»Nein, war er tatsächlich noch nicht. Ich habe ihn ja noch nicht so lange, und bisher war ich mit ihm nur bei uns im Park oder an der Alster. Urlaub haben wir auch noch nicht zusammen gemacht. Es ist also seine Premiere.«
Jens macht einen Schritt auf mich zu und hebt mich hoch. »Guck dich mal richtig um, mein Kleiner. An so einem Tag ist Hamburg mit Sicherheit die schönste Stadt der Welt, und dies hier der schönste Teil davon. An den Sand an den Füßen musst du dich einfach gewöhnen, dann wirst du schnell merken, wie toll es hier ist. Von hier aus kannst du eigentlich in jede Richtung so weit laufen, wie du möchtest. Aber wenn du das erste Schaf auf dem Deich siehst, dann kehr mal besser um, sonst verlierst du uns noch.«
Er setzt mich wieder runter. So weit laufen, wie ich will - ein toller Gedanke. Aber erst mal brauche ich: richtig! Etwas zu fressen.
Carolin hat neben dem Korb noch eine Decke mitgenommen, die breitet sie jetzt auf dem Sand aus. Der Fluss ist gerade so weit weg, dass die Wellen uns nichts anhaben können, auch wenn wieder so ein großes Schiff vorbeifährt. Dann öffnet Carolin den Korb und nimmt die Sachen heraus. Hm, lecker. Da sehe ich schon ein Schälchen mit Herz für mich. Sie stellt es ein wenig abseits, und ich stürze mich gleich darauf. Während ich meine Mahlzeit hinunterschlinge, sehe ich aus den Augenwinkeln, dass Carolin mächtig auftischt: Wurst, Käse, sogar einen Kuchen hat sie mit. Jens setzt den Rucksack ab, den er eben noch auf dem Rücken hatte.
»So, zur Feier des Tages habe ich auch noch etwas Schönes mitgebracht.« Er zieht ein Stück Stoff aus dem Sack und wickelt es auf, zwei langstielige Gläser kommen zum Vorschein. Dann greift er noch mal in den Rucksack und befördert eine grüne Flasche ans Tageslicht, an der er sich sofort zu schaffen macht. Mit einem lauten Plopp springt der Korken heraus, Jens gießt die Flüssigkeit in die Gläser. Hellgelb sieht sie aus und sprudelt sehr hübsch.
»Bitte sehr: Champagner! Ein schönes Getränk für eine schöne Frau!«
Carolin kichert ein bisschen verlegen, dann nimmt sie das Glas, das Jens ihr gibt.
»Danke schön. Und überhaupt - danke für die gute Idee.«
»Ich habe zu danken! Schön, dass es doch noch mit unserer Verabredung geklappt hat. Und jetzt: auf einen tollen Tag!« Sie stoßen mit ihren Gläsern an. »Ja, auf einen tollen Tag.«
Als wir spätabends wieder nach Hause kommen, bin ich müde, aber bestens gelaunt. Ich bin zum ersten Mal im Leben in einem Fluss geschwommen, was wirklich viel anstrengender ist als in einem See. Ich habe dabei fast einen Fisch gefangen. Ich bin gelaufen, bis ich die Schafe gesehen habe. Jens hat mindestens hunderttausend Stöckchen für mich geworfen. Ich habe neben dem Hundefutter auch noch Fleischwurst und Erdbeertorte gemampft. Ich habe mich auf der kuscheligen Picknickdecke gefläzt, gedöst und Jens und Carolin einfach nur beim Reden zugeschaut. Und irgendwann lagen wir alle drei auf der Decke, guckten gemeinsam in den Himmel, sahen dem Mond beim Aufgehen und später der Sonne dabei zu, wie sie langsam in dem großen Fluss versank. Es war der perfekte Tag.
Jetzt lümmele ich mich sandig, wie ich bin, in unserer Wohnung auf der Couch und bin einfach glücklich. Carolin stellt den leeren Picknickkorb wieder in die Küche und geht dann zu dem kleinen Kästchen neben dem Telefon, das einem erzählt, wer angerufen hat, während man nicht da war. Sie haben zwei neue Nachrichten. Erste neue Nachricht.
»Hallo, Süße, hier ist Nina! Und? Wie war es? Ich bin so neugierig! Ruf mich sofort an.«
Zweite neue Nachricht.
»Hallo, Carolin, Marc Wagner hier. Du weißt schon, der Tierarzt deines Vertrauens. Wollte nur hören, ob es mit unserer Verabredung am Mittwoch klappt. Sollen wir vor dem Konzert eine Kleinigkeit essen gehen? Ich habe mittwochs immer etwas früher Schluss und könnte dich abholen. Melde dich mal.«
Es gibt keine weiteren Nachrichten.
