»Sie sind aus alten Zeiten, als noch in unserem Lande Kriege geführt wurden«, erwiderte der Älteste der Schmiede.
»Könnt ihr solche Dolche machen?«
»Wir sind schon mit viel schwierigeren Arbeiten fertig geworden«, erwiderte der Meister. »Wir haben unseren Herrscher, den Herrn Holzfäller, repariert, obwohl er einen sehr komplizierten Mechanismus hat. Aber wozu braucht Ihr denn Dolche, Fleisch läßt sich ja viel besser mit einem Küchenmesser schneiden?«
Enkin Fled duldete jedoch keinen Widerspruch.
»Mund halten!« schrie er und trampelte mit den Füßen, worüber die erschrockenen Zwinkerer noch schneller mit den Lidern zwinkerten. »Ihr macht mir fünf, nein, zehn solcher Dolche, und daß mir jeder ein anderes Schnitzmuster hat! Ich geb euch eine Woche Frist. Wenn ihr’s bis dahin nicht schafft, sollt ihr mich kennenlernen!«
Die Schmiede legten alle anderen Arbeiten beiseite und brachten zum Termin die Dolche ins Schloß. Fled hing sie an die Wand in der großen Schloßhalle auf einen Teppich und ergötzte sich an dem Anblick. Dann sagte er sich aber, daß mehr Dolche das Bild noch viel eindrucksvoller machen würden.
Von jenem Tag an gab er den Schmieden keine Ruhe. Sie durften nichts anderes tun, als Dolche, Schwerter, Säbel und Degen herstellen… Der Statthalter verbrachte ganze Tage in der Halle, wo er seine Waffensammlung ständig neu ordnete… Bald nahm er ein Schwert, bald einen Dolch in die Hand und begann, die kurzen Beine gespreizt, in der Luft herumzufuchteln. Dabei stellte er sich vor, daß er mit einem Zauberer oder einem schrecklichen Ungeheuer kämpfe.
In Wirklichkeit fürchtete er sich aber selbst vor einem Schaf, und nur unter dem Schutz der grimmigen Holzköpfe fühlte er sich sicher.
Elli und ihre Gefährten zogen auf dem gleichen Weg nach Osten, der sie im vorigen Jahr zu Bastinda geführt hatte. Jetzt sollten sie sich jedoch mit einem anderen Feind messen, mit Enkin Fled und seinen Holzköpfen.
Ellis Befreiungsarmee bestand aus nur zwei Kämpfern: dem Eisernen Holzfäller und dem Tapferen Löwen. Freilich wogen deren Mut und Kraft viele einfache Soldaten auf.
Die Schar überwand schnell das steinige Hochland, das zwischen dem Smaragdenland und dem Land der Zwinkerer lag.
Freudig lauschte der Eiserne Holzfäller den Schlägen seines Herzens, während der Scheuch Rechenexempel im Kopf löste, die Elli ihm aufgeben mußte.
Schließlich kamen sie an den Ort, wo der Eiserne Holzfäller vor einigen Monaten bei der Arbeit unterbrochen worden war, als er eine Straße zur Smaragdenstadt anlegte. An dieser Stelle hatte Kaggi-Karr dem Holzfäller die Botschaft des Scheuchs überbracht, hier lag auch noch der Hammer, den der eiserne Mann weggeworfen hatte, als er seinem Freund zu Hilfe eilte. Niemand brauchte den Hammer, auch hätte ihn niemand außer dem Eisernen Holzfäller aufheben können.
Jetzt ergriff er ihn wieder und schwang ihn in der Luft, daß es nur so pfiff.
Die Gefährten schauten dem Holzfäller bewundernd zu.
»Dafür langt meine Kraft noch«, sagte der eiserne Mann schlicht.
»Die Holzköpfe sollen sich aber in acht nehmen!« rief drohend der Scheuch.
Dort, wo die gute Straße zum Violetten Schloß begann, wollte die Schar vor dem Kampf ausruhen. Kaggi-Karr schickte sich an, einen kleinen Spatzen, der im Gras Körner pickte, auf Kundschaft auszusenden, überlegte sich’s aber, weil ihr die Aufgabe für einen Spatzen zu verantwortlich schien.
»Ich fliege lieber selber hin«, sagte sie, »und schaue mal nach, wieviel Soldaten Urfin hergeschickt hat.« Die Krähe lüftete bereits die Flügel, als Din Gior, den der Scheuch zum Feldmarschall befördert hatte, ihr zu warten gebot.
»Wir müssen dem Feind eine Herausforderung schicken«, sagte er, seinen wallenden Bart kämmend.
