Wir sprangen in Etage Babe vom Aufwärts-Kabel ab und hörten Stimmen. Ich achtete nicht darauf. Ich gelangte innerlich zu einem Entschluss.
»Klara«, sagte ich, »hör zu. Wir …«
Aber Klara blickte über meine Schulter.
»Um Himmels willen!«, sagte sie. »Schau, wer da kommt!«
Ich drehte mich um, und da flatterte Shicky in der Luft und sprach mit einem Mädchen. Ich stellte verblüfft fest, dass es Willa Forehand war. Sie begrüßte uns, halb verlegen, halb belustigt.
»Was soll denn das?«, sagte ich. »Sind Sie nicht eben abgeflogen – vor acht Stunden vielleicht?«
»Vor zehn«, sagte sie.
»Ist mit dem Schiff etwas passiert? Musstet ihr umkehren?«, meinte Klara.
Willa lächelte schief.
»Keine Spur. Ich war dort und bin wieder da. Bis jetzt der kürzeste Flug überhaupt: Ich war auf dem Mond.«
»Auf dem Erd mond?«
»Genau.« Sie schien sich zusammenzunehmen, um nicht lachen zu müssen. Oder weinen.
Shicky sagte tröstend: »Sie bekommen bestimmt eine Prämie, Willa. Ein Schiff flog einmal zum Ganymed, und die Gesellschaft hat eine halbe Million unter der Besatzung aufgeteilt.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Da mache ich mir wenig Hoffnungen, lieber Shicky. Oh, sie werden uns etwas geben, aber nicht so viel, dass es ins Gewicht fällt. Wir brauchen mehr.« Das war das Ungewöhnliche und ein wenig Überraschende an den Forehands; es hieß immer ›wir‹. Sie hielten wirklich zusammen wie Pech und Schwefel, auch wenn sie mit anderen nicht gern darüber sprachen.
Ich berührte sie, halb aus Zuneigung, halb aus Mitgefühl.
»Was wollen Sie machen?«
Sie sah mich erstaunt an.
»Na, ich habe mich schon für einen neuen Start eingetragen, für übermorgen.«
»Oh!«, sagte Klara. »Wir müssen zwei Feiern gleichzeitig für Sie geben! Fangen wir lieber sofort an …«
Und Stunden später, kurz bevor wir an diesem Abend einschliefen, sagte sie zu mir: »Hast du mir nicht etwas sagen wollen, bevor wir Willa bemerkt haben?«
»Weiß nicht mehr«, antwortete ich schläfrig. Ich hatte es aber nicht vergessen. Ich wusste, was es gewesen war. Doch ich wollte es nicht mehr aussprechen.
Es gab Tage, an denen ich mich beinahe dazu aufgerafft hätte, Klara zu bitten, mit mir hinauszufliegen. Und es gab Tage, an denen ein Schiff mit zwei halb verhungerten, ausgedörrten Überlebenden zurückkam – oder ohne Überlebende – oder ein paar Starts vom vergangenen Jahr als vermisst eingestuft wurden. An solchen Tagen war ich beinahe so weit, Gateway für immer zu verlassen.
An den meisten Tagen zogen wir es vor, die Entscheidung einfach zu verschieben. So schwer war das nicht. Es war eine recht angenehme Art zu leben, Gateway und einander zu erforschen. Klara stellte ein Dienstmädchen ein, eine stämmige, junge blonde Frau aus den Nahrungsgruben von Carmarthen, die Hywa hieß. Abgesehen davon, dass der Grundstoff für die walisischen Einzeller-Proteinfabriken Kohle statt Ölschiefer war, hatte ihre Welt große Ähnlichkeit mit der meinen gehabt. Ihr Ausweg war kein Lotterieschein gewesen, sondern zwei Jahre Dienst auf einem Handelsraumschiff. Sie konnte nicht einmal nach Hause. Sie war auf Gateway von Bord gegangen und hatte ihre Kaution verloren. Und Prospektor konnte sie auch nicht werden, weil sie sich bei einem Raumschiffstart eine Herzarrhythmie zugezogen hatte, die sich manchmal zu bessern schien und sie dann wieder eine ganze Woche ins Hospital brachte. Hywas Aufgabe bestand darin, für mich und Klara sauber zu machen und zu kochen sowie auf die kleine Kathy Francis aufzupassen, wenn ihr Vater Dienst hatte und Klara ihre Ruhe haben wollte. Klara hatte im Kasino ziemlich viel verloren, sodass sie sich Hywa eigentlich gar nicht leisten konnte, aber mich konnte sie sich auch nicht leisten.