Marc Wagner - den hatte ich schon völlig vergessen. Und im Sinne einer effizienten Partnersuche könnte Carolin den Termin doch eigentlich absagen. Jens macht einen sehr guten Eindruck, ich konnte heute keine Mängel feststellen. Er riecht gut, war gekämmt und hatte etwas Sauberes an - wozu also Zeit mit dem unsympathischen Wagner verschwenden? Und Carolin hat es garantiert auch gefallen, ich habe sie schon lange nicht mehr so fröhlich und locker erlebt. Also los, ruf Wagner an und sag ab! Aber Carolin sieht unschlüssig aus. Nachdenklich betrachtet sie das schwarze Kästchen, dann greift sie zum Telefon.
»Hallo, Nina. Ich weiß, es ist schon spät - aber kann ich vielleicht noch vorbeikommen? Echt? Danke, das ist nett. Ich brauche dringend jemanden zum Quatschen.«
Na super. Auf die Idee, dass sie es auch mir erzählen könnte, kommt sie natürlich nicht. Jetzt noch einmal loszufahren, passt mir eigentlich gar nicht. Ich liege gerade so bequem. Aber als Carolin aufsteht, rapple auch ich mich hoch, will schließlich kein Spielverderber sein.
»Herkules, leg dich ruhig wieder hin. Ich fahre eben noch zu Nina, aber du bleibst hier.«
Wieso das denn? Haben die etwa Geheimnisse vor mir? Ich springe vom Sofa. So müde bin ich auch wieder nicht!
»Nein, ehrlich, Herkules. Du kannst auch mal ein Stündchen allein sein. Guck mal, du bist voller Sand, und ich habe keine Lust, dich jetzt noch zu baden. Und Nina ist bestimmt nicht begeistert, wenn ich mit einem dreckigen Hund ankomme. Also leg dich brav ins Körbchen. Du hast doch heute schon genug erlebt.«
Hmpf. Sie will mich wirklich nicht mitnehmen. So schmutzig bin ich doch gar nicht. Doofe Nina.
Als Carolin die Wohnungstür hinter sich zuzieht, lasse ich mich missmutig in mein Körbchen fallen. Irgendwie ist es gemein, wenn man erst den ganzen Tag zusammen verbringt und dann später nicht mehr mitkommen darf. Ich fühle mich so ... zurückgestuft. Eben gehörte ich noch dazu und auf einmal bin ich nur noch das Haustier. Atzend. Zu allem Überfluss bin ich auch überhaupt nicht mehr müde.
Eine Weile liege ich noch in meinem Körbchen, dann stehe ich auf und trabe in die Küche. Vielleicht ist noch ein Fresschen in meinem Napf, das könnte ich mir dann mal einverleiben. Von Eschersbach sagt immer, dass Langweile dicke Dackel macht. Ich glaube, er hat Recht. Leider ist mein Napf aber so blank gewienert, dass man sich darin spiegeln kann. Fressen ist also auch keine Alternative. Ich trabe wieder zurück. Als ich an der Wohnungstür vorbeikomme, rieche ich einen vertrauten Duft. Herr Beck! Er muss direkt vor der Tür stehen, wahrscheinlich ist er gerade auf dem Weg zu einem nächtlichen Spaziergang. Ein kleiner Plausch mit ihm wäre doch genau die richtige Ablenkung! Ich belle laut los.
»Na, Kumpel?«, höre ich seine Stimme durch die Tür, »wie geht's?«
»Geht so. Mir ist total langweilig, und Carolin hat mich einfach allein zu Hause gelassen.«
»Das ist natürlich Pech. Ich bin auf dem Weg in den Park. Würde dich ja mitnehmen, aber ohne Carolin kriegen wir dich nicht aus der Wohnung.«
»Ja, blöd. Ich würde auch sehr gerne mitkommen. Aber durch den Briefschlitz kann ich mich kaum quetschen.«
Ich höre Herrn Beck kichern. »Ne, das lass man. Da bleibste eher stecken, und das dürfte dann ziemlich unbequem sein.«
»Tja, was anderes fällt mir auch nicht ein. Dann muss ich wohl hierbleiben und mich weiter langweilen. Grüß mir den Park und die Kaninchen.«
»Hm. Mach ich.«
Es wird wieder still. Aber gerade, als ich mich umdrehen und zu meinem Körbchen zurück will, rieche ich Herrn Beck noch mal ganz deutlich.
»He, Herkules! Eine Idee ist mir noch gekommen. Ist allerdings eher etwas für den wagemutigen Dackel.«
Na, also wer, wenn nicht ich!
»Was denn?«, will ich wissen.
»Erinnerst du dich noch an unsere Aktion mit dem Höschen?«
Читать дальше