»Offensichtlich nicht.« Er streckte seine bleiche Hand in den Himmel. »Es sieht nämlich so aus, daß sie noch viel ambitioniertere Pläne verfolgen.«
Ich wandte den Kopf, um zu sehen, was er damit sagen wollte. Wie ich bemerkte, tat sich schon wieder etwas in dieser großen Orbitalstadt. Diesmal wurden große Schalen — unregelmäßig geformt und sicher mehrere tausend Meilen durchmessend — um die glühende lineare Stadt konfiguriert, wie Früchte an einem Ast. Und sobald eine Schale fertiggestellt war, löste sie sich von der Erde, erstrahlte in einem Feuer, welches das Land erhellte, und verschwand. Aus unserer Perspektive dauerte die Entwicklung eines solchen Artefakts vom Embryonalzustand bis zum flugfähigen Gerät höchstens eine Sekunde; aber ich konnte mir denken, daß jede Dosis dieses grellen Lichts die Erde für Jahrzehnte illuminiert haben mußte.
Es war ein beeindruckender Anblick, und er hielt noch einige Zeit an — mehrere tausend Jahre, nach meiner Schätzung.
Diese Schalen waren natürlich riesige Raumschiffe, die in den Raum aufbrachen.
»Also«, wandte ich mich an den Morlock, »die Menschen verlassen in diesen großen Raumschiffen die Erde. Aber was meinst du, wohin sie gehen? Zu den Planeten? Mars, Jupiter, oder…«
Nebogipfel saß da, hatte den maskierten Kopf in den Nacken gelegt, die Hände im Schoß gefaltet, und die Lichter der Schiffe spielten auf seinem Gesichtsfell. »Man braucht keine derart spektakulären Energien, wie wir sie hier gesehen haben, um solch lächerliche Distanzen zu überwinden. Mit einem Antrieb wie diesem… Ich vermute, daß diese Neuen Menschen ein größeres Ziel verfolgen. Ich glaube, daß sie das Sonnensystem verlassen, genauso wie sie die Erde verlassen haben.«
Ehrfürchtig schaute ich den abfliegenden Schiffen nach. »Was müssen diese Neuen Menschen für bemerkenswerte Leute sein! Ich will ja nichts gegen euch Morlocks sagen, alter Freund, aber trotzdem — welch ein Unterschied in Kompetenz und Motivation! Ich meine — eine Sphäre um die Sonne ist eine Sache, aber ein Aufbruch zu den Sternen…«
»Es ist zutreffend, daß sich unsere Ambitionen auf die sorgfältige Zähmung eines einzigen Sterns beschränkten — und das aus gutem Grund, denn wenn sich die Spezies auf diese Art einen größeren Lebensraum erschließen will, dann bedeutet das tausend, eine Million interstellarer Schiffsreisen.«
»Ja, vielleicht«, konzedierte ich, »aber so dramatisch wird es dann wohl doch nicht, oder?«
Er schob seine rustikale Fellmaske zurecht und überflog die ruinierte Erde. »Möglicherweise nicht. Aber der vernünftige Umgang mit begrenzten Ressourcen — sogar mit dieser Erde — scheint ja nicht gerade in den Kompetenzbereich deiner Neuen Menschen zu fallen.«
Ich mußte ihm rechtgeben. Selbst als das Feuer der Raumschiffe das Meer erhellte, verfielen die Überreste Alt-Londons weiter — die einstürzenden Ruinen schienen zu brodeln, als ob sie schmölzen — und das Meer wurde noch grauer, die Luft noch verpesteter. Die Hitze war jetzt enorm, und ich zog mir das durchgeschwitzte Hemd aus.
Nebogipfel rutschte auf seiner Bank herum und schaute sich unbehaglich um. »Ich glaube — wenn es passiert, wird es schnell geschehen…«
»Was wird?«
Die Hitze übertraf jetzt alles, was ich jemals im Dschungel des Paläozäns ertragen hatte. Die über schmutzigbraune Hügel verstreuten Ruinen der Stadt schienen zu schimmern und irreal zu werden…
Und dann — mit einem Blitz, der so grell war, daß er die Sonne ausblendete, explodierte die Stadt!
Dieses vernichtende Feuer verschluckte uns in Sekundenbruchteilen. Eine neue Hitze — absolut unerträglich — pulsierte durch das Zeitfahrzeug, und ich schrie auf. Aber gnädigerweise ließ die Hitze nach, als die Stadt eingeäschert war.
Dieser Blitz hatte die alte Stadt ausgelöscht. Alt-London war von der Erde verschwunden, und übrig geblieben waren nur einige Aschehügel und geschmolzene Steine, sowie hier und da die Spuren eines Fundaments. Bald ergriff das Leben wieder unermüdlich Besitz von der verbrannten Erde — ein grüner Bezug legte sich über die Hügel und die Ebene, und kleine Bäume zitterten an der Küste durch den Jahreszeitenzyklus — aber die Entwicklung dieses neuen Lebens ging nur langsam voran und schien sich nicht wieder zur alten Pracht zu entfalten; denn alles wurde von einem perlgrauen Nebel bedeckt, der sogar das Nachglühen der Orbitalstadt überlagerte.
