»Vielleicht war es die manipulierte Leuchtkraft der Sonne«, spekulierte Nebogipfel. »Das Plattnerit-Projekt der Konstrukteure…«
»Weißt du«, sagte ich ziemlich bitter, »ich glaube, daß ich — selbst nach allem, was wir bisher gesehen und gehört haben — irgendwie Trost in der Existenz dieses erdgrünen Flecks am Himmel gefunden hatte. Die Vorstellung, daß irgendwo — nicht so unvorstellbar weit weg — noch ein Stück der Erde, so wie ich sie kannte, überlebt hatte: daß es einen ungewöhnlichen Niedergravitations-Dschungel geben könnte, der von den Nachkommen der Menschen durchstreift wurde… Aber jetzt können nur noch Ruinen und schwache Fußabdrücke auf dieser öden Oberfläche existieren — noch mehr, die sich denen anschließen können, die über die tote Erde verstreut sind…«
Und exakt in diesem Moment, wo ich Trübsal blies, ertönte ein Knall wie ein Gewehrschuß — und unser Schutzschirm platzte wie eine Eierschale auf!
Ich sah, daß sich eine Serie von Rissen — ein komplexes Delta — in dem Schirm gebildet hatte. Vor meinen Augen löste sich ein kleiner Abschnitt der Kuppel, nicht größer als meine Hand, und schwebte wie eine Schneeflocke durch die Luft.
Und hinter der sich auflösenden Kuppel vergrößerte sich das Plattneritgewebe des Schiffs — die Fäden wuchsen, zu mir und Nebogipfel herunter.
»Nebogipfel — was ist hier los? Werden wir ohne die Kuppel sterben?« Ich befand mich in einem völlig elektrisierten Zustand, in dem jeder Nerv vor Mißtrauen und Angst zitterte.
»Du mußt versuchen, die Angst zu unterdrücken«, empfahl mir Nebogipfel, und dann ergriff er mit einer schlichten, erstaunlichen Geste mit seinen dünnen Morlockfingern meine Hand und hielt sie, wie ein Erwachsener die Hand eines Kindes halten mochte. Es war das erstemal seit diesen fürchterlichen Momenten, als der Konstrukteur mich restauriert hatte, daß ich die Berührung dieser kalten Finger spürte. Ich befürchte, daß ich vor lauter Angst aufgeschrien und mich tiefer in den Sitz gedrückt hatte, nur von dem Gedanken an Flucht erfüllt; und Nebogipfels schwache Hand packte die meine noch fester.
Die Kuppel zerfiel weiter, und ich hörte, wie sie in feinen Partikeln auf das Zeitfahrzeug herabregnete. Die Plattnerit-Fäden wucherten tiefer in unsere zersplitternde Kuppel, wobei sie von Lichtknoten durchzogen wurden.
Nebogipfel sagte: »Sie wollen uns mitnehmen — die Konstrukteure — diese Plattnerit-Wesen — zum Anfang der Zeit und vielleicht noch darüber hinaus… Aber nicht so.« Er deutete auf seinen zerbrechlichen Körper. »Wir könnten das niemals überleben — nicht eine Minute… Ist dir das klar?«
Die Plattnerit-Tentakel wischten mir über Kopf, Stirn und Schultern; ich duckte mich, um ihrem kalten Griff zu entgehen. »Du meinst«, sagte ich, »daß wir wie sie werden müssen. Wie die Konstrukteure… . wir müssen die Berührungen dieser Fäden über uns ergehen lassen!«
»Es ist die einzige Möglichkeit. Deine Angst ist verständlich; aber du mußt sie unterdrücken, nur noch einen Augenblick lang, und dann — dann wirst du frei sein…«
Ich spürte, wie sich das kühle Gewicht von Plattnerit-Spulen über meine Beine und Schultern legte. Ich bemühte mich, stillzuhalten — und dann war es mir, als ob sich einer dieser zuckenden Fasern über meine Stirn bewegte, und ich konnte eindeutig spüren, wie Fäden über mein Haut krochen, und ich schrie auf und wehrte mich gegen diese leichte Last, aber noch immer konnte ich mich nicht von meinem Sitz erheben.
Ich war inzwischen ganz in Grün getaucht, und meine Wahrnehmung der Außenwelt — des Mondes, der Eisfelder der Erde, sogar der Gesamtstruktur des Schiffes — verschwamm. Diese wandernden, quasi-lebendigen Lichtknoten glitten über meinen Körper und blendeten mich. Die Früchteschale entglitt meinen erstarrenden Fingern und fiel klappernd auf den Fahrzeugboden; aber selbst dieses Klappern verklang schnell, als mir die Sinne schwanden.
