Ich glaube, ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie eine Kultur aussehen sollte, die sich seit einer Milliarde Jahren beständig entwickelt. Körperlose Energiewesen vielleicht. Geisterhafte Geschöpfe, die durch die achte, neunte und zehnte Dimension flitzen. Kosmisches Bewußtsein, das alles weiß, alles beobachtet und alles versteht.
Vielleicht bin ich ungerecht gegenüber den Mirt Korp Ahm. Vielleicht war die Wachstumskurve unserer Technologie in den Jahren von 1700 bis 2300 vollkommen atypisch. Vielleicht flacht die Wachstumskurve jeder Zivilisation unausweichlich ab, wenn sie ein bestimmtes Niveau erreicht. Aber ich habe noch immer den Eindruck, die Mirt Korp Ahm hätten in all der Zeit, die ihnen für ihre Entwicklung zur Verfügung stand, mehr erreichen müssen. Doch vielleicht stießen sie auf die absolute Grenze für Genialität und wurden statisch. Vielleicht wird das mit uns ebenfalls geschehen, in zwei- oder dreitausend Jahren. Ich würde es gern wissen.
Wie dem auch sei: Wir verleben hier eine großartige Zeit, in einer unwirklichen und traumartigen Weise. Haben wir daran auch nur im Traum gedacht, als wir darangingen, uns durch den Dreck auf Higby V zu graben?
Gleicher Würfel, vier Stunden später. Großes Durcheinander.
Ort: unsere Fähre. Zeit: spät. Personen: Jan, Pilazinool und ich. Alle anderen schlafen.
Geheimnisvolle Funksignale dringen aus den Empfängern in der Fähre. Wer versucht, hier Kontakt zu uns aufzunehmen? Hiesige Roboter, die sich auf unsere Frequenz schalten? Unwahrscheinlich. Vielleicht handelt es sich um ein irdisches Raumschiff. Doch kein Raumschiff der Erde ist uns näher als mindestens ein Dutzend Lichtjahre. Und vor Ablauf einiger Wochen wird auch keins erwartet. Was geht hier vor? Gelassen meint Pilazinool: „Tom, sehen Sie einmal nach, was da los ist.“
Tom Rice, der junge Cheffunker, schreitet zum entsprechenden Schaltpult, grübelt einen Augenblick über die Kompliziertheit der Technik, betätigt Tasten und läßt Skalenzeiger erzittern und gibt währenddessen professionell klingende Geräusche von sich wie etwa:
„Kommen, kommen. Ich empfange Sie nur schlecht. Kommen.“
Und so weiter. Gleichzeitig unternimmt er alles in seiner Macht stehende, den Empfang zu verbessern, so daß die unbekannte Nachricht aus dem Weltraum verstanden werden kann. Er schaltet auch den Aufzeichner ein, falls eine wichtige Botschaft eingeht. Obgleich er selbstverständlich um die Unwahrscheinlichkeit weiß, daß uns jemand hier anruft.
Eine menschliche Stimme dringt aus dem Empfänger und nennt die Registriernummer unserer Fähre. „Bestätigung“, sagt diese Stimme. „Empfangen Sie mich?“ verlangt sie zu wissen.
„Ich empfange Sie“, antworte ich und komme mir vor wie in der Nebenrolle eines miesen Tridem-Films. „Identifizieren Sie sich. Was ist los?“
„Ultraraum-Kreuzer Stolz des Alls. Commander Leon Leonidas ruft Captain Nicholas Ludwig.“
„Der schläft“, gebe ich zurück. „Alle anderen ebenfalls. Mein Name ist Tom Rice, und ich habe eigentlich keine sonderlich großen Befugnisse, aber…“
Jan tritt an mich heran, um zuzuhören, stößt mich an und flüstert: „Tom, vielleicht sind sie in einer Notlage!“
Durchaus denkbar. Die unplanmäßige Ankunft eines unbekannten Ultraraum-Kreuzers… eine Notlandung vielleicht… Probleme an Bord…
„Sind Sie in Schwierigkeiten, Stolz des Alls?“ frage ich.
„Wir nicht. Aber Sie. Wir kommen im Auftrag von Zentralgalaxis und haben den Befehl, Sie zu verhaften.“
Mir dämmert, daß dieses Gespräch keinen guten Verlauf nimmt.
Ich drehe den Verstärker auf, so daß Pilazinool das Gespräch mithören kann.
