»Aha, ich verstehe«, sagte der Präsident. »Vielleicht haben Sie recht, Wes. Immer vorausgesetzt, daß an der Sache etwas ist.«
»Und darf ich dann hin?« wollte Dawson wissen.
David Coffey lachte. »Das wird sich zeigen.« Er wandte sich dem Stabschef des Weißen Hauses zu. »Jim, setzen Sie sich mit General Gillespie in Verbindung. Schaffen Sie ihn unverzüglich nach Washington, und auch die Frau, die das entdeckt hat.« Er seufzte. »Außerdem lassen Sie die Sache für die heutige Kabinettssitzung auf die Tagesordnung setzen. Mal sehen, was der Außenminister zum Thema ›Besuch vom Mars‹ zu sagen hat…«
* * *
Wes Dawson ging zu Fuß vom Weißen Haus zu seinem im RayburnBau gelegenen Büro zurück. Er hatte zwar eigentlich keine Zeit dazu, aber es war ein schöner Vormittag, und der Spaziergang würde ihm guttun. Außerdem war er zu erregt, um gleich zu arbeiten.
Immerhin hatte der Präsident die Sache nicht von vornherein von der Hand gewiesen! Er würde an einer Reise ins All teilnehmen dürfen! Bedenken, daß der Präsident seine Zusage zu gegebener Zeit vergessen würde, wischte er beiseite – an einem so schönen Morgen wollte er an diese Möglichkeit nicht denken.
Er lächelte fröhlich. Ich habe es dem Präsidenten gesagt und auch gleich meinen Anspruch angemeldet, dachte er, und ich bin auch der richtige Mann dafür. Auf diesen Tag habe ich mein ganzes Leben lang gewartet. Ich bin gut in Form – na ja, ziemlich gut. Es wird besser werden. Ab sofort laufe ich jeden Tag.
Er rannte einige Schritte, merkte, daß das mit einem dunklen Westenanzug nicht praktisch war und lächelte erneut. Noch heute nachmittag fang ich an. Und ich gehe nach Houston. Ein richtiges Raumfahrttraining. Nur gut, daß ich im Raumfahrtausschuß sitze…
Außerirdische! Die ganze Bedeutung der Sache wurde ihm in dem Augenblick klar, als er im Kapitol ankam. Sie sind wirklich hier. Die Geschichte der Menschheit würde in eine völlig neue Phase eintreten. Die Suche nach außerirdischer Intelligenz ist zu Ende, die Außerirdischen kommen… Da würden die Miesmacher aber Augen machen!
Kaum hatte er seine Büroräume im RayburnBau betreten, als ihn Mitarbeiter seines Büros mit Fragen bestürmten. Wes wußte, daß er zu spät kam, aber einmal konnte man sich das doch leisten! Er schob eine junge Frau beiseite, die sich ihm mit einer Handvoll Telefonnotizen näherte und ging an der Empfangsdame vorbei in sein Abgeordnetenbüro. Er konnte es nicht erwarten, Carlotta alles brühwarm zu erzählen.
Sie saß in seinem Sessel. Auf den anderen Sitzgelegenheiten im Raum lümmelte sich ein Dutzend Pfadfinder, vermutlich aus seinem Wahlkreis.
Ach je, dachte Wes und setzte sein verbindlichstes Lächeln auf.
* * *
Carlotta konnte hinter Wes’ gekünsteltem Politikerlächeln die Begeisterung sehen. Er brauchte ihr nichts zu sagen. Schließlich waren sie seit nahezu fünfundzwanzig Jahren zusammen und seit zweiundzwanzig Jahren verheiratet. Sie sah es ihm an.
Wes hat die Zusage. Botschafter der Menschheit im All. Na, sagen wir Konsul, oder wie auch immer man den Mann nennt, der nach dem Botschafter kommt. Den stellen bestimmt die Russen. Nur gut, daß ich ihm zugeredet habe, etwas Russisch zu lernen. Daß ihr Bett jetzt leer sein würde, war weniger schön, aber er sah glücklich aus. Er brannte sichtlich darauf, ihr alles zu erzählen.
Aber da waren die Pfadfinder. Ungünstiger Zeitpunkt, doch der Termin liegt schon seit Wochen fest. Wer konnte damals ahnen, daß der Kongreßabgeordnete Dawson im Weißen Haus frühstücken würde?
Die Jungen umdrängten Wes. Solche Besuche brachten ihm keine Stimmen ein. Warum konnten die lästigen Burschen nicht einfach verschwinden?