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Was es uns erleichterte, der Selbsterkenntnis auszuweichen, war, dass wir voreinander und manchmal jeder sogar vor sich selbst so taten, als bereiteten wir uns besonders genau auf den Tag vor, an dem der richtige Flug sich anbieten würde.
Das zu tun, fiel nicht schwer. Zwischen den Flügen taten viele richtige Prospektoren das Gleiche. Es gab eine Gruppe, die sich ›Hitschi-Sucher‹ nannte und sich jeden Mittwochabend traf; gegründet worden war sie von einem Prospektor namens Sam Kahane, fortgeführt von anderen, während er auf einer Reise war, die nichts erbrachte, und wieder zusammengerufen von ihm zwischen Flügen, wenn er darauf wartete, dass die beiden anderen Mitglieder seiner Besatzung sich für den nächsten Flug wieder in Form brachten. (Unter anderem hatten sie infolge eines Defekts im Nahrungsmittelkühlschrank Skorbut mitgebracht.) Sam und seine Freunde waren homosexuell und anscheinend in einer festen Dreierbeziehung verbunden, aber das wirkte sich auf sein Interesse an Hitschi-Kunde nicht aus. Er hatte Tonbänder von allen Vorträgen mehrerer Lehrgänge über Exostudien vom East Texas-Reservat besorgt, wo Professor Hegramet sich zur höchsten Autorität in der Hitschi-Forschung auf der ganzen Welt aufgeschwungen hatte. Ich erfuhr vieles, was ich nicht gewusst hatte, wenngleich die wesentliche Tatsache – nämlich die, dass es, was die Hitschi anging, viel mehr Fragen als Antworten gab – bestehen blieb.
Und wir traten Gruppen zur körperlichen Ertüchtigung bei, wo wir Muskelstärkungsübungen machten, wobei man jedes Glied nur wenige Zentimeter bewegen musste, und Massagetechniken erlernten. Es machte uns viel Spaß, vor allem auf sexuellem Gebiet. Klara und ich lernten, mit unseren Körpern erstaunliche Dinge anzustellen. Wir besuchten einen Kochkurs (mit Standardrationen kann man allerhand anfangen, wenn man mit Kräutern und Gewürzen umzugehen versteht). Wir erwarben eine Auswahl an Sprachenbändern, für den Fall, dass unsere zukünftigen Crew-Mitglieder kein Englisch sprachen, und übten miteinander Taxifahrer-Italienisch und -Griechisch. Wir traten sogar einer Astronomengruppe bei. Sie hatte Zugang zu den Teleskopen Gateways; wir verbrachten allerhand Zeit damit, uns außerhalb der Ekliptikebene die Erde und die Venus anzusehen. Francy Hereira schloss sich dieser Gruppe an, wenn er Freigang hatte. Klara mochte ihn, ich auch, und wir machten es uns zur Gewohnheit, in unseren Zimmern – nun ja, in Klaras Zimmern, aber da war ich eben oft – nach dem Gruppenabend ein Glas zu trinken. Francy war tief, beinahe sinnlich, an dem interessiert, was sich dort draußen befand. Er wusste alles über Quasare und Schwarze Löcher und Seyfert-Galaxien, ganz zu schweigen von Dingen wie Doppelsternen und Novae. Wir spekulierten oft darüber, wie es sein mochte, aus einem Transit in die Wellenfront einer Supernova einzutreten. Das konnte vorkommen. Die Hitschi waren bekannt dafür, dass sie ein Interesse daran gehabt hatten, astrophysikalische Ereignisse aus erster Hand zu beobachten. Manche ihrer Kurse waren zweifellos so programmiert, dass sie die Besatzungen in die Nähe interessanter Vorgänge brachten, und eine Supernova im Entstehen war gewiss ein interessanter Vorgang. Nur war es jetzt sehr viel später, und die Supernova mochte nicht mehr bloß im Entstehen sein.
»Ich möchte wissen, ob es das nicht sein könnte, was manchen von den vermissten Expeditionen zugestoßen ist«, meinte Klara und lächelte, um zu zeigen, dass sie das nur in abstraktem Sinn meinte.
»Es ist eine absolute statistische Gewissheit«, sagte Francy und erwiderte das Lächeln, um zu zeigen, dass er die Spielregeln anerkannte. Er hatte sein an sich schon gutes Englisch so verbessert, dass er es nahezu akzentfrei sprach. Außerdem beherrschte er Deutsch, Russisch und eine ganze Reihe anderer romanischer Sprachen neben seinem Portugiesisch. »Trotzdem fliegen die Leute.«
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