ausstieß. Ich verstand: »Ach, ist das blöööööd, wenn man so allllllt wird und die Knoooooo-chen tun so weeeeeeh!« Und dann schlief ich ein.
Was soll ich noch erzählen � jeder kann sich vorstellen, wie wunderschön es im Westerwald war. Ich machte lange Wanderungen mit Onkel Hans oder auch nur mit dem Hund, dem es übrigens gut gefiel, dass er keinen Namen hatte und einfach nur Hund hieß. »Es macht mich wichtiger«, sagte er.
Ich lag auf der Wiese hinterm Haus und hörte stundenlang zu, wenn Bella mir von ihrer weit-läufigen Verwandtschaft erzählte � sogar der gestiefelte Kater war ein Vetter dritten Grades und Kater Karlo war ihr Großonkel mütterli-cherseits. Ich holte die Eier von den Hühnern und verbot Quint, schon um fünf Uhr zu krä-
hen.
Manchmal hielt er sich daran, aber nicht immer, und wenn ich schimpfte, sagte er vor-wurfsvoll:
»Nennt mich Octavian und ich krähe um acht. Mein Name verpflichtet.«
Ach, es war einfach wunderschön. Es gab sehr oft Apfelpfannkuchen mit Zucker und Zimt, es gab Speckpfannkuchen mit Salat oder Leineweberpfannkuchen mit rohen Kartoffel-scheiben und Mettwürstchen. Es gab Bratkar-toffeln, Nudeln und Griesbrei, und an meinen Husten dachte ich überhaupt nicht mehr.
Abends spielten Onkel Hans und ich Domino oder Fang den Spitz oder Schwarzer Peter, und tagsüber gab es immer eine Menge zu tun. So viele Tiere wollten gepflegt, gefuttert, ge-bürstet, versorgt werden � ich fiel abends wie ein Klotz in mein Bett unter dem Dach und war so glücklich wie noch nie in meinem Leben.
Aber die Ferien gingen zu Ende. Und eines Tages kam meine Mutter, um mich wieder mit nach Hause zu nehmen. Wir holten sie am Bahnhof ab. Sie freute sich darüber, dass ich so gut aussah, und kniff Onkel Hans in den Arm:
»Na, du alter Schlawiner«, sagte sie, »da hast du ja anscheinend mal was richtig gemacht.«
Im Haus sah sie sich alles an, fand es eine ziemliche Männerwirtschaft, ordnete sofort

Dem Hund gefiel es übrigens gut, dass er einfach nur Hund hieß.
einige Gegenstände in der Küche um, putzte die Fenster und sah sich flüchtig die Tiere an
� sie mochte Tiere nicht besonders gern.
»Das ist Gertrud«, sagte ich ein bisschen bos-haft und zeigte auf eine der beiden Ziegen.
»Typisch«, sagte meine Mutter, »die Ziege nennt er Gertrud, dann heißt der Esel hoffent-lich auch Hans.«
»Nein, er heißt Igor«, sagte ich, und sie antwortete:
»Soviel ich weiß, heißt Igor im Russischen Hans.«
Am Abend vor der Abreise bellte plötzlich draußen laut und aufgeregt der Hund und ein offensichtlich kleinerer Hund antwortete ihm.
»Wer kommt denn nun noch?!«, sagte Onkel Hans und ging zur Tür. Draußen stand Roswitha Gansauge mit Gustavo, sie hatte einen großen Kirschkuchen in der Hand und sagte:
»Ich will nicht stören, aber ich möchte dem kleinen Mädchen einen Kuchen bringen und Auf Wiedersehn sagen.«
Ich schrie auf vor Freude und flog ihr an den Hals, als wäre sie schon mein ganzes Leben lang meine Freundin gewesen, und Gustavo sprang wie ein Gummiball an mir hoch. Bella fauch-te: »Was für eine merkwürdige Kreatur!« und verzog sich beleidigt. Onkel Hans holte einen Stuhl und ein Glas Rotwein für Roswitha Gansauge, und meine Mutter, die Früchtetee trank, sagte:
»Ach, hast du hier auch schon wieder Damenbekanntschaften?«
»Gertrud, nehme ich an?«, strahlte Roswitha Gansauge und gab ihr die Hand. »Ich bin Roswitha Gansauge, und das ist Gustavo. Wir sind mit Katharina hergefahren, und ich wohne nicht weit weg und hatte heute Lust, mal vor-beizukommen und diesen Kirschkuchen abzu-liefern und zu hören, wie es Katharina so geht.«
»Woher wissen Sie, dass ich Gertrud heiße?«, fragte meine Mutter verblüfft, und Roswitha Gansauge lachte und sagte:
»Komisch, ja, ich weiß immer sofort, wie die Leute heißen, das ist so eine Art sechster Sinn von mir.«
Onkel Hans zündete sich noch eine Zigarre an und sagte: »Käthe ist noch verrückter: Die wusste, wie meine Tiere heißen, ohne dass ich etwas sagen musste.«
»Wahrscheinlich haben ihr die Tiere selbst den Namen gesagt«, sagte Roswitha Gansauge,
»und wahrscheinlich versteht Katharina die Tiersprache«, und sie zwinkerte mir zu.
