Die Morlocks würden für die Sicherheit und das leibliche Wohl der Menschheit sorgen. Aber, ihrer Seele beraubt und am Schluß vielleicht auch noch ihrer Kinder, konnte die Menschheit in meinen Augen höchstens noch ein paar Generationen überleben!

Der Horror, den ich bei dieser Vorstellung empfand, ließ das Blut durch die Adern pulsieren — und doch wies mich selbst in diesem Moment ein entfernter, rationaler Winkel meines Geistes auf gewisse Unstimmigkeiten dieses Bildes hin. »Schau mal«, sagte ich zu mir, »wenn die ganze moderne Menschheit wirklich auf diese Art ausgelöscht würde — denn der moderne Mensch ist eben der Vorfahre der Morlocks — dann könnten sich die Morlocks überhaupt nicht erst entwickeln und somit auch nicht meine Maschine beschlagnahmen und durch die Zeit zurückreisen… Es ist paradox, nicht wahr? Denn beide Möglichkeiten zusammen gehen nicht.« Es ist nämlich so, daß in einer entlegenen Ecke meines Hirns das ungelöste Problem meiner zweiten Zeitreise — mit den divergierenden Vergangenheiten, die ich beobachtet hatte — noch immer vor sich hingärte, und ich wußte im tiefsten Herzen, daß mein Verständnis der diesem Zeitreise-Paradigma zugrundeliegenden Philosophie im besten Falle nach wie vor begrenzt war.

Aber ich schob das alles beiseite, als ich mich wieder Nebogipfel zuwandte. » Niemals. Ich werde euch niemals bei einem Zeitreiseprojekt unterstützen.«

Nebogipfel sah mich an. »Dann — im Rahmen der Vorbehalte, die ich dir genannt habe — steht es dir frei, jede beliebige deiner Welten aufzusuchen.«

»In diesem Fall«, sagte ich, »bitte ich euch, mich an einen Ort zu bringen — wo auch immer er sich in diesem künstlichen Sonnensystem befinden mag — an dem Menschen wie ich noch existieren können.«

Ich glaube, daß ich ihm diesen Köder nur hingeworfen hatte, um eine Ablehnung zu provozieren. Aber zu meiner Überraschung kam Nebogipfel auf mich zu. »Nicht exakt wie du«, meinte er. »Aber dennoch — komm!«

Dann schritt er ohne weiteren Kommentar wieder über diese immense, bevölkerte Ebene. Mir kamen seine letzten Worte mehr als ominös vor, aber ich konnte ihre Bedeutung nicht verstehen — und überhaupt hatte ich kaum eine andere Wahl, als ihm zu folgen.

Wir erreichten eine freie Fläche mit einem Durchmesser von vielleicht einer Viertelmeile. Ich hatte schon lange jeden Orientierungssinn in dieser großen Stadt-Kammer verloren. Nebogipfel setzte seine Brille auf, und ich tat es ihm nach.

Plötzlich stach ein Lichtbogen durch das Dach über uns und hüllte uns ein. Ich schaute nach oben, in ein warmes Gelb, und sah Staubflocken in der Luft herumtanzen; für einen Augenblick dachte ich, daß ich wieder zu jenem Lichtkäfig in der kleineren Kammer zurückgekehrt wäre, in der man mich gefangengehalten hatte.

Ich wartete — ich konnte nicht sehen, ob Nebogipfel der unsichtbaren Maschine, die diesen Ort versorgte, irgendwelche Befehle gegeben hatte — jedenfalls ging ein heftiges Rucken durch den Boden unter mir. Ich taumelte, denn es war wie ein leichtes Erdbeben und kam dazu noch unerwartet; aber ich fing mich schnell wieder.

»Was war das?«

Nebogipfel war ungerührt. »Vielleicht hätte ich dich warnen sollen. Unser Aszent ist gestartet.«

»Aszent?«

Jetzt sah ich, daß sich eine etwa eine Viertelmeile durchmessende Scheibe aus Glas vom Boden erhob und mich und Nebogipfel in die Höhe beförderte. Es war, als ob ich auf der Oberfläche eines immensen Pfeilers gestanden hätte, der sich aus dem Boden schob. Wir waren bereits etwa zehn Fuß hoch, und unsere Geschwindigkeit schien sich noch zu erhöhen; ich verspürte einen Lufthauch an der Stirn.

Ich ging ein Stück auf die Abbruchkante der Scheibe zu und beobachtete, wie sich diese immense, komplexe Stadt der Morlocks unter mir entfaltete. Die Stadt erstreckte sich über die Grenzen meines Blickfeldes hinaus, völlig eben und gleichmäßig bebaut. Sie wirkte wie eine präzise Kartographie, vielleicht eine Sternkarte, wo auf schwarzem Hintergrund silberne Linien aufgetragen waren — und die den wirklichen Sternenhimmel dahinter überlagerten. Ein paar silbrige Gesichter blickten mir bei meinem Aufstieg nach, aber die Masse der Morlocks wirkte völlig indifferent.

