Памела Трэверс - Mary Poppins
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MARY POPPINS
BUCHGEMEINSCHAFTS-AUSGABE
Titel des Originals: Mary Poppins
Berechtigte Übertragung aus dem Amerikanischen von Elisabeth Kessel Illustrationen von Emanuela Delignon
© Copyright 1943 by P. L. Travers Schutzumschlag und Einband: Emanuela Delignon Druck: Wiener Verlag, Wien
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MARY POPPINS
»Wißt ihr denn nicht, daß jeder sein eigenes Märchenland hat?«
1. Kapitel. Ostwind
Wenn du den Kirschbaumweg suchst, so brauchst du nur den Schutzmann an der Straßenkreuzung zu fragen. Er wird seinen Helm ein bißchen beiseite rücken, sich nachdenklich am Kopf kratzen, dann seinen dicken, weißbehandschuhten Finger ausstrecken und sagen:
»Erst rechts, dann zweite Querstraße links, dann wieder scharf rechts und du bist da. Guten Morgen.«
Und richtig, wenn du genau seiner Beschreibung folgst, dann bist du da. Ein Schritt noch — und du stehst mitten auf dem Kirschbaumweg.
Auf der einen Seite ziehen sich die Häuser entlang, auf der anderen der Park, und dazwischen, in der Mitte, tanzen die Kirschbäume auf dich zu.
Wenn du Nummer 17 suchst — und höchstwahrscheinlich tust du das gerade, denn unsere ganze Geschichte spielt sich dort ab —, so ist das Haus leicht zu finden.
Zunächst einmal ist es das kleinste Haus in der ganzen Straße. Außerdem ist es das einzige, das etwas verwittert aussieht und neu gestrichen werden müßte. Aber Mister Banks, dem es gehört, erklärte einmal Mistreß Banks, entweder könne sie ein hübsches, sauberes, behagliches Haus haben oder vier Kinder. Aber auf keinen Fall beides zugleich, das könne er sich wirklich nicht leisten.
Und Mistreß Banks überlegte sich die Sache ein Weilchen, mit dem Ergebnis, daß sie doch lieber Jane haben wollte, ihre Älteste, und Michael, ihren zweiten, und John und Barbara, die Zwillinge, die zuletzt ankamen. Damit war der Fall erledigt, und Familie Banks lebte also in Nummer 17, betreut von Mistreß Brill, die für sie kochte, von Ellen, die den Tisch deckte, und Robertson Ay, der den Rasen schnitt, Messer und Schuhe putzte
und »seine Zeit und mein Geld« vergeudete, wie Mister Banks immer sagte.
Natürlich war auch Katie Nanna da, das Kindermädchen, die es allerdings nicht verdient, in unserem Buch erwähnt zu werden, denn zu der Zeit, von der hier die Rede ist, hatte sie Nummer siebzehn schon verlassen.
»Ohne Kündigung von deiner oder ihrer Seite«, sagte Mistreß Banks. »Und was mache ich jetzt?«
»Eine Anzeige aufgeben, meine Liebe«, sagte Mister Banks, während er sich die Schuhe anzog. »Ich wünschte nur, Robertson Ay liefe auch ohne Kündigung davon! Er hat wieder nur einen Schuh geputzt und den anderen vergessen. Ich komme mir geradezu windschief vor.«
»Das ist doch ganz egal«, erwiderte Mistreß Banks. »Sag mir lieber, was ich Katies wegen tun soll.«
»Ich weiß nicht, was sich jetzt noch tun ließe, nachdem sie einmal fort ist«, entgegnete Mister Banks. »Aber ich an deiner Stelle — ich, hm, ich — nun, ich würde eine Anzeige in die >Morgenpost< setzen, aus der hervorgeht, daß Jane und Michael und John und Barbara Banks (ganz zu schweigen von ihrer Mutter) zu einem möglichst niedrigen Lohn die allerbeste Kinderfrau suchen, und zwar sofort. Dann würde ich abwarten und zusehen, wie die Kindermädchen vor der Gartentür Schlange stehen, und mich darüber aufregen, weil sie den Verkehr behindern und ich dem Schutzmann zur Beruhigung einen Shilling geben muß. Aber jetzt muß ich weg. Hu! Es ist ja so kalt hier wie am Nordpol! Aus welcher Richtung weht denn der Wind?«
Mit diesen Worten steckte Mister Banks den Kopf zum Fenster hinaus und blickte die Straße hinunter nach dem Haus von Admi-ral Boom an der Ecke. Es war das eindrucksvollste Haus in der Straße, und die Straße war mächtig stolz darauf, denn es war genau gebaut wie ein Schiff. Im Garten stand ein Flaggenmast und auf dem Dach war eine vergoldete Wetterfahne in Gestalt eines Fernrohrs.