»Sonst noch was«, sagte meine Mutter, schnitt aber immerhin den Kirschkuchen an.
Es wurde ein sehr vergnügter Abend, obwohl ich irgendwann am Tisch eingeschlafen bin.
Aber bis in meinen Schlaf hinein hörte ich Gelächter, sogar meine Mutter lachte, und Onkel Hans holte noch eine Flasche Rotwein und sagte:
»Schluss mit dem Früchtetee, Gertrud, jetzt kippst du auch mal einen.«
Am nächsten Morgen war Roswitha Gansauge mit Gustavo verschwunden, und ich fürchtete schon, ihren Besuch nur geträumt zu haben, aber Onkel Hans hatte sehr gute Laune und rieb sich die Hände.
»Tolle Person«, sagte er, »da hast du was Fa-

»Typisch«, sagte meine Mutter,
»die Ziege nennt er Gertrud.«
belhaftes kennen gelernt, sie kommt morgen mit einem Rheumamittel für den Hund.«
Und sogar meine Mutter sagte: »Endlich mal nicht so eine Trutsche, wie du sie sonst immer heimgebracht hast. Ich muss nur an Caroline denken, die immer so blöd kicherte, und an Christel, die Missionsschwester in Indien werden wollte, und was wurde sie? Verkäufe-rin für Damenwäsche. Pah. Oder Helga, die nichts konnte als Doppelkopf spielen.«
»Darin war sie aber gut!«, warf Onkel Hans ein. »Immerhin war sie mal Zweite der westfä-
lischen Meisterschaften.«
Und meine Mutter sagte: »Ja, sonst noch was.«
Er fuhr uns zum Bahnhof, nachdem ich von allen Tieren gründlich Abschied genommen und sie gebeten hatte, mich nicht zu verges-sen. Der Hahn war froh, nun wieder um fünf krähen zu dürfen, der Esel bedankte sich noch einmal dafür, dass er nicht mehr Erwin heißen musste, und Gürtelchen meckerte: »Komm wieder, kleine Käthe!« Aber Gertrud sagte:
»Sonst noch wahahahahas.«
Mein Onkel Hans und Roswitha Gansauge haben natürlich geheiratet und sind sehr glücklich geworden. Nur Bella und Gustavo konn-ten sich nie aneinander gewöhnen und jagten und kniffen sich, wo immer sie sich er-wischten. Jahre später, als mein Onkel Hans schon tot war, denn er war sehr viel älter gewesen als Tante Roswitha, besuchte ich sie noch einmal auf dem kleinen Hof. Wir gingen zusammen zum Friedhof, und sie legte ein frisches Ei von Monika und etwas Wolle von den Schafen auf das Grab und erzählte dann alles, was zu Hause los war. Sie sprach von Igor, der taub geworden war, und vom Hund, der im Garten begraben lag, und auf seinem Grab blühte tatsächlich ein Aprikosenbäumchen, und das im rauhen Westerwald. Sie erzählte, dass Christel eine Karte aus Indien geschickt hatte und wirklich doch noch Missionsschwester geworden war und dass Helga endlich Erste geworden war bei den westfälischen Doppel-kopfmeisterschaften. Sie sagte, dass Bella fast nur noch auf der Heizung läge und sich einbil-dete, sie sei eine ägyptische Tempelkatze, und
dass die grün karierten Küchentücher jetzt endgültig durchgescheuert seien und dass sie rot karierte gekauft hätte. Ich hörte erstaunt zu, und sie erklärte mir: »Die Toten hören uns, wenn wir mit ihnen sprechen.«
Ich glaubte ihr sofort. Sie hatte ja schon einmal Recht gehabt. »Aber antworten können sie leider nicht mehr«, sagte ich und musste ein bisschen weinen, weil ich Orikel Hans so lieb gehabt hatte.
»Ach«, sagte Tante Roswitha, »wenn man ganz genau hinhört, antworten sie manchmal sogar.«
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