»Nebogipfel — wohin…?« »Ins Innere«, erklärte er ruhig.

Ich registrierte eine Veränderung des Lichts. Es wirkte jetzt viel heller und diffuser — nicht mehr nur zu einem einzigen Strahl gebündelt, wie es am Fuß der Quelle den Anschein hatte.

Ich legte den Kopf in den Nacken. Während ich hinsah, erweiterte sich die Lichtscheibe über mir, so daß ich nun um die zentrale Scheibe der Sonne einen ringförmigen Himmelsausschnitt ausmachen konnte. Der Himmel war blau und mit hohen, flockigen Wolken durchsetzt; aber er hatte eine merkwürdige Struktur, eine verwaschene Färbung, die ich zunächst auf die Brille zurückführte, die ich noch aufhatte.

Nebogipfel wandte sich von mir ab. Er tippte mit einem Fuß auf die Basis unserer Plattform, und ein Objekt kam zum Vorschein — zuerst konnte ich es nicht identifizieren —, das sich dann als eine flache Schüssel entpuppte, aus deren Mitte ein Stab herauswuchs. Erst als Nebogipfel das Teil aufhob und sich über den Kopf hielt, wußte ich, was es darstellen sollte: ein einfacher Sonnenschirm, um die Sonne von seiner bleichen Haut fernzuhalten.

Solcherart gerüstet stiegen wir zum Licht empor — die Säule verbreiterte sich — und schließlich tauchte mein Neunzehnter-Jahrhundert-Kopf in eine Ebene aus Gras ein!

Im Inneren

»Willkommen im Inneren«, sagte der mit seinem Sonnenschirm irgendwie skurril wirkende Nebogipfel.

Unsere eine Viertelmeile durchmessende Glassäule beendete lautlos die letzten paar Fuß ihres Aufstieges. Ich fühlte mich, als ob ich wie der Assistent eines Zauberkünstlers auf eine Bühne emporschweben würde. Ich nahm die Brille ab und beschirmte mit den Händen die Augen.

Die Plattform verzögerte und kam zum Stillstand, wobei ihre Kante bündig mit der umliegenden, aus kurzem, drahtigen Gras bestehenden Wiese abschloß, so nahtlos, als ob sie ein gegossenes Betonfundament gewesen wäre. An diesem Ort war jetzt Mittag; natürlich, überall im Inneren war Mittag, den ganzen Tag und jeden Tag! Die blendende Sonne stach auf Kopf und Hals — ich mußte wohl bald mit einem Sonnenbrand rechnen — aber das angenehme Gefühl dieses eingefangenen Sonnenlichts war diesen Preis wert, zumindest für den Augenblick.

Ich drehte mich um und studierte die Landschaft.

Gras — eine konturenlose Fläche — erstreckte sich bis zum Horizont — mit der Ausnahme indessen, daß es überhaupt keinen Horizont gab, hier auf diesem platten Land. Ich schaute hoch, in der Erwartung, daß die Welt sich nach oben krümmen würde: ich klebte schließlich nicht mehr an der Außenfläche einer kleinen Felsenkugel wie der Erde, sondern stand auf der Innenseite einer gigantischen, hohlen Schale. Aber es gab keinen derartigen optischen Effekt; ich sah nur Gras und in weiter Entfernung etwas, das vielleicht Baum- oder Buschinseln darstellte. Der Himmel war eine bläuliche Wand mit weit oben driftenden Schäfchenwolken, der an einer flachen Nahtstelle aus Dunst und Staub mit dem Land verschmolz.

»Ich habe den Eindruck, auf einer riesigen Tischplatte zu stehen«, eröffnete ich Nebogipfel. »Ich hatte zuerst geglaubt, daß die Landschaft wie eine große Schüssel aussehen würde. Was für ein Paradoxon, daß ich nicht sagen kann, ob ich mich innerhalb einer großen Kugel oder auf der Oberfläche eines gigantischen Planeten befinde.«

»Man kann es doch sagen«, erwiderte Nebogipfel unter seinem Sonnenschirm. »Schau mal nach oben.«

Ich legte den Kopf in den Nacken. Zunächst konnte ich nur den Himmel und die Sonne erkennen — er sah aus wie jeder beliebige Himmel. Dann begann ich jedoch allmählich etwas über den Wolken auszumachen. Es war diese verwaschene Struktur des Himmels, die mir schon früher aufgefallen war und die ich irrtümlicherweise einem Defekt der Brille zugeschrieben hatte. Die Kleckse hatten etwas von einem großen, in Blau und Grau und Grün gehaltenen Aquarell, waren aber sehr detailliert, so daß noch der größte Fleck gegen den kleinsten Wolkenfetzen wie ein Zwerg wirkte. Das Bild sah eher wie eine Landkarte aus — oder wie mehrere Landkartenfolien, die man übereinandergelegt hatte und nun aus großer Entfernung betrachtete.

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