Ich wurde plötzlich wütend.
»Nein, die habe ich nicht! Du hast mein ganzes Leben exakt beschrieben, Klara. Ich hatte nie eine Wahl – nur einmal, als ich in der Lotterie gewann und beschloss, hierher zu kommen. Und ich bin nicht sicher, ob ich da die richtige Entscheidung getroffen habe.«
Sie gähnte und rieb sich wieder an meinem Arm.
»Wenn wir mit dem Sex fertig sind«, entschied sie, »möchte ich etwas essen, bevor ich schlafe. Komm mit in die ›Blaue Hölle‹. Ich lade dich ein.«
Im Pflanzbereich wurden die Pflanzen gepflegt, vor allem der Efeu, durch den Gateway bewohnbar blieb. Ich meldete mich zum Dienst, und zu meiner – angenehmen – Überraschung entpuppte sich der Vorarbeiter als mein beinloser Nachbar, Shikitei Bakin.
Er begrüßte mich, wie mir schien, mit echter Freude.
»Wie schön von Ihnen, dass Sie bei uns mitmachen, Robinette«, sagte er. »Ich hatte erwartet, dass Sie gleich losfliegen.«
»Das mache ich auch, Shicky, und zwar bald. Wenn ich das richtige Startangebot auf dem Schirm sehe, weiß ich Bescheid.«
»Gewiss.« Er beließ es dabei und stellte mich den anderen Gärtnern vor. Ich konnte mir nicht viel merken, nur, dass das Mädchen eine Art Beziehung zu Professor Hegramet, dem bekannten Hitschiologen auf der Erde hatte, und die beiden Männer jeweils schon zweimal draußen gewesen waren. Ich brauchte mir auch nichts zu merken. Wir wussten alle, was mit uns los war. Keiner von uns war schon bereit, sich auf die Startliste setzen zu lassen.
Ich war nicht einmal bereit, mir über den Grund Gedanken zu machen.
Zeit zum Nachdenken hätte man bei der Arbeit genug gehabt. Shicky setzte mich sofort ein. Ich musste mit Klebemasse Halterungen an den Hitschi-Metallwänden anbringen. Es handelte sich um eine Art Spezialkleber. Er klebte am Hitschi-Metall ebenso wie an den gerippten Folien der Pflanzenkästen und enthielt kein Lösungsmittel, das verdunstete und die Luft verpesten konnte. Angeblich war er sehr teuer. Wenn man sich damit beschmierte, musste man lernen, damit zu leben, jedenfalls so lange, bis die Haut darunter abstarb und abblätterte. Wenn man versuchte, ihn auf andere Weise loszuwerden, gab es Blut.
Als die für diesen Tag vorgesehenen Halterungen angebracht waren, marschierten wir alle zum Rieselfeld hinunter, wo wir Kästen holten, die mit Klärschlamm gefüllt und mit Zellulosefilm überzogen waren. Wir schoben sie in die Halterungen, drehten die selbstsperrenden Bolzen, damit sie festsaßen, und brachten Wassertanks an. Die Kästen hätten auf der Erde jeder an die hundert Kilogramm gewogen, aber auf Gateway fiel das eben nicht ins Gewicht; selbst die Folie, aus der sie bestanden, genügte, um sie starr an die Halterungen zu klemmen. Als wir fertig waren, füllte Shicky persönlich die Kästen mit Keimlingen, während wir zu den nächsten Halterungen gingen. Es war komisch, ihn zu beobachten. Er trug Kästen mit den kleinen Efeuschößlingen an Gurten um den Hals, wie einen Bauchladen. Er hielt sich mit einer Hand in Kastenhöhe und schob mit der anderen Schößlinge durch den Überzug in den Klärschlamm.
Es war leichte Arbeit, sie erfüllte eine nützliche Funktion (fand ich jedenfalls), und die Zeit verging dabei. Shicky trieb uns nicht übermäßig an. Solange wir sechzig Halterungen anbrachten und füllten, war es ihm gleichgültig, ob wir uns verdrückten, wenn das unauffällig geschah. Klara kam ab und zu vorbei, manchmal mit der Kleinen, und wir bekamen auch sonst Besuch. Wenn es ruhig zuging und niemand da war, mit dem man sich gut unterhalten konnte, durfte man auch mal eine Stunde fort. Ich erforschte Gebiete von Gateway, die ich noch nicht gekannt hatte, und jeden Tag wurde die Entscheidung hinausgeschoben.