Es war nicht nett von ihr, so zu denken. Schließlich hatte sie sie selbst bestärkt herzukommen, Carlotta mochte Jungen, nicht nur Pfadfinder, Jungen ganz allgemein. Zwar empfingen alle Kongreßabgeordneten Pfadfindergruppen, die Washington besuchten, aber Wes und Carlotta fühlten sich gewöhnlich in ihrer Gegenwart richtig wohl.
Wenn Simon noch lebte… dachte Carlotta. Aber sie hatten ihn im Alter von drei Monaten verloren – woran auch immer Kinder in ihrem ersten Lebensjahr sterben: Tod in der Wiege, lautlos und tückisch.
Obwohl ihr die Ärzte gesagt hatten, sie könne keine weiteren Kinder bekommen, hatte sie es darauf ankommen lassen und wäre im Kindbett fast gestorben. Es hatte einen ganzen Monat gedauert, bis sie ihr Töchterchen in den Armen halten konnte, und einen weiteren, bis sie sich einigermaßen erholt hatte. Sharon würde das einzige Kind der Dawsons bleiben, der einzige Abkömmling zweier alter und geachteter Familien. Das lag jetzt fast zwanzig Jahre zurück. Sharon studierte am angesehenen Radcliffe College und machte sich nicht viele Gedanken um die Karriere ihres Vaters. Carlotta hatte nie richtig begriffen, warum das so war.
Es spielt keine Rolle. Alle Colleges setzen den jungen Leuten Flausen in den Kopf. Sie wird auch noch erwachsen. Carlotta erhob sich und ging zu Wes hinüber. »Hallo«, sagte sie. »Ich möchte dir Stamm 112 vorstellen. Sein Führer ist Johnny Brasicku. Johnny, das ist mein Mann, der Abgeordnete Dawson.«
Die Jungen waren nett, und sie stammten tatsächlich aus dem Wahlkreis. Wes schüttelte jedem von ihnen die Hand. Anschließend lächelte er schief zu Carlotta hinüber. Sie blinzelte ihm zu.
Die wichtigste Nachricht, die wir je bekommen haben, dachte sie. Möglicherweise die wichtigste, die überhaupt jemals ein Mensch bekommen hat. Wir sitzen hier und unterhalten uns mit Pfadfindern, während die Mitarbeiter beschließen, was wir zu denken haben und wie Wes abstimmen soll, und wir können nichts daran ändern. Brächten Kongreßabgeordnete einen Teil ihrer Zeit damit zu, Abgeordnete zu sein und über ihre Arbeit nachzudenken, hätten sie ihr Amt nicht. Eine sonderbare Art, ein Land zu regieren.
Argwohn ist der Gefährte gemeiner Seelen und der Fluch jeder guten Gesellschaft.
THOMAS PAINE
Gesunder Menschenverstand
Zeit: Sechs Wochen bis zur Stunde Null
»Das sollten Sie lieber nicht tun«, sagte Jeanette Crichton.
Richard Owen ließ die Hand auf dem Telefonhörer liegen und schnaubte dann. »Daran können Sie mich nicht hindern. Das Heer hat kein Recht, mir dreinzureden.«
»Habe ich doch gar nicht behauptet«, erklärte Jeanette. »Trotzdem finde ich, daß Sie es sich gut überlegen sollten.«
»Das habe ich bereits getan«, gab Owen zurück. »Die Sowjets müssen Bescheid wissen. Falls sie es bereits erfahren haben, ist es auf jeden Fall besser, wenn sie merken, daß auch wir es wissen.« Er nahm den Hörer ab und wählte.
Und was jetzt? überlegte Jeanette. Es stimmt schon, das Heer ist ihm gegenüber nicht weisungsbefugt, und vermutlich wußten die Russen es sowieso schon. Falls nicht, würden sie es bald genug erfahren. Mit ihrer großen, bemannten Raumstation hatten sie weit mehr im Weltraum vorzuweisen als die Vereinigten Staaten.
»Ich möchte bitte Akademiemitglied Pawel Bondarew sprechen «, sagte Owen. »Ja, Bondarew.« Seine Finger trommelten ungeduldig auf der Tischplatte, »Pawel? Richard Owen aus Hawaii. Äh – ja, natürlich warte ich.« Er bedeckte die Sprechmuschel mit einer Hand. »Mit westlichen Ausländern dürfen die nur reden, wenn sie mindestens zu dritt sind«, sagte er zu Jeanette. »Sogar Leute, die so hoch stehen wie Bondarew. Bewußtseinsspaltung in Reinkultur… Aha, Akademiemitglied Bondarew? Ihre Kollegen sind da? Ausgezeichnet. Professor Richard Owen von der Universität Hawaii. Wir haben hier etwas Interessantes, und ich denke, Sie sollten das auch wissen…«
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