»Es ist besser, wenn wir ihn unerwartet überfallen«, entgegnete Kaggi-Karr. »Überraschung entscheidet oft den Ausgang des Kampfes.«
»Was der Feldmarschall sagt, ist richtig«, mischte sich der Scheuch ein. »Wir tun besser daran, den Feind auf offenem Feld zu begegnen, sonst könnte er sich in seinem Schloß verrammeln und wir müßten es belagern, was gar nicht so einfach ist. Ich weiß es aus eigener Erfahrung.«
»Und wenn sich Enkin Fled nicht auf offenem Felde schlagen will?« fragte Charlie Black, der zum Stabschef ernannt worden war.
»Wir werden ein Schreiben an ihn richten, das wird ihn dazu veranlassen«, versicherte der Feldmarschall. »Ich kenne Fled, er ist schrecklich eitel.«
Der Oberbefehlshaber und seine Gehilfen setzten sich hin, die Herausforderung abzufassen. Sie stritten lange über den Wortlaut, doch schließlich einigten sie sich und schrieben ihn auf ein Blatt Papier, das sich bei Charlie Black gefunden hatte. Kaggi-Karr brach, den Brief im Schnabel, zum Violetten Schloß auf.
Zum hundertsten Male wohl hängte Enkin Fled seine Waffen um, als die Köchin Fregosa eintrat.
»Herr Statthalter«, sagte sie, »ein Perla… Parlai… Perlaturmar wünscht Euch zu sprechen.«
»Wer?« brüllte Fled, ungehalten über die Störung.
»Ich hab’s nicht verstanden«, sagte Fregosa zurückweichend. »Aber jemand will Euch sprechen.«
»Laß ihn rein!« befahl der Statthalter und nahm vorsichtshalber einen scharfen Dolch in die Hand.
Die Tür öffnete sich, und in den Saal stelzte mit wichtiger Miene die Krähe. Fled begann zu lachen.
»Ha-ha-ha, du bist also der Perlamantur?«

»Verzeihung«, entgegnete Kaggi-Karr eisig, flog auf den Tisch und legte den Brief neben sich. »Ich bin der Parlamentär des Oberbefehlshabers Din Gior.«
Enkin war über die klare Sprache der Krähe so verblüfft, daß er den Vogel mit »Sie« anzureden begann.
»Aber hören Sie mal, wer ist denn dieser Oberbefehlshaber Din Gior? Ich kenne nur eine Armee, die meines Herrschers, des mächtigen Königs Urfin L, deren Befehlshaber General Lan Pirot ist.«
»Lest dieses Ultimatum, und Ihr werdet alles verstehen«, erwiderte Kaggi-Karr kurz und flog auf den Schrank, wo sie sich sicherer fühlte.
Enkin entfaltete das Blatt, und als er zu lesen begann, bekam er einen roten Kopf. Das Schreiben lautete:
» ULTIMATUM
Wir, die Unterzeichner, der Weise Scheuch, Herrscher der Smaragdenstadt, und Feldmarschall Din Gior, der Oberbefehlshaber der Befreiungsarmee, stellen Euch, Enkin Fled, Statthalter des sogenannten Königs Urfin I. anheim, Eure Soldaten zu entwaffnen und uns das Violette Schloß kampflos zu übergeben. Tut Ihr es, wird die Strafe für den von Euch begangenen Hochverrat lediglich darin bestehen, daß Ihr zehn Jahre lang Steine zerkleinern und die Straßen im Lande der Zwinkerer pflastern werdet.
Lehnt Ihr aber dieses für Euch vorteilhafte Angebot ab, so fordern wir Euch auf, uns auf offenem Feld entgegenzutreten. Obwohl wir Euren Streitkräften nur einen einzigen Kämpfer entgegenzustellen haben, glauben wir fest an unseren Sieg, denn wir kämpfen für die Freiheit, gegen Euren Herrscher, den Thronräuber, der sich König Urfin nennt.
IM AUFTRAG DES WEISEN SCHEUCHS
UND DES FELDMARSCHALLS DIN GIOR
GEZEICHNET VON CHARLIE BLACK.«
Enkin wand sich vor Lachen.
»Hört! Hört! Eine Armee! Aus einem einzigen Soldaten! Ein Soldat und ein Haufen von Befehlshabern! Und dabei bilden sie sich ein, mich, den Statthalter Seiner Majestät, des mächtigen Königs Urfin I. schlagen zu können! So eine Frechheit! Mir, Enkin Fled, anheimzustellen, ich soll mich ergeben und Straßen pflastern gehen. Ha-ha-ha! He, Sie! Parlamentär! Bestellen Sie Ihren Herren, daß ich ihnen auf offenem Feld entgegentreten, sie zerschmettern und gefangennehmen werde. Ja, sie sollen bei mir Steine zerkleinern und die Straßen pflastern!«
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