In Anbetracht all dessen, dachte ich, hatten meine unsichtbaren Gastgeber bei der Auswahl der Konditionen, die mir zusagen könnten, wirklich gut getroffen.
Auf jeden Fall schien es, daß meine Erwartungen selbst nach all den bisherigen Erfahrungen noch auf mein eigenes Jahrhundert und einen kleinen Ausschnitt des Globus fixiert waren! Das war eine heilsame Erkenntnis — das Bewußtsein meiner eigenen Kleinheit —, und ich versank für einige Zeit in Kontemplation. Aber prinzipiell neige ich nicht zur Nachdenklichkeit, und bald echauffierte ich mich wieder über meine restriktive Situation. Mochte es auch undankbar sein, aber ich wollte meine Freiheit zurück! — obwohl ich nicht wußte, wie ich das hätte bewerkstelligen können.
Ich schätze, daß ich mich vielleicht zwei Wochen in diesem Käfig befand. Meine Freilassung erfolgte ebenso plötzlich wie unerwartet.
Als ich aufwachte, war es dunkel. Zuerst konnte ich nicht erkennen, was meinen Schlaf gestört hatte — und dann hörte ich es: ein leises Geräusch, ein sanftes, entferntes Atmen. Es war ein sehr leises Geräusch — fast nicht wahrzunehmen, und ich wußte, daß es mich nicht aufgeweckt hätte, wenn es in den frühen Morgenstunden in den Straßen Richmonds zu hören gewesen wäre. Aber hier waren meine Sinne durch die lange Isolation geschärft worden: hier hatte ich vierzehn Tage kein Geräusch gehört — abgesehen von dem leisen Zischen des Dampfbades —, das nicht von mir selbst gekommen wäre.
Hastig setzte ich mir die Brille auf die Nase. Eine Lichtflut blendete mich, und ich blinzelte Tränen weg, begierig zu sehen, was los war.
Eine Tür hatte sich geöffnet, in der Wand meiner Zelle. Sie war rund, mit einer vielleicht sechs Zoll hohen Schwelle, und sie ging durch eines dieser Pseudo-Fenster. Die Brille bildete ein sanftes Glühen ab, blaß wie Mondlicht, das durch diese Öffnung in meinen Raum drang.
Ich stand auf, zog mein Hemd an — ich hatte mich nämlich daran gewöhnt, auf dem als Kissen zusammengerollten Hemd zu schlafen — und ging auf den Türrahmen zu. Dieses leise Atmen verstärkte sich, und — als Oberton, wie das Plätschern eines Baches eine Brise überlagert — vernahm ich das fließende Gurgeln einer Stimme: ein fast menschlicher Klang, eine Stimme, die ich sofort erkannte!
Der Flur führte zu einer anderen Kammer, die ungefähr die Größe und Form meiner eigenen hatte. Aber hier gab es keine falschen Fensterrahmen, keine stümperhaften Dekorationsversuche, keinen Sand auf dem Fußboden; statt dessen waren die Wände kahl, von einem schlichten metallischen Grau, und es gab einige mit Rollos bedeckte Fenster und eine Tür mit einem einfachen Griff. Es gab keine Möbel, und der Raum wurde von einem einzigen, riesigen Artefakt dominiert: es war die Pyramiden-Maschine (oder eine mit ihr identische), die ich zuletzt gesehen hatte, als sie ihre langsame, schmerzhafte Wanderung über meinen Körper begonnen hatte. Wie ich schon geschildert habe, war sie etwa mannshoch und an der Basis genauso breit; ihre Oberfläche schien metallisch zu sein, hatte aber eine komplexe, changierende Struktur. Wenn man sich eine sechs Fuß hohe Pyramidenkonstruktion vorstellt, auf deren Oberfläche verschwommene metallische Soldaten-Ameisen umherwuseln, weiß man ungefähr, wovon ich rede.
Aber dieses Monstrum fesselte weniger meine Aufmerksamkeit; denn — die Gestalt, die direkt davorstand und offensichtlich mit einer Art Objektiv in das Innere der Pyramide schaute — war Nebogipfel.
Ich stolperte vorwärts und breitete voller Freude die Arme aus. Aber der Morlock stand nur reglos da und reagierte überhaupt nicht auf meine Anwesenheit.
»Nebogipfel«, sagte ich, »ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dich gefunden zu haben. Ich dachte schon, ich müßte verrückt werden — verrückt vor Einsamkeit!«
Jetzt sah ich, daß ein Auge — das zerstörte rechte — von diesem Okular bedeckt war; das Rohr war mit der Pyramide verbunden, verschmolz mit dem Objekt, und auf dieser ganzen Konfiguration krabbelten Miniatur-Ameisen umher, die auch die Pyramide bedeckten. Ich betrachtete diese Szene mit einigem Ekel, denn ich hätte keinen Wert darauf gelegt, ein solches Gerät in meine Augenhöhle implantiert zu bekommen!