Schließlich kollabierte die Kuppel vollständig, und ein Hagel von Trümmerstücken ging auf mich nieder. Die Stirn meldete ein Kältegefühl, den entfernten Hauch des Winters, und dann spürte ich nur noch Nebogipfels kalte Finger um meine Hand — das war alles, was ich noch wahrnahm, außer diesem allgegenwärtigen, fließenden Gefummel des Plattnerits. Ich stellte mir vor, wie sich Fäden ablösten und — wie sie es schon einmal getan hatten — in die Öffnungen meines Körpers eindrangen. Diese Invasion des Lichts war so schnell erfolgt, daß ich weder einen Finger rühren noch aufschreien konnte — ich war arretiert wie in einer Zwangsjacke — und jetzt zwängten sich die Tentakel wie Würmer zwischen den Lippen hindurch in den Mund, um dort auf der Zunge zu zergehen; und ich verspürte einen kalten Druck auf den Augen…
Ich war verloren, entstofflicht, eingetaucht in smaragdgrünes Licht.
Sechstes Buch
Zeitschiffe
Ich befand mich jenseits von Raum und Zeit. Es war nicht wie Schlaf — denn selbst im Schlaf ist das Gehirn noch aktiv, funktioniert und sortiert seinen Bestand an Informationen und Erinnerungen; sogar im Schlaf, behaupte ich, ist man bei Bewußtsein, sich seines Selbst und seiner fortdauernden Existenz bewußt.
Dieses Intervall, dieser zeitlose Abschnitt, war anders. Es war vielmehr so, als ob das Plattnerit-Gespinst mich subtil und lautlos zerlegt hätte. Ich war ganz einfach nicht mehr da; und die Fragmente meines Selbst, die Splitter meiner Erinnerung waren in diesem riesigen und unsichtbaren Informationsmeer verstreut, von dem Nebogipfel so begeistert war.
… Und dann — noch weitaus mysteriöser! — war ich wieder hier — präziser kann ich es nicht ausdrücken. Es war weniger ein Aufwachen als ein Einschalten, so wie man eine Glühbirne anknipst. Im einen Moment — nichts; im nächsten — ein volles, erschauerndes Bewußtsein.
Ich konnte wieder sehen. Ich hatte eine klare Sicht der Welt — die grün glühende Hülle des mich umgebenden Zeitschiffes, der knöcherne Schimmer der Erde im Hintergrund.
Ich war wieder existent! — und Panik — ein Horror wegen dieser Phase der Abwesenheit — ergriff von mir Besitz. Ich habe noch nie etwas so gefürchtet wie die Nicht-Existenz — und tatsächlich hatte ich mich schon lange dazu entschlossen, alle Qualen, die Luzifer für den intelligenten Ungläubigen bereithält, zu begrüßen, wenn diese Pein nur den Nachweis dafür erbrachte, daß mein Bewußtsein noch funktionierte!
Aber es war mir nicht vergönnt, diesen Gedanken weiter nachzuhängen, denn jetzt überkam mich das extreme Gefühl, hochgehoben zu werden. Ich spürte eine zunehmende Belastung, einen Zug, als ob mich ein großer Magnet in die Höhe höbe. Diese Belastung wuchs stetig an — ich kam mir wie ein Atom vor, an dem monströse Kräfte zerrten —, und plötzlich war diese Anspannung verschwunden. Ich glaubte zu schweben und fühlte mich wieder wie ein kleines Kind, das von den starken, sicheren Händen eines Erwachsenen hochgehoben wurde; ich spürte die gleiche Leichtigkeit des Seins, das Gefühl, zu fliegen. Die Masse des Zeitschiffes stieg mit mir auf, so daß ich glaubte, mich im Mittelpunkt eines riesigen, offenen und grün glühenden Ballons zu befinden, der sich vom Boden erhob.
Ich schaute nach unten — oder zumindest versuchte ich es; ich spürte weder meinen Kopf noch den Hals, aber mein Panoramablick richtete sich nach unten. Man muß sich vorstellen, daß das Schiff, in dem ich mich aufhielt, die Form eines Dampfschiffes hatte — nur um ein Vielfaches vergrößert — sein schlanker Kiel war mehrere Meilen lang — und dennoch schwebte es mit der Leichtigkeit einer Wolke über die Landschaft. Ich blickte durch die offene, netzartige Substanz des Schiffes auf das Land, und ich schaute direkt von oben auf unser Zeitfahrzeug. Obwohl meine Wahrnehmung durch das komplexe, sich verstärkende Funkeln des Schiffes erschwert wurde, glaubte ich, zwei Körper in dem Fahrzeug zu sehen, einen Menschen und eine kleinere Gestalt, die mit Bewegungen, die wegen der eindringenden Kälte noch steif wirkten, auf den Fahrzeugboden sanken.
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