Wir sprachen alle darüber hinauszufliegen. Fast jeden Tag konnten wir den dumpfen Knall und das Vibrieren hören, wenn ein Landefahrzeug sich vom Dock löste und das ganze Schiff hinaustrieb, bis dorthin, wo der Hitschi-Hauptantrieb sich einschalten konnte. Beinahe ebenso oft spürten wir den schwächeren, kürzeren Schlag, wenn irgendein Schiff zurückkehrte. Abends gingen wir meist auf irgendeine Party. Mein Lehrgang war inzwischen schon fast vollständig fort. Sheri war mit einem Fünfer hinausgeflogen – ich traf sie vor ihrem Abflug nicht mehr und konnte sie also nicht fragen, warum sie es sich anders überlegt hatte. Ich war auch nicht sicher, ob ich es wirklich wissen wollte; das Schiff, in dem sie flog, war sonst nur mit Männern besetzt. Sie sprachen Deutsch, aber Sheri meinte wohl, sie käme gut durch, auch ohne viel zu reden. Die Letzte war Willa Forehand. Klara und ich gingen zu Willas Abschiedsfeier und am nächsten Morgen zu den Docks, um ihren Start zu verfolgen. Ich sollte eigentlich arbeiten, aber ich nahm an, dass Shicky nichts einzuwenden haben würde. Leider war auch Mr. Hsien zur Stelle, und ich konnte sehen, dass er mich erkannte.
»Oh, Scheiße«, sagte ich zu Klara.
Sie kicherte und griff nach meiner Hand, und wir suchten das Weite. Wir schlenderten dahin, bis wir einen Aufwärts-Schacht fanden, und fuhren zur nächsten Etage hinauf. Wir setzten uns an den Superior-See.
»Bob«, sagte sie, »ich bezweifle, dass er dich hinauswirft, nur weil du einmal geschwänzt hast. Wahrscheinlich beschimpft er dich nur.«
Ich zuckte die Achseln und warf einen Filtersteinsplitter in den sich hochwölbenden See, der sich gute zweihundert Meter vor uns hinauf und um die Innenschale von Gateway erstreckte. Ich fühlte mich mies und fragte mich, ob ich den Punkt erreichte, an dem die Angst vor einem scheußlichen Tod im Weltraum von der Angst, mich auf Gateway zu verstecken, überholt wurde. Die Angst ist etwas Seltsames. Ich fühlte sie nicht. Ich wusste, der einzige Grund, warum ich hier blieb, war der, dass ich Angst hatte, aber es kam mir nicht so vor, als hätte ich Angst, sondern als sei ich nur angemessen vorsichtig.
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»Ich glaube«, sagte ich und beobachtete mich dabei, wie ich den Satz begann, ohne sicher zu sein, was herauskommen würde, »dass ich es tun werde. Kommst du mit?«
Klara setzte sich auf und schüttelte sich. Es dauerte einen Augenblick, bis sie erwiderte: »Vielleicht. Was hast du vor?«
Ich hatte nichts vor. Ich war nur ein Zuschauer, der beobachtete, wie ich mir etwas einredete, bei dem sich mir die Haare sträubten. Aber ich sagte, als hätte ich das schon seit Tagen so geplant: »Ich glaube, es wäre eine gute Idee, einen Flug zu wiederholen.«
»Nicht mit mir!«, stieß sie beinahe wütend hervor. »Wenn ich gehe, dann dahin, wo das große Geld ist.«
Da war aber auch die große Gefahr. Obschon auch Zweitflüge oft genug nicht danebengegangen sind.
Von Shikitei Bakin
an Aritsune, seinen ehrenwerten Enkelsohn
Ich bin überwältigt von Freude, von der Geburt deines ersten Kindes zu hören. Verzweifle nicht. Das nächste wird wahrscheinlich ein Junge sein.
Ich entschuldige mich demütig dafür, dass ich nicht früher geschrieben habe, aber es gibt wenig zu berichten. Ich mache meine Arbeit und versuche, Schönheit zu schaffen, wo ich kann. Vielleicht werde ich eines Tages wieder hinausfliegen. Ohne Beine ist es nicht einfach.
Gewiss, Aritsune, ich könnte neue Beine kaufen. Erst vor einigen Monaten ergab sich eine Gewebsübereinstimmung. Aber die Kosten! Ich könnte ebenso gut medizinischen Vollschutz erwerben. Du bist ein treuer Enkel, wenn du mich aufforderst, mein Kapital dafür zu verwenden, aber entscheiden muss ich selbst. Ich übersende dir jetzt die Hälfte meines Vermögens, das du für die Ausstattung und Ausbildung meiner Urenkelin verwenden sollst. Wenn ich hier sterbe, erhältst du alles, für dich und die anderen, die dir und deiner lieben Frau bald geboren werden. Das ist mein Wille. Wehr dich nicht dagegen.
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