»Alt-London ist also zerstört«, rekapitulierte ich perplex. »Glaubst du, daß es ein Krieg war? Dieses Feuer muß Jahrzehnte gewütet haben, bis es keine Nahrung mehr fand.«
»Es war kein Krieg«, stellte Nebogipfel richtig. »Aber dennoch glaube ich, daß es eine von Menschen verursachte Katastrophe gewesen sein muß.«
Was ich jetzt sah, war mir noch nie untergekommen. Die neuen, kärglichen Bäume entwickelten sich zurück, aber sie starben aus meiner Zeitrafferperspektive nicht einfach ab, wie die Dipterocarps, die ich zuvor beobachtet hatte. Vielmehr gingen die Bäume in Flammen auf — sie brannten wie große Streichhölzer — und dann waren sie alle verschwunden. Außerdem sah ich, wie ein großes Feuer das Gras und die Sträucher verzehrte, eine Schwärze, die sich über die Jahreszeiten erstreckte, bis am Ende kein Grashalm mehr wuchs und der Erdboden kahl und dunkel war.
Währenddessen wurden diese perlgrauen Wolken immer größer, und die Bänder der Sonne und des Mondes verdunkelten sich.
»Ich glaube, daß das dort oben Aschewolken sind«, sagte ich zu Nebogipfel. »Es ist, als ob die Erde verbrennte… Nebogipfel, was geschieht da?«
»Es ist so, wie ich befürchtet habe«, meinte er. »Deine Freunde — diese Neuen Menschen…«
»Ja?«
»Mit ihren Manipulationen und ihrer Unachtsamkeit haben sie die klimatische Stabilität des Planeten zerstört.«
Ich erschauerte, denn es war kälter geworden: es war, als ob ein unsichtbarer Wärmetauscher der Welt sämtliche Wärme entziehen würde. Zunächst begrüßte ich dies noch als Linderung der vorher so sengenden Hitze; aber die Kälte wurde schnell unangenehm. »Instabil? Diesen Eindruck könnte man wirklich bekommen.«
»Wir erleben eine Phase erhöhten Sauerstoffgehalts der Atmosphäre und eines erhöhten Luftdrucks«, erläuterte Nebogipfel. »Gebäude, Pflanzen und Gräser — sogar feuchtes Holz — werden sich unter solchen Bedingungen spontan entzünden. Aber es wird nicht lange dauern. Es ist ein Übergang… Eben die Instabilität.«
Jetzt erfolgte ein Temperatursturz — es wurde kalt wie im November — und ich mummelte mich in mein Tropenhemd ein. Ich glaubte, ein kurzes weißes Flackern wahrzunehmen — es waren Schnee und Eis, die im Zyklus der Jahreszeiten das Land bedeckten und dann wieder freigaben — und dann legten sich unabhängig von den Jahreszeiten Eis und Permafrost über die Erde, eine harte grauweiße Oberfläche, die sich allen Anschein der Dauerhaftigkeit verlieh.
Die Erde wurde umgestaltet. Im Westen, Norden und Süden wurden die Konturen des Landes von dieser Schicht aus Eis und Schnee nachgezeichnet. Im Osten war unser Meer des Paläozäns um einige Meilen zurückgewichen; ich konnte seine eisbedeckte Küste sehen, und — weit oben im Norden — ein konstantes weißes Glitzern, das auf Eisberge hindeutete. Die Luft war klar, und ich sah wieder, wie die Sonne und der grüne Mond ihre Bahnen über den Himmel beschrieben, aber nun leuchtete der Himmel in diesem perlgrauen Licht, mit dem sich im Winter Schneefälle ankündigen.
Nebogipfel hatte sich schier zusammengefaltet, die Hände in die Armbeugen gesteckt und die Beine untergeschlagen. Als ich seine Schulter berührte, war das Fleisch eiskalt — es war, als ob seine Lebensgeister sich in den wärmsten Winkel des Körpers verkrochen hätten. Das Haar auf Gesicht und Rücken hatte sich aufgeplustert, wie das Federkleid eines Vogels. Ich spürte einen Anflug von Schuld wegen seines Zustandes, denn wie ich vielleicht schon gesagt hatte, fühlte ich mich für Nebogipfels Verwundungen verantwortlich, entweder direkt oder indirekt. »Komm schon, Nebogipfel. Das ist doch nicht die erste Eiszeit, die wir erleben — die anderen waren viel schlimmer als diese hier — und wir haben sie auch überlebt. Wir legen alle paar Sekunden ein Jahrtausend zurück. Wir werden auch das überstehen und schon bald wieder Sonnenlicht sehen.«
Читать дальше