Daniel räuspert sich. »Du, Carolin«, Daniel kommt hinter seinem Tisch hervor und geht auf Carolin zu. Aha! Endlich kommt hier mal Fahrt in die Sache!
»Ja?«
»Äh, hast du da drüben noch Collophonium liegen? Ich finde hier gerade keins mehr.«
Argh! Was soll das denn? Collophonium? Ich weiß zwar nicht, was das ist, bin mir aber ziemlich sicher, dass es kein Codeword für »Ich liebe dich, darf ich dich bitte küssen?« ist.
»Ja, habe ich noch. Hier.«
Klonk! Mit einem dumpfen Scheppern fällt ein kleiner durchsichtiger brauner Block aus dem Döschen, das Carolin Daniel gerade gereicht hat, ohne richtig hinzusehen. Nun liegt beides auf dem Boden. Carolin kniet sich hin, um Block und Döschen aufzuheben. Auch Daniel bückt sich. Einen Moment lang sind sich beide ganz nah. Fast Gesicht an Gesicht. Los! Daniel! Tu was!, würde ich am liebsten laut rufen. Leider bleibt mir natürlich nichts anderes übrig, als es sehr laut zu denken. Und tatsächlich, sie funktioniert, die Telepathie zwischen Dackel und Mann: Daniel greift nach Carolins Hand und hält sie fest.
»Carolin, stimmt etwas nicht?«
Carolin schaut Daniel kurz an, dann blickt sie wieder zu Boden.
»Nein, wieso?«, murmelt sie.
»Du weichst mir aus.« »Gar nicht, das bildest du dir ein.«
»Ist es wegen neulich?« »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Komm schon, lass uns wenigstens drüber reden: Ist es, weil ich dich geküsst habe?« »Nein, also, ich ...«
Daniel seufzt. »Ich wusste es. Ich wusste, dass das ein Fehler war.«
Daniel lässt Carolins Hand los und setzt sich neben sie auf den Boden. Einen Moment lang schweigen beide, dann knufft Daniel Carolin in die Seite.
»He, Carolin. Komm, nimm es nicht so schwer. Du musst mir nichts erklären. Es ist völlig in Ordnung. Es war der Moment, du sahst toll aus, und ich war schon ein bisschen beduselt. Da konnte ich nicht anders.«
Carolin nickt. »Ja, es war ein sehr schöner Moment. Aber jetzt...«
»Jetzt bei Tageslicht sieht die Sache irgendwie anders aus, ich weiß«, beendet Daniel ihren Satz. »Und du fragst dich, ob das so eine gute Idee ist, mit mir, deinem Kumpel und Partner.«
Carolin nickt.
»Nein, ist es vermutlich nicht«, fährt Daniel fort. »Obwohl es eine sehr schöne Vorstellung war, du und ich ein Paar. Jedenfalls für einen Augenblick.«
»Und du bist nicht sauer auf mich?«
»Nee, die gleichen Gedanken hatte ich auch schon. So, und jetzt hör sofort auf, weiter so bedröppelt hier rumzuschleichen. Das ist ein Befehl!«
Daniel lacht, und schließlich, wenn auch ein wenig zögerlich, lacht Carolin auch.
Ich hingegen könnte eher heulen. Mein schöner Plan! Na ja, Fast-Plan! Dabei wäre es so toll gewesen, mit Daniel und Carolin als Herrchen und Frauchen. Eine richtige kleine Familie. Und das Schlimmste ist: Jetzt geht die Sucherei wieder von vorne los, und die Gefahr, dass wir uns dabei so einen Idioten wie Thomas einfangen, ist alles andere als gebannt. Dabei war ich mir wirklich sicher, dass Daniel der perfekte Mann für Carolin ist. Ach, was heißt hier »war« - ich bin mir sicher, dass er es ist. Aber da hat Herr Beck schon Recht: Wenn Carolins Herz das nicht irgendwann von allein einsieht, dann hat es keinen Sinn. Mit gesenktem Kopf schleiche ich wieder Richtung Terrassentür, um Beck von meiner Niederlage zu berichten. Wenn er wirklich mein Freund ist und die Entschuldigung eben ernst gemeint war, wird er mich vielleicht trösten.
Bevor ich allerdings draußen bin, läutet es an der Werkstatttür. Eigentlich renne ich dann immer gerne nach vorne und begrüße die Besucher, aber meine Laune ist so im Keller, dass ich mich selbst dazu nicht recht aufraffen kann. Ist wahrscheinlich wieder die blöde Aurora, die mit Daniel flirten will. Es klingelt noch einmal, und natürlich bin ich doch ziemlich neugierig. Andererseits scheint draußen so schön die Sonne und die Vorstellung, unter meinem Baum zu liegen und Herrn Beck mein Leid zu klagen, während das Gras an meinem Bauch kitzelt, ist auch verlockend. Schließlich aber siegt die Neugier, und ich renne Richtung Tür.
