»Also wollen wir uns unseren Weg durch das All nähen?«
»Gewissermaßen. Die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist nicht unbedingt eine Gerade. Diese Idee stammt von dem, was Andrew von der Schwarmkönigin gelernt hat. Wie sie ein Geschöpf aus einer alternativen Raumzeit ruft, wenn sie eine neue Schwarmkönigin erschaffen will. Grego hat das als Beweis dafür genommen, daß es einen echten realen irrealen Raum gibt. Fragen Sie mich nicht, was er damit meint. Ich bin von Beruf Ziegelmacher.«
»Einen irrealen Realraum«, sagte Grego. »Du hast es umgedreht.«
»Die Toten erwachen«, sagte Olhado.
»Setz dich, Valentine«, erklärte Grego. »Meine Zelle ist nicht viel, aber mein Heim. Die mathematischen Formeln sind noch immer völlig verrückt, doch sie scheinen zu passen. Ich muß noch einige Zeit mit Jane damit verbringen, die wirklich komplizierten Berechnungen vorzunehmen und einige Simulationen zu fahren, aber wenn die Schwarmkönigin recht hat, gibt es einen Raum, der so universell an unseren Raum angrenzt, daß Philoten aus dem anderen Raum an jeder Stelle in unseren Raum überwechseln können. Wenn wir davon ausgehen, daß dieses Wechseln auch in die andere Richtung möglich ist, und wenn die Schwarmkönigin ebenfalls damit recht hat, daß der andere Raum genau wie der unsrige Philoten enthält, nur daß sie in dem anderen Raum – nennen wir ihn das Außen – nicht den Naturgesetzen entsprechend angeordnet sind, sondern statt dessen bloße Möglichkeiten sind, dann könnten wir…«
»Das sind schrecklich viele Wenns«, sagte Valentine.
»Sie vergessen«, sagte Olhado, »daß wir von der Prämisse ausgehen, uns einfach etwas wünschen zu müssen.«
»Richtig, das vergaß ich zu erwähnen«, sagte Grego. »Wir gehen ebenfalls davon aus, daß die Schwarmkönigin recht damit hat, daß die unorganisierten Philoten auf Muster im Verstand eines Menschen reagieren und damit augenblicklich die Rolle einnehmen, die in diesem Muster möglich ist. Dinge, die also im Außen begriffen werden, werden hier sofort Wirklichkeit.«
»Das ist mir alles völlig klar«, sagte Valentine. »Es überrascht mich nur, daß ihr nicht früher darauf gekommen seid.«
»Genau«, sagte Grego. »Wir machen es also folgendermaßen. Anstatt zu versuchen, alle Partikel, aus denen das Sternenschiff, seine Passagiere und die Fracht bestehen, physikalisch von Stern A nach Stern B zu versetzen, stellen wir uns einfach alles – das gesamte Muster, einschließlich aller Menschen – als nicht im Innen, sondern im Außen existent vor. In diesem Augenblick desorganisieren sich alle Philoten, die das Sternenschiff und die Menschen darin bilden, fallen ins Außen und setzten sich dem entsprechenden Muster zufolge wieder zusammen. Dann machen wir dasselbe noch einmal und fallen wieder ins Innen – nur, daß wir jetzt beim Stern B sind. Vorzugsweise in sicherer Orbitentfernung.«
»Wenn jeder Punkt in unserem Raum einem Punkt im Außen entspricht«, sagte Valentine, »könnten wir doch einfach dort reisen anstatt hier.«
»Dort sind die Regeln etwas anders«, sagte Grego. »Dort gibt es keine Räumlichkeit. Nehmen wir einmal an, daß in unserem Raum die Räumlichkeit – die relative Anordnung – einfach ein Ausdruck der Ordnung ist, der die Philoten folgen. Eine Konvention. Das gilt also auch für Entfernungen. Wir messen eine Entfernung nach der Zeit, die wir benötigen, um sie zu überwinden – aber dieser Zeitraum ist nur erforderlich, weil die Philoten, aus denen Materie und Energie bestehen, gezwungen sind, den Konventionen der Naturgesetze zu folgen. Zum Beispiel der Lichtgeschwindigkeit.«
»Sie gehorchen einfach der Lichtgeschwindigkeit.«
»Ja. Abgesehen von der Geschwindigkeitsbegrenzung ist die Größe unseres Universums willkürlich. Wenn man unser Universum als eine Kugel betrachtet und außerhalb dieser Kugel steht, könnte es genausogut einen Durchmesser von einem Meter, einer Billiarde Lichtjahren oder einem Mikron haben.«
»Und wenn wir ins Außen gehen…«
»Dann hat das Innenuniversum genau dieselbe Größe wie jedes der nicht organisierten Philoten dort – nämlich überhaupt keine. Da es dort überdies keine Räumlichkeit gibt, sind alle Philoten in diesem Raum unserem Universum gleichermaßen nah oder fern. Also können wir an jeder beliebigen Stelle wieder in den Innen-Raum eintreten.«
»Das klingt ja fast ganz einfach«, sagte Valentine.
