Ich nehme all meine Kraft zusammen und belle, so laut ich kann.
»Ach so!«, höre ich Willis tiefe Stimme von oben brummen. »Dein kleiner Freund steckt da unten fest, richtig?«
Ich kann zwar nicht sehen, was Herr Beck jetzt macht, aber ich hoffe doch sehr, er bestärkt Willi irgendwie in dieser Annahme.
»Dann will ich mal versuchen, ihn da auszugraben. Hoffe, er ist nicht zu tief, ohne Schaufel, nur mit bloßen Händen wird das schwierig.«
Es wummert noch mal ordentlich über mir, Willi scheint sich hingekniet zu haben. Erst höre ich eine ganze Weile nichts mehr, dann beginnt die Erde über mir wieder zu beben. Willi gräbt. Dackelgott sei Dank!
Ich höre Willi ächzen und stöhnen, das Graben scheint für Menschen ziemlich anstrengend zu sein. Kein Wunder, so ohne Krallen ist es bestimmt nicht leicht, die Erde zur Seite zu schaffen. Aber das Beben kommt immer näher und ab und zu fällt jetzt auch ein wenig Erde von der Höhlendecke auf meine Nase.
»Mensch, da haste dir ja ein prima Plätzchen für deinen Ausflug unter Tage ausgesucht! Die Erde hier ist so was von lehmig - richtig anstrengend ist das!«, flucht Willi. Dann sagt er nichts mehr, sondern gräbt still weiter.
»Geht's noch, Herkules?«, will Herr Beck wissen.
»Ja!«, rufe ich knapp, denn inzwischen bekomme ich kaum noch richtig Luft.
»Du kannst echt froh sein, dass Willi auf seinem Stammplatz saß und noch nicht allzu viel Bier intus hatte. Hat gar nicht so lange gedauert, ihm klarzumachen, was ich will.«
Gerade als ich Herrn Beck antworten will, dass es bei aller Schnelligkeit für mich trotzdem langsam eng wird, spüre ich einen Luftzug an meiner Rute.
»Endlich!«, ruft Willi. »Ich habe den Tunnel. So, gleich ist es geschafft!«
Ich kann zwar noch nichts sehen, aber Willi ist bereits an meinem Hinterteil angelangt. Ich höre sein Schnaufen und Prusten fast direkt hinter meinem Nacken. Jetzt hat er meine Hinterläufe komplett freigelegt und streicht mir über den Rücken.
»Mönsch, mein Lieber, du machst Sachen. Jetzt grabe ich noch vorsichtig dein Köpfchen frei, dann hast du es geschafft.«
Immer mehr Erde fällt auf meine Nase, aber weil ich weiß, dass das an Willi liegt, der direkt neben meiner Schnauze gräbt, bleibe ich ruhig. Da! Willi hebt die Decke von der Höhle, und ich bin endlich befreit. Ich schüttle mich und schaue nach oben. Oha! Ich sitze doch in einer ziemlich tiefen Grube. Vorsichtig hebt mich Willi hoch und setzt mich an den Rand des großen Loches, das er für mich gebuddelt hat. Dann klettert er selbst raus und setzt sich neben mich.
»So, Willi braucht mal eine Verschnaufpause. Mir ist direkt ein bisschen schwindelig von der ganzen Anstrengung. Bin ja nichts mehr gewohnt in meinem Alter, ha, ha!«
Herr Beck kommt zu uns rübergetrabt, und so hocken wir zu dritt unter dem funzeligen Licht der etwas entfernt stehenden Parklaterne.
»Da hast du Glück gehabt, dass dein Kumpel mich gefunden hat, mein Freund. So wärst du nicht mehr rausgekommen. Puh, bin ich schlapp. Bisschen schlecht ist mir. Na ja, kein Wunder, untrainiert wie ich bin.« Willi streicht sich mit einer Hand durch sein wirres Haar. Dann holt er tief Luft und starrt in die Ferne. »Aber jetzt wird's doch komisch. Und schlecht ist mir auf einmal. Ich fühle mich so ...« Er lässt den letzten Satz in der Luft hängen - und kippt zur Seite ins Gras. Dort bleibt er liegen. Ach du Schreck! Nicht auch noch das!
»Was ist los mit ihm?«
»Was auch immer es ist, es sieht nicht gut aus.« Herr Beck geht näher an Willi heran und stupst ihn mit der Pfote im Gesicht an. Der regt sich nicht. »Mist, Willi, mach nicht solche Sachen!«
Ich laufe ebenfalls herum, überlege kurz und springe dann auf Willis Oberkörper. Wenn er darauf nicht reagiert, ist es ernst.
Es ist ernst: Selbst als ich nach vorne laufe und Willi übers Gesicht schlecke, rührt er sich nicht. Dafür atmet er ganz schnell und unregelmäßig. Ich merke, dass ich panisch werde.