»Ha!« sagte Mister Banks und zog überraschend schnell den
Kopf ein. »Das Admiralsfernrohr verkündet Ostwind. Dachte ich mir's doch. Mir sitzt die Kälte jetzt schon in allen Gliedern. Ich werde heute zwei Mäntel anziehen.« Zerstreut küßte er seine Frau links auf die Nase, winkte noch den Kindern zu und fuhr in die Stadt.
Nun, in die Stadt fuhr Mister Banks jeden Tag — außer natürlich am Sonntag und an den Bankfeiertagen —, und dort saß er dann in einem großen Stuhl vor einem großen Schreibtisch. Den ganzen Tag arbeitete er und verdiente Pennies und Shillings, halbe Kronen und Drei-Penny-Stücke. Abends brachte er sie dann in seiner kleinen, schwarzen Mappe nach Haus. Manchmal schenkte er Jane und Michael etwas für ihre Sparbüchsen, und wenn er einmal nichts übrig hatte, sagte er: »Die Bank ist pleite!« Dann wußten sie, daß er an diesem Tag nicht viel Geld verdient hatte.
Mister Banks ging also mit seiner schwarzen Mappe fort, und Mistreß Banks ging ins Wohnzimmer, wo sie den ganzen Tag saß und Briefe an die Zeitungen schrieb mit der Bitte, ihr umgehend ein paar Kindermädchen zu schicken, auf die sie schon schmerzlich warte.
Und oben im Kinderzimmer schauten Jane und Michael zum Fenster hinaus, gespannt, wer wohl kommen werde. Sie freuten sich, daß Katie fort war, denn sie hatten sie nie recht gemocht. Sie war alt und dick gewesen und roch immer nach Gerstenschleim. Alles würde besser sein als Katie, so dachten sie — vielleicht sogar viel besser.
Als die Dämmerung sich hinter dem Park niedersenkte, kamen Mistreß Brill und Ellen, brachten das Abendbrot und badeten die Zwillinge.
Nach dem Essen setzten sich Jane und Michael wieder ans Fenster, warteten auf Mister Banks und horchten auf den Ostwind, der durch die nackten Zweige der Kirschbäume blies. Die Bäume bogen und drehten sich und sahen im Zwielicht aus wie verhext, so, als wollten sie tanzend und wirbelnd ihre Wurzeln aus der Erde drehen.
»Da kommt er!« rief Michael und deutete auf eine schattenhafte Gestalt, die laut ans Gartentor pochte. Jane spähte in die sinkende Dämmerung.
»Das ist nicht Pappi«, sagte sie, »das ist jemand anderer.«
Die schattenhafte Gestalt, vom Wind hin und her geworfen, klinkte das Gartentor auf, und sie sahen, daß es eine Frau war, die mit einer Hand ihren Hut festhielt und in der anderen eine Reisetasche trug.
Jane und Michael beobachteten sie und bemerkten plötzlich etwas sehr Seltsames. Kaum war die Gestalt in den Garten getreten, so schien der Wind sie in die Luft zu heben und auf das Haus zuzublasen. Es war, als hätte der Wind sie ans Gartentor geweht, dann gewartet, bis sie es geöffnet hatte, um sie dann hochzuheben und mitsamt der Tasche und allem übrigen vor die Haustür zu schleudern. Die Kinder hörten einen furchtbaren Bums. Das ganze Haus zitterte, als die Gestalt vor der Tür landete.
»Sonderbar! So etwas hab ich noch nie gesehen!« sagte Michael aufgeregt.
»Komm nachsehen, wer es ist«, rief Jane, packte Michael am Arm und zog ihn vom Fenster weg, zum Kinderzimmer hinaus, bis auf den Treppenabsatz. Von hier aus ließ sich gut übersehen, was unten in der Diele vorging.
Gleich darauf sahen sie ihre Mutter mit einem Besuch aus dem Wohnzimmer kommen. Wie Jane und Michael feststellten, hatte der Besuch lackschwarzes Haar — »wie eine holländische Holzpuppe« flüsterte Jane —, eine hagere Gestalt, große Füße und Hände und kleine, scharfe, blaue Augen.
»Sie werden sehen, es sind recht liebe Kinder«, sagte Mistreß Banks gerade.
Michael puffte Jane in die Seite.
»Sie werden Ihnen gar keine Mühe machen«, fuhr Mistreß Banks etwas unsicher fort, so, als glaubte sie selbst nicht recht an das, was sie sagte. Die Kinder hörten die Besucherin lachen, als ob auch sie nicht daran glaubte.
»Und was Ihre Zeugnisse betrifft. . .«, begann Mistreß Banks wieder.
»Oh, ich lege grundsätzlich keine Zeugnisse vor«, sagte die andere bestimmt.
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