»Ja, nun«, sagte Olhado.
»Die Schwierigkeit dabei ist das Wünschen«, sagte Olhado.
»Um das Muster festzuhalten, muß man es wirklich verstehen«, sagte Grego. »Ein jedes Philot, das ein Muster beherrscht, versteht nur seinen eigenen Teil der Wirklichkeit. Es kommt auf die Philoten in dem Muster an, ihre Aufgabe zu erledigen und ihr Muster zusammenzuhalten, und es kommt auch darauf an, ob das Philot, das das Muster beherrscht, von dem es ein Teil ist, es an der richtigen Stelle halten kann. Das Atomphilot muß darauf vertrauen, daß die Neutronen-, Protonen- und Elektronenphiloten ihre eigene innere Struktur zusammenhalten und das Molekülphilot das Atom an seinem richtigen Platz hält, während das Atomphilot sich auf seine Aufgabe konzentriert, die darin besteht, die Teile des Atoms an Ort und Stelle zu halten. So scheint die Wirklichkeit zu funktionieren – zumindest in diesem Modell.«
»Also setzt ihr das ganze Ding ins Außen und dann wieder ins Innen«, sagte Valentine. »Das verstehe ich noch.«
»Ja, aber wer? Denn der Sendemechanismus verlangt, daß das Muster des Schiffes und seines gesamten Inhalts als eigenes Muster etabliert werden muß und nicht nur als zufällige Konglomeration. Ich meine, wenn du ein Schiff mit Fracht beladen hast und die Passagiere zugestiegen sind, hast du noch kein lebendes Muster erschaffen, noch keinen philotischen Organismus. Es ist nicht so, als würdest du ein Kind gebären – das ist ein Organismus, der sich selbst zusammenhalten kann. Das Schiff und sein Inhalt ist nur eine Ansammlung, die jederzeit auseinanderbrechen kann. Wir versetzen also all ihre Philoten in den nicht organisierten Raum, in dem es keine Räumlichkeit gibt, kein Organisationsprinzip. Aber wie wollen wir sie dort wieder zusammensetzen? Und was hätten wir, wenn sie sich sogar selbst zu den Gebilden zusammensetzten, die sie kennen? Eine Menge Atome. Vielleicht sogar lebende Zellen oder Organismen – aber ohne Raumanzüge oder ein Raumschiff, denn die leben ja nicht. Die Atome und vielleicht sogar Moleküle des Raumschiffs würden herumtreiben und sich vielleicht sogar wie verrückt replizieren, wenn die nicht organisierten Philoten da draußen anfangen, das Muster zu kopieren, aber wir hätten damit noch kein Schiff.«
»Fatal.«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, sagte Grego. »Wer kann das schon wissen? Da draußen sind die Regeln ganz anders. Des Pudels Kern ist, daß man sie in diesem Zustand nicht in unseren Raum zurückholen kann, denn das wäre eindeutig fatal.«
»Also geht es nicht.«
»Ich weiß noch nicht. Die Wirklichkeit wird im Innen-Raum zusammengehalten, weil sich alle Philoten, aus denen sie besteht, auf die Regeln geeinigt haben. Alle Philoten kennen ihre jeweiligen Muster und befolgen sie. Vielleicht wird auch im Außen-Raum alles zusammengehalten, solange das Raumschiff und seine Fracht und Passagiere bekannt sind. Solange es eine Wissende gibt, die die gesamte Struktur in ihrem Kopf festhalten kann.«
»In ihrem Kopf?«
»Wie gesagt, Jane muß die Berechnungen durchführen. Sie muß feststellen, ob sie Zugang zu genug Speicherplatz hat, um das Muster aller Beziehungen in einem Raumschiff dort abzulegen. Dann muß sie feststellen, ob sie dieses Muster nehmen und es sich an einem neuen Ort vorstellen kann.«
»Das ist der Teil, bei dem es um das Wünschen geht«, sagte Olhado. »Ich bin sehr stolz darauf, denn ich bin derjenige, der auf den Gedanken gekommen ist, daß wir eine Wissende brauchen, um das Schiff zu bewegen.«
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