Vor allem wollten sie das Schloß besichtigen. Sie ahnten nicht, daß dies die ehemalige Wohnstätte des Zauberers Hurrikap war.
Nachdem sie einmal um die Ruine herumgegangen waren, blieben die Fremdlinge vor der verschlossenen Riesentür stehen.
Fröhlich scherzten sie miteinander.
»Das ist ja ein Prachtbau! So etwas wird nur für einen hohen Herrn oder für Gespenster erbaut!«
»Na, wollen wir’s mal mit der Schulter versuchen! Nochmal… Nein, allein mit unseren Schultern schaffen wir’s nicht!«
Die Türangeln waren verrostet, so daß die Sklaven helfen mußten, die Tür aufzustoßen.
Als die Menviten den Raum betraten, flogen aus den leeren Fensterhöhlen Dutzende Uhus und Eulen auf, und ein Fledermausschwarm stob den Außerirdischen entgegen.
Die Bewohner von Rameria waren von der Größe des Schlosses, von den hohen Gemächern und den Riesensälen aufrichtig verblüfft.
»Wenn man sich in solchen Räumen für ein paar Tage niederläßt, merkt man sicher kaum, wie man selbst zu einem hohen Herrn wird!« scherzten die Flieger.
Viel Interessantes fand sich in den Schloßgemächern. Die Menviten erblickten Schränke, hoch wie ein vierstöckiges Haus, mit Töpfen und Schüsseln, die an Schwimmbekken erinnerten, Riesenmesser und Bücher, auf denen ganze Waldwiesen Platz gefunden hätten.
Die Fremdlinge begriffen nicht, wozu lebende Geschöpfe ein so riesiges Gebäude errichtet haben mochten. Unwillkürlich krochen sie vor Überraschung in sich zusammen. In der Kindheit hatten sie natürlich Märchen gelesen. Deshalb war das erste, was ihnen in den Sinn kam, die Vermutung:
»Vielleicht hat hier ein Menschenfresser gehaust?«
Mit Hilfe der Sklaven schlugen die Menviten eines der Bücher von Hurrikap auf, denn sie hofften, darin eine Erklärung zu finden.
Doch so sorgfältig die Fremdlinge auch die Seiten umblättern mochten, sie fanden nichts außer sauberem Papier, denn der Text war von den Bogen verschwunden. Wie konnten die Menviten ahnen, daß das in der Absicht des guten Zauberers gelegen hatte: Wenn sich Feinde näherten, zeigten die Bücher nicht mehr, was in ihnen geschrieben stand. So verloren die Menviten rasch jedes Interesse an ihnen.
Bei der Besichtigung der Gemächer, der Möbel und der Haushaltsgeräte staunte Kau-Ruck:
»Ob auf Belliora wirklich Riesen leben, die all diese Gegenstände benutzen können?«
Er versuchte sogar, sich in Hurrikaps Sessel zu setzen. Dafür mußten die Arsaken allerdings einander auf die Schulter klettern und eine lebendige Treppe bilden, über die der Pilot in den Sessel gelangte. An die steinharte Lehne gedrückt, fühlte er sich ebenso unglücklich, wie vor dem riesigen steinernen Standbild eines Fabeltiers. Auf Rameria gab es viele solche Skulpturen. Sie waren ein Teil der uralten arsakischen Kultur.
Nachdenklich sagte der Pilot zu den Fliegern, die ihn erwartungsvoll anstarrten:
»Wenn die Erdenbewohner von so einem Riesenwuchs sind, daß sie in dem Sessel hier Platz finden, sind wir Menviten einfach Zwerge im Vergleich zu ihnen.« Kau-Ruck empfand miteins die Komik der Situation.
Er dachte bei sich: Ich werde Baan-Nu erfreuen. Hier müßte eigentlich noch ein Gespenst her, als Zuschuß zum Schloß. Doch als der Pilot an die kleinen Häuschen dachte, die er auf dem Bildschirm des Sternschiffs gesehen hatte, fand er, daß man den General wohl kaum mit einer Schloßruine schrecken könne.
Die Kundschafter setzten ihren Weg fort. Unter dem Eindruck des Geschauten wurden sie immer verzagter.
Ihre Stimmung besserte sich erst wieder, als sie den finsteren Wald verließen und auf eine freundliche Waldwiese traten, der sich eine zweite und eine dritte anschlossen.
Rundum breiteten sich grüne Wiesen aus mit riesigen rosa, weißen und blauen Blumen, die an Glockenblumen erinnerten. Winzige Vögel flatterten durch die Lüfte, sie waren kaum größer als Hummeln und besaßen ein ungewöhnlich buntes Gefieder. Sie jagten Insekten.
Zottige Hummeln in ihren braungelb gestreiften Fellchen summten ihr ewