Er war erstaunt und wollte wissen, wie ich darauf so schnell gekommen sei und ich antwortete:
»Sie hat es mir gerade gesagt.«
Und tatsächlich war mir so, als sähe mich die Ziege an, sagte »Sonst noch was« und mek-kerte »Gerherherhertrud!«.
Meine Butterbrote teilte ich mit Gustavo, der bald neben mir auf der Bank saß, und Ros-
witha Gansauge erzählte mir von einem Arzt, den sie mal gekannt hatte und der Hühner-bein geheißen hatte, dagegen, sagte sie, war ja wohl Gansauge noch gar nichts. Die Zeit verging so schnell, dass ich fast traurig war, als der Zug tatsächlich um 16.23 Uhr da ankam, wo Onkel Hans mich abholen sollte.
Er stand auf dem Bahnhof in grünen Cordhosen, mit einem weißen Hemd und einer Weste, er hatte eine Zigarre; im Mund und winkte und lachte. Roswitha Gansauge sah uns aus dem Fenster bei der Begrüßung zu und rief: »Alles Gute!«, und Onkel Hans fragte: »Wer ist das denn?«
»Das ist Roswitha Gansauge«, sagte ich, »sie reist mit Gustavo noch eine Station weiter, und stell dir vor, sie kann ...«
»Pssst!«, rief Roswitha Gansauge und legte den Finger auf die Lippen. »Das ist erst mal ein Geheimnis!«
Dann fuhr der Zug ab, sie winkte, rief noch:
»Vielleicht komme ich mal vorbei!«, und wir sahen ihr nach und winkten auch.
»Was kann sie?«, fragte Onkel Hans, und ich sagte: »Nein, das ist erst mal ein Geheimnis.«
In seinem alten Auto fuhren wir durch ein Dorf und einen kleinen Wald, über einen holp-rigen Feldweg an Wiesen vorbei, auf denen Blumen blühten, die ich noch nie gesehen hatte (was sieht man schon im Ruhrgebiet!), und dann hielten wir vor einem kleinen Haus mit Zaun, Stall und Garten. Ein Hund sprang am Zaun hoch und bellte: »Endlich! Endlich! Endlich!«
»Er freut sich, dass ich komme«, sagte ich glücklich.
Und Onkel Hans sagte: »Natürlich. Tun wir alle« und freute sich seinerseits, dass ich gar keine Angst hatte.
Der Hund sprang an Onkel Hans hoch, leck-te ihn ab, und dann presste er sich fest an mein Bein, wedelte mit dem Schwanz und schnüffelte sehr aufgeregt an meinen Händen.
»Ja«, sagte ich, »das riecht alles nach Gustavo, dem Hund aus der Mülltonne, da hast du es besser.«
»Er ist aus dem Tierheim«, sagte Onkel Hans,

In seinem alten Auto fuhren wir durch ein Dorf.
»er heißt einfach nur Hund. Niemand wollte ihn haben, weil er schon älter ist. Mir ist er gerade recht, was, Hund, wir zwei alten Kerle halten zusammen.«
Und der Hund bellte: »Aber ich hab Rheuma und du nicht!«
»Er hat Rheuma«, sagte ich, und Onkel Hans fragte verblüfft: »Wie kommst du darauf?«
»Nur so«, sagte ich, und Onkel Hans sah mich sehr merkwürdig an.
»Weißt du«, sagte er, »manchmal geht er so schwer und humpelt und kommt nach dem Liegen nicht richtig hoch, kann wirklich sein, dass du Recht hast. Ich werde mal den Tier-arzt fragen.«
Und ich war stolz und glücklich und dachte: Donnerwetter, es klappt!
Ehe wir ins Haus gingen, musste ich alle Tiere begrüßen � die Schafe, den Hahn, die Hühner, den wunderbaren alten Esel, der Erwin hieß.
»Erwin!«, iahte der Esel, »so ein Unfug, ich bin fünfzehn Jahre alt, und immer hieß ich Igor, und jetzt auf einmal soll ich Erwin heißen!«
»Du solltest ihn Igor nennen, Onkel Hans«, schlug ich vor, und Onkel Hans sagte:
»Igor? Warum? Findest du Erwin nicht schön? So hieß ein Arbeitskollege von mir, und der war ein ziemlicher Esel.«
»Versuch�s mal«, sagte ich, und Onkel Hans kraulte den Esel zwischen den Ohren und sagte:
»Möchtest du lieber Igor heißen?«
Der Esel schlug heftig mit dem Schwanz, ruckte den Kopf zu Onkel Hans herum, sah ihn mit seinen melancholischen Augen an und iahte laut.
»Tatsächlich«, sagte Onkel Hans, »du hast Recht, er will lieber Igor heißen. Na, dann nennen wir ihn eben Igor.«
Und er brüllte dem Esel ins Ohr: »Also, Erwin, ab sofort heißt du Igor!«
Und der Esel schrie laut.
»Was sagt er?«, fragte mich Onkel Hans, und ich antwortete:
»Dass du nicht so schreien musst, er ist ja nicht schwerhörig.«
Onkel Hans setzte sich ins Gras und lachte.
»Du kommst mir ja hier gerade recht«, sagte er,
»bist kaum da, schon erzählst du mir, was meine Tiere denken. Das ist ja eine tolle Sache.«
Das fand ich auch, und ich konnte es mir vor allem überhaupt nicht erklären. Aber es stimmte, ich verstand einfach, was die Tiere sagten, und ich war Roswitha Gansauge dank-bar dafür, dass sie mich darauf gebracht hatte, richtig hinzuhören.
Das Haus von Onkel Hans war sehr gemütlich, und mein kleines Zimmer unter dem Dach erst recht. Er hatte Wiesenblumen hineingestellt, und es gab ein uraltes Waschbecken an der Wand. Als ich alles angesehen hatte, backte er in der Küche zwei dicke Apfelpfannkuchen mit Zucker und Zimt, und während wir aßen, fragte ich: »Wo ist denn die Katze?«, denn Katzen liebte ich ganz besonders.
»Sie versteckt sich immer, wenn jemand kommt«, sagte Onkel Hans, »und dann be-obachtet sie erst alles, und irgendwann schleicht sie herbei und sagt Guten Tag.«
»Guten Tag«, sagte neben mir auf dem Boden

Der Esel schlug heftig mit dem Schwanz und iahte laut.
eine grauschwarz getigerte Katze und sprang auf meinen Schoß.
»Oh!«, rief Onkel Hans, »Bella, da bist du ja!
Das ist unsere kleine Käthe, von der ich dir so viel erzählt habe!«
»Das seh ich«, sagte Bella, rollte sich auf meinem Schoß zusammen und schnurrte.
»Was hast du denn von mir erzählt?«, wollte ich wissen, und Onkel Hans sagte: »Och, alles, was man eben so erzählt � dass du schöne Aufsätze schreibst, dass du meistens zwei verschie-dene Strümpfe trägst, was für eine Leseratte du bist...«
»Warum trägst du meistens zwei verschie-dene Strümpfe?«, fragte Bella, und ich antwortete: »Passende Strümpfe zu finden hält viel zu lange auf.«
Onkel Hans lachte und sagte: »Ich sehe, ihr beide versteht euch. Das ist wichtig, denn Bella ist hier sowas wie der Chef für gute oder schlechte Laune. Wenn sie faucht, geht alles in Deckung.«
Ich streichelte die Katze und fühlte ihr Schnurren durch meinen ganzen Körper, und

Mir fielen die Augen zu und ich hörte noch den Hund, der draußen ein langgezogenes Heulen ausstieß.
auf einmal fühlte ich auch, wie müde ich war
� von der langen Reise, von all den Aufregun-gen. Und Onkel Hans sagte:
»So, nun gehst du in dein Bett, und ich lauf rasch in die Wirtschaft rüber und ruf beim Bäcker an, dass du gut angekommen bist, sonst macht sich deine Mutter noch Sorgen. Ich lass dir den Hund da, dann musst du keine Angst haben.«
»Ich hab keine Angst«, sagte ich und ging sehr glücklich mit Bella im Arm die Treppe hinauf in mein kleines Zimmer. Bella schlief bei mir im Bett und erzählte mir noch, dass Minz und Maunz, die beiden Katzen, die das Paulinchen aus dem Struwwelpeter so nachdrücklich vor den Zündhölzern warnen und das verbrannte Paulinchen am Schluss so sehr beweinen, dass diese beiden entfernte Cousinen von ihr wä-
ren. Und sie zitierte mit grollender Stimme:
»Und Minz und Maunz, die Katzen, erheben ihre Tatzen.«
Der Mond schien durch das kleine Fenster, mir fielen die Augen zu und ich hörte noch den Hund, der draußen ein langgezogenes Heulen
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