Carolin hat sie schon geöffnet. In unserem Flur steht ein Mann mit brauner Uniform und drückt Carolin ein Päckchen in die Hand.
»Sind Sie Frau Neumann? Dann brauche ich hier Ihre Unterschrift.«
Carolin stellt das Päckchen auf den Boden, um zu unterschreiben. Neugierig schnüffele ich daran. Hmh, riecht irgendwie lecker. Was mag da drin sein? Als Carolin das Päckchen zu ihrem Tisch im Werkraum trägt, laufe ich hinterher.
»War das für dich?«, will Daniel wissen.
»Ja.«
»Was ist es denn?«
»Keine Ahnung. Ich habe nichts bestellt.« »Von wem ist es denn?«
»Mal sehen - es ist von ...«, sie stockt, »es ist von Jens Uhland.«
Daniel zuckt mit den Schultern. »Kenne ich nicht. Ein Kunde?«
»Gewissermaßen. Der gehört zu dem Filmteam, das sich neulich den Cellokasten ausgeliehen hat.«
»Aha. Na, vielleicht hast du da was liegen lassen.« »Ja, kann sein.«
Das glaube ich persönlich kaum. Schließlich war ich dabei und bin mir sicher, dass wir mit allen Sachen gegangen sind, mit denen wir auch gekommen sind. Also, außer dem Kasten natürlich, aber der ist in dem Päckchen garantiert nicht drin. Viel zu groß und riecht auch ganz anders. Längst nicht so lecker. Was ist da drin? Ich mache Männchen und komme somit immerhin auf Kniehöhe von Carolin. Die wundert sich.
»Hey, Süßer, was ist denn mit dir los? Du bist ja ganz wild.«
»Tja, vielleicht schickt dir dieser Jens ein Kilo Koks, und Herkules hat alle Anlagen zu einem Top-Drogenspürhund.«
Daniel grinst. »Man weiß ja, wie diese Filmtypen sind. Alles schlimme Finger.«
Carolin schüttelt den Kopf. »Ein Kilo Koks? Bisschen teuer, um es einer flüchtigen Bekannten zu schicken. Aber was kann es bloß sein?« Mit einem Messer löst sie den Klebestreifen von dem Deckel des kleinen Kartons. »Da liegt eine Karte bei. Mal sehen.«
Sie liest und fängt an zu grinsen. Daniel kommt zu ihrem Tisch und versucht, über Carolins Schulter mitzulesen. Die will einen Schritt von ihm weg machen, als er blitzschnell zugreift und ihr die Karte wegzieht.
»He, was soll das? Schon mal was vom Briefgeheimnis gehört? Das ist nicht für dich bestimmt.« Carolin klingt genervt, aber Daniel lacht nur.
»Tja, meine Liebe, für dich aber auch nicht. Hier steht eindeutig: Lieber Herkules!«
Was? Die Karte ist für mich? Sofort laufe ich zu Daniel hinüber. Ich habe noch nie im Leben eine Karte bekommen. Aufregend! Aber auch ein bisschen komisch, denn wer schreibt schon an jemanden, der gar nicht lesen kann? Ich setze mich vor Daniel und schaue ihn erwartungsvoll an. Der versteht den Wink und fängt an, vorzulesen.
»Lieber Herkules, ich hoffe sehr, dass es dir heute wieder besser geht. Um dir schnell auf die Beine zu helfen, habe ich für dich eine Spitzen-Hundewurst besorgt, die bestimmt sehr lecker ist. Meldet euch mal, wenn du wieder auf dem Damm bist. Viele Grüße, dein Jens.«
Wow, das muss ja doch ein wahnsinnig netter Mensch sein, trotz des Gewehrs. Ich bin begeistert! Kein Wunder, dass der Karton so gut riecht. Die Wurst muss ich sofort probieren.
»Wieso kommt dieser Jens auf die Idee, dass Herkules krank sein könnte?«
»Ah, er hatte wieder so einen Anfall.« Carolins Stimme klingt komisch.
»Während ihr in der Bank wart?«
»Ja, genau. Deswegen mussten die sogar den Dreh unterbrechen.«
He! Das stimmt doch gar nicht! Was erzählt Carolin denn da?
Daniel guckt besorgt. »Hm, das klingt nicht gut. Hast du noch mal mit Wagner gesprochen? Der wollte doch beim Züchter nachfragen.«
»Stimmt, das hatte ich gar nicht mehr auf dem Zettel. Ich rufe nachher in der Praxis an.«
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