»Sicherlich sind derart überlegene Intelligenzen wie diese Konstrukteure imstande, Vorkehrungen gegen einen Meteoriteneinschlag zu treffen! — indem sie die Flugbahn der abstürzenden Felsen mit ihren Teleskopen verfolgen und vielleicht von ihren Segelschiffen Raketen abfeuern, um die Brocken zu vernichten.«
»Bis zu einem gewissen Grad. Aber das Sonnensystem ist ein Ort des Zufalls und des Chaos«, erwiderte Nebogipfel. »Unabhängig von den verfügbaren Ressourcen sowie dem Umfang der Sicherheitsmaßnahmen und Beobachtungen kann man nie sicher sein, alle Schadensfälle auszuschließen… Und so müssen selbst die Konstrukteure manches wieder aufbauen — sogar den Turm, den wir bewohnen.«
»Was meinst du damit?«
»Überleg mal«, riet mir Nebogipfel. »Ist dir warm? Fühlst du dich wohl?«
Wie schon gesagt, hatte mein virtueller Kontakt mit der Einöde der Weißen Erde, der nur durch diese unsichtbare Kuppel der Konstrukteure verhindert wurde, mich frösteln lassen; aber ich wußte, daß das nur eine psychische Reaktion sein konnte. »Mir geht es ganz gut.«
»Natürlich. Mir auch. Und — weil wir nun bereits eine gute Viertelstunde unterwegs sind — wissen wir, daß in diesem Gebäude schon seit mehr als einer halben Million Jahren Bedingungen herrschen, die ein Überleben ermöglichen.«
»Aber«, gab ich zu bedenken, »dieser Turm unterliegt doch ebenso wie alle anderen den Gesetzmäßigkeiten der Zeit… deshalb muß unser Konstrukteur dieses Gebäude ständig reparieren und instandhalten, wenn es uns weiterhin zur Verfügung stehen soll.«
»Ja. Ansonsten wäre diese Kuppel, die uns schützt, schon vor langer Zeit brüchig geworden und erloschen.«
Nebogipfel hatte natürlich recht — dies war eine weitere Facette der außergewöhnlichen Beharrlichkeit der Konstrukteure — aber sie verursachte mir irgendwie Unbehagen! Ich schaute mich um und inspizierte den Boden unter uns; ich hatte den Eindruck, daß der Turm mittlerweile so porös wie ein Termitenbau geworden war, der ohne Unterlaß von den Universalen Konstrukteuren durchbohrt und wieder restauriert wurde. Mir wurde schwindlig!
Kurz darauf registrierte ich eine Veränderung in der Qualität des Lichts. Die vergletscherte Landschaft erstreckte sich scheinbar unverändert um uns herum; aber ich hatte den Eindruck, daß sich die Albedo des Eises verringert hatte.
Die Bänder der Sonne und des Mondes, die aufgrund ihrer Präzession diffus und verschwommen wirkten, bedeckten nach wie vor den Himmel; aber — obwohl der Mond noch immer in dem satten Grün der transplantierten Vegetation zu leuchten schien — durchlief die Sonne offensichtlich einen Zyklus der Veränderungen.
»Es hat den Anschein«, stellte ich fest, »daß die Sonne flackert — daß ihre Helligkeit in Intervallen von hundert Jahren oder länger schwankt.«
»Ich glaube, daß du recht hast…«
Ich war mir jetzt sicher, daß es dieses unstete Licht war, das diese merkwürdige, desorientierende Illusion eines Schattens über die vereiste Landschaft legte. Wenn man am Fenster steht, die gespreizte Hand vor das Gesicht hält und diese Hand scheibenwischerartig hin- und herbewegt — dann kann man vielleicht nachvollziehen, was ich ausdrücken will.
»Dieses verdammte Flackern«, fluchte ich, »es irritiert das Auge — und beeinträchtigt vielleicht noch den Geisteszustand…«
»Aber paß mal auf das Licht auf«, sagte Nebogipfel. »Achte auf seine Qualität. Sie verändert sich wieder…«
Ich tat wie geheißen, und umgehend wurde ich mit der Entdeckung eines neuen Aspektes des merkwürdigen Verhaltens der Sonne belohnt. Sie hatte einen Grünstich — nur manchmal, wenn mir der Himmelspfad der Sonne in einem blassen Grün erschien — aber nichtsdestoweniger real.
Jetzt, da ich wußte, daß dieses Grün wirklich existierte, konnte ich ein grünes Leuchten über den gefrorenen Hügeln und skurrilen Gebäuden von London entdecken. Es war ein atemberaubender Anblick, wie ein Hauch des Lebens, das längst von diesen Hügeln verschwunden war.