»Beck, ich glaube, Willi geht es sehr schlecht. Was machen wir jetzt bloß?«
»Scheiße!«, entfährt es Beck. »Das ist alles deine Schuld! Wärst du nicht in den blöden Bau, und hätte Willi dich nicht ausgraben müssen, dann läge er nicht hier. Das war offenbar zu viel für ihn. Wir brauchen dringend Hilfe!«
Ich lasse die Ohren hängen. Beck hat Recht. Es ist alles meine Schuld. Und weit und breit ist niemand zu sehen.
»Waren da eben noch andere Menschen?«, frage ich Herrn Beck, doch der schüttelt nur den Kopf.
»Keine Menschenseele. Nicht mal Liebespärchen. Einfach niemand.«
Willi gibt ein klägliches Stöhnen von sich. Denk nach, Carl-Leopold, denk nach. Wer kann jetzt helfen? Dann endlich der Geistesblitz.
»Ich hab's!«, belle ich aufgeregt. »Ich habe Willi in diese Lage gebracht - ich hole ihn auch wieder raus. Du bleibst neben ihm, damit er nicht so allein ist. Bis gleich!«
Und bevor Herr Beck noch etwas sagen kann, sause ich auch schon los.
ZWANZIG
Aus dem Park heraus, die kleine Straße ganz bis zum Ende. Dann links herüber, zu dem großen Baum an der Ecke, der so eindrucksvoll nach dem schwarzen Dobermann riecht, den ich schon oft aus der Ferne bewundert habe. Eine größere Straße überquert, um diese Zeit ohne Autos. Ich laufe, so schnell ich kann, ohne die Orientierung zu verlieren. An der nächsten Ecke bin ich erst unsicher, aber dann nehme ich den Geruch der Bäckerei auf, an der ich auch mit Daniel und Carolin vorbeigekommen bin. Genau, hier bin ich noch richtig. Diese Straße ist ziemlich lang, ich muss ihr bis zu einer scharfen Kurve folgen. Als sie endlich kommt, hängt mir die Zunge schon aus dem Hals.
Und endlich rieche ich den fast vertrauten Gestank einer Reinigung. Ich bin am Ziel - schräg gegenüber ist die Praxis von Wagner. Deren Fenster sind natürlich dunkel - aber die Wohnung im Stockwerk darüber ist zum Glück hell erleuchtet. Dr. Wagner scheint da und wach zu sein. Ohne zu zögern, hocke ich mich auf den Bürgersteig vor dem Haus und beginne, laut zu bellen. Ununterbrochen. Irgendwann wird mich schon jemand hören. Jetzt nicht aufgeben. Das bin ich Willi einfach schuldig.
Es dauert nicht einmal sonderlich lang: Bald geht ein Fenster auf, leider im zweiten Stock, und eine Frau schaut heraus.
»Was ist denn das für ein gottverdammter Lärm! Blöder Köter, scher dich gefälligst weg!«
Unbeeindruckt belle ich weiter, langsam schon etwas heiser.
»Hau ab, oder ich rufe die Polizei!«
Mir doch egal. Zur Abwechslung heule ich nun ein bisschen. Die Frau macht das Fenster wieder zu. Eine Weile passiert nichts. Egal. Durchhalten, Carl-Leopold, durchhalten. Es geht um Willi!
Da klappert es, und die Haustür öffnet sich. Die Frau kommt auf die Straße - und sie hat Dr. Wagner dabei! Sie sprechen miteinander, während sie auf mich zugehen.
»Ich weiß zwar nicht, wie Sie darauf kommen, dass das ein Patient von mir sein könnte, aber ich gucke mal, wo das Problem ist.«
»Na ja, warum sonst sollte sich ein Hund hier so aufführen? Also danke, dass Sie mal schauen.«
Die beiden bleiben vor mir stehen. Wagner starrt mich an. Ich starre zurück. Hoffentlich erkennt er mich. Sonst rufen sie wohlmöglich wirklich noch die Polizei.
»Tatsächlich. Ich kenne das Tier. Es gehört einer Freundin von mir.«
Na, also das stimmt so nun gar nicht. Carolin ist nicht deine Freundin! Aber in dieser Situation will ich mal nicht so sein. Stattdessen springe ich an Wagner hoch und begrüße ihn schwanzwedelnd. Wagner streichelt mich kurz und guckt mich dann nachdenklich an.
»Was ist denn wieder los bei euch, Herkules?«
Wenn ich das einfach erzählen könnte, müsste ich hier nicht so einen Zinnober veranstalten. Ich springe noch einmal an ihm hoch und zerre dabei an seinem Ärmel. Die Frau, die eben noch auf hundertachtzig war, schaut amüsiert.
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