„Verhaften?“ wiederhole ich lautstark. „Das muß ein Irrtum sein. Wir sind eine archäologische Expedition und erforschen…“
„Genau. Wir haben die Anordnung, eine Gruppe von elf Archäologen abzuholen und den ganzen Haufen sofort nach Zentralgalaxis zurückzubringen. Ich rate Ihnen, sich zu fügen. Wir sind direkt über Ihnen, in der Umlaufbahn um McBurney IV. Wir wollen, daß Sie Ihre Sachen packen und innerhalb von zwei Stunden heraufkommen und ein Rendezvous-Manöver durchführen, so daß wir Sie an Bord schaffen können. Wenn Sie nicht kooperieren, dann sehen wir uns leider gezwungen, runterzukommen und Sie abzuholen. Notieren Sie bitte die folgenden Umlaufbahn-Koordinaten…“
„Warten Sie“, sagte ich. „Ich muß den anderen Bescheid geben. Ich verstehe überhaupt nicht, was das alles soll.“
Jan hastet bereits zu den Kabinen, um die Leute aufzuwecken. Pilazinool hat einige Körperglieder abgeschraubt. Die Stimme aus dem Lautsprecher — sie klingt furchtbar ruhig und sehr, sehr militärisch — bittet mich, einen meiner Vorgesetzten aufzutreiben und ihn unverzüglich ans Mikrofon zu zerren. Ich stottere irgendeine Entschuldigung und bitte meinen Gesprächspartner um ein wenig Geduld.
Dr. Schein stolpert herein. Er sieht verschlafen aus und macht ein verbissenes Gesicht.
„Es ist ein Ultraraum-Kreuzer der Marine“, erkläre ich. „Von Zentralgalaxis hierher geschickt, ums uns zu verhaften. Wir haben zwei Stunden, diesen Planeten zu verlassen und uns zu stellen.“
Dr. Schein macht einen angeekelten Eindruck: zugekniffene Augen, aufeinandergepreßte Lippen. Geht zum Funkgerät. „Hallo“, sagt er. „Hier spricht Dr. Schein. Was soll dieser ganze Quatsch?“
Keine gute Einleitung. Die ruhige, militärische Stimme wird frostiger und legt in allen Einzelheiten dar, daß unsere galaktische Odyssee hiermit zu Ende sei. Inzwischen haben sich auch alle anderen in der Pilotenkanzel zusammengedrängt. Nick Ludwig gähnt und will wissen, was vor sich geht. Ich sage es ihm. Ludwig kaut auf seinen Knöcheln und stöhnt. Steen Steen meint: „Sie können uns zu nichts zwingen. Hier sind wir sicher. Wenn sie versuchen, ohne Erlaubnis zu landen, werden sie von den Robotern vom Himmel gepustet.“
„Wir wären von allen guten Geistern verlassen“, erklärt ihm Jan mit ruhiger Stimme, „wenn wir ein Schiff der Marine herausforderten. Und außerdem… was hätten wir davon? Wir sitzen hier fest, bis ein Ultraraum-Schiff ankommt und uns abholt.“
Inzwischen spricht Dr. Schein in einem leisen und ernsten Tonfall mit der Stolz des Alls. Aufgrund des allgemeinen Stimmengewirrs ist es unmöglich, dem Gespräch zu folgen. Als er sich vom Funkgerät abwendet, sieht er alt und grau und erschöpft aus.
„Jemand soll Dihn Ruuu suchen und ihm Bescheid sagen“, meint er. „Wir müssen diesen Planeten verlassen. Zentralgalaxis hat uns schließlich doch noch am Wickel.“
„Geben Sie nicht auf!“ ruft Steen Steen. „Wir sind freie Repräsentanten der galaktischen Völker! Das Zeitalter der Sklaverei ist vorüber!“
Dr. Schein beachtet ihn nicht. „Nick“, sagte er. „Machen Sie die Fähre startklar. Wir fliegen rauf.“
Wir fanden Dihn Ruuu und erklärten ihm die Sachlage. Der Roboter traf Vorbereitungen für einen raschen Start von McBurney IV. Wir verschwanden, wie wir gekommen waren, mit abgeschalteten Triebwerken. Im Griff der gleichen starken Kraft, die uns heruntergezogen hatte, stiegen wir auch wieder auf, mit einem leisen, gespenstischen Pfeifen. Die Roboter, die unseren Aufstieg kontrollierten, lenkten uns sanft in die Umlaufbahn der Stolz des Alls und lösten das Kraftfeld dann auf. Wir schalteten auf unseren eigenen Antrieb um, paßten unsere Geschwindigkeit der des großen Sternenschiffes an und übergaben uns somit dem Gewahrsam der Marine von Zentralgalaxis. Beim Anblick von Dihn Ruuu bekam die ganze Mannschaft, einschließlich des Commanders, große Augen.
Commander Leonidas erwies sich als kleiner, lebhafter und netter Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Er hatte trübe blaue Augen und ein freundliches, sympathisches Wesen. Sobald wir an Bord des Schiffes waren, legte er großen Wert darauf, uns zu erklären, daß er nur seinen Befehl ausführte und es nicht persönlich meinte.
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