Nebogipfels anderes, unversehrtes Auge schwenkte groß und graurot auf mich ein. »Eigentlich war ich es, der dich gefunden und darum gebeten hat, dich zu sehen. Und wie auch immer deine geistige Verfassung ist, scheinst du wenigstens gesund zu sein«, stellte er fest. »Was machen deine Erfrierungen?«
Das verwirrte mich. »Welche Erfrierungen?« Ich betastete meine Haut, wobei ich aber ganz genau wußte, daß dort nichts zu sehen war.
»Dann haben sie gute Arbeit geleistet«, konzedierte Nebogipfel.
»Wer?«
»Die Universalen Konstrukteure.« Damit mußte er wohl die Pyramiden-Maschine und ihre Vettern meinen.
Mir fiel auf, wie gerade seine Haltung und wie gepflegt und gekämmt sein Haarpelz war. Ich stellte fest, daß er im Gegensatz zu mir in diesem Glühen des Mondlichts keine Brille als Sichtverstärker benötigte; offenbar waren unsere Kammern eher für seine Bedürfnisse ausgelegt als für meine. »Du siehst gut aus, Morlock«, sagte ich herzlich. »Dein Bein ist wieder gerichtet — und der schlimme Arm auch.«
»Den Konstrukteuren ist es gelungen, die meisten meiner alten Verletzungen zu heilen — im Grunde bin ich jetzt wieder genauso gesund wie damals, als ich das erstemal an Bord deiner Zeitmaschine kam.«
»Bis auf das Auge«, bemerkte ich mit einigem Bedauern, denn ich bezog mich auf das Auge, das ich vor lauter Angst und Zorn zerstört hatte. »Ich nehme an, daß sie — diese Konstrukteure — es nicht retten konnten.«
»Mein Auge?« Er klang verwirrt. Er trat von der Optik zurück; das Rohr löste sich mit einem leisen Schmatzen von seinem Gesicht, baumelte an der Pyramide und wurde dann von der Metallhülle verschluckt. »Überhaupt nicht«, widersprach er. »Ich wollte, daß es so verändert wurde. Es bringt einige Erleichterungen mit sich, obwohl ich gestehen muß, daß ich den Konstrukteuren mein Anliegen nur schwer vermitteln konnte…«
Nun wandte er sich mir zu. Die eine Augenhöhle war ein tiefes Loch. Das zerstörte Auge war herausgeholt worden, und es hatte den Anschein, als ob der Knochen abgefräst und das Loch vertieft worden wäre — in der Höhle glitzerte feuchtes, sich bewegendes Metall.
Es stellte sich heraus, daß im Gegensatz zu meiner spartanischen Zelle Nebogipfel in einer veritablen Suite untergebracht worden war. Sie hatte vier Zimmer, von denen jedes so groß wie meins war, annähernd Kegelform hatte und zudem über Türen und Fenster verfügte, die unsere Gastgeber mir nicht zugestehen wollten: es war offenkundig, daß sie seinen Intellekt höher einschätzten als meinen!
Möbel gab es jedoch genauso wenig wie bei mir, obwohl die Morlocks ohnehin ziemlich anspruchslos sind und Nebogipfel deshalb auch nichts vermißte. In einem Raum indessen fand ich ein bizarres Objekt: ein vielleicht zwölf Fuß langes und sieben Fuß breites tischähnliches Möbelstück, das mit einem weichen orangefarbenen Belag überzogen war. Um den Rand dieses Tisches verliefen Taschen, die alle mit einer harten Substanz beschichtet waren und grün glühten. Der Tisch war annähernd rechteckig, obwohl seine Ecken unregelmäßig geformt waren; und eine vereinzelte Kugel — weiß und aus einem schweren Material — lag auf der Tischplatte. Als ich die Kugel anstieß, rollte sie leicht über den Tisch, obwohl sie unlackiert war; ihre Geschwindigkeit war ziemlich hoch, und sie prallte mit einem festen Stoß von den Bandenkissen ab.
Ich versuchte die tiefere Bedeutung dieser Konstruktion zu ergründen; aber, unglaublich — wie Sie aus meiner Beschreibung vielleicht schon geschlossen haben —, es war nichts anderes als ein Billardtisch! Ich fragte mich, ob das noch so eine verzerrte Replik aus einem Hotelzimmer des neunzehnten Jahrhunderts war — aber ein ziemlich skurriles Exponat, wenn es denn stimmte; und ohne Queues und nur mit einer einzigen Kugel konnte ich ohnehin nicht viel damit anfangen.
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