»Ich vermute, daß zwischen dem Flackern und dem grünen Leuchten ein Zusammenhang besteht«, sagte Nebogipfel. Er führte aus, daß die Sonne der größte Energie- und Materielieferant des Sonnensystems sei. Seine Morlocks hatten sich das selbst schon zunutze gemacht, um ihre Sphäre um die Sonne zu errichten. »Nun glaube ich«, mutmaßte er, »daß auch die Universalen Konstrukteure diesen großen Stern anzapfen: sie schürfen in der Sonne nach den Rohstoffen, die sie benötigen…«
»Plattnerit«, sagte ich mit wachsender Erregung. »Das ist die Ursache dieser grünen Blitze, stimmt's? Die Konstrukteure gewinnen Plattnerit aus der Sonne.«
»Oder sie nutzen ihre chemischen Fähigkeiten, um Sonnenmaterie und — energie in Plattnerit umzuwandeln, was aber letztlich auf dasselbe hinausläuft.«
Damit wir das Glühen des Plattnerits überhaupt sehen konnten, mußten die Konstrukteure nach Nebogipfels Ansicht große Schalen dieser Substanz um die Sonne herum anordnen. Nach ihrer Fertigstellung würden diese Schalen dann in riesigen Schleppzügen zu Baustellen irgendwo im Sonnensystem abtransportiert; und die Erschaffung einer neuen Schale begann. Das von uns beobachtete Flackern mußte auf die beschleunigte Montage und den Abtransport dieser großen Plattneritmengen zurückzuführen sein.
»Das ist phantastisch«, keuchte ich. »Die Konstrukteure müssen das Zeug in Mengen aus der Sonne holen, die der Masse der großen Planeten entsprechen! Das stellt sogar die Errichtung eurer großen Sphäre in den Schatten, Nebogipfel.«
»Wir wissen ja, daß die Konstrukteure gewisse Ambitionen hegen.«
Jetzt hatte ich den Eindruck, daß sich das Flackern der geduldigen Sonne deutlich glättete, als ob die Konstrukteure sich dem Abschluß ihrer Bergbautätigkeit näherten. Ich konnte noch weitere Flecken dieses charakteristischen Plattnerit-Grüns am Himmel erkennen, aber diese standen nun isoliert vom Sonnenband: vielmehr wirbelten sie wie künstliche Monde über den Himmel. Mir wurde klar, daß es sich hierbei um Plattnerit-Strukturen handelte — gigantische Brocken dieser Materie, die sich in langsamen Orbits um die Erde gruppierten.
Unregelmäßiges Plattnerit-Licht wurde von der Hülle unseres geduldigen Konstrukteurs reflektiert, der bei uns war, als der Himmel diese außergewöhnlichen Veränderungen durchlief!
Nebogipfel konsultierte seine chronometrischen Anzeigen. »Wir haben jetzt fast achthunderttausend Jahre zurückgelegt… das dürfte wohl genügen.« Er zog an den Hebeln — und das Zeitfahrzeug verzögerte mit der Trägheit, die so charakteristisch für die Zeitreise ist — und jetzt gesellte sich noch Übelkeit zu meiner Ehrfurcht und Angst.
Sofort verschwand unser Konstrukteur aus meinem Blickfeld. Ich schrie unwillkürlich auf und klammerte mich an der Bank des Zeitfahrzeugs fest. Ich glaube, daß ich mich noch nie so verloren und einsam gefühlt hatte wie in dem Moment, als unser treuer Begleiter uns nach achthunderttausend Jahren plötzlich — so schien es wenigstens — in einer völlig fremden Welt im Stich ließ.
Das durch die Präzession verursachte Flattern des Sonnenbandes wurde langsamer, glättete sich und verschwand; binnen weniger Sekunden registrierte ich wieder dieses nervig flackernde Licht, das den Tag-Nacht-Rhythmus markierte, und der Himmel verlor seine verwaschene, grau lumineszierende Struktur.
Und jetzt erfüllte das grüne Licht des Plattnerits den Himmel über mir; es hüllte unsere Kuppel ein und legte einen milchig-grün flirrenden Schleier über die leblosen Flächen der Weißen Erde.
Der hastige Tag-Nacht-Rhythmus wurde langsamer als mein Pulsschlag. Im allerletzten Moment erhaschte ich einen Blick — nicht mehr als ein Streiflicht — auf ein Sternenfeld, das blendend und nahe hervorbrach; und ich erkannte schattenhafte Schemen einiger großer Köpfe und großer, menschlicher Augen. Dann schob Nebogipfel die Hebel in ihre Ruhestellung — das Fahrzeug hielt an, und wir waren in der Zukunft gelandet. Das Rudel der Beobachter verschwand; und wir tauchten in eine Flut grünen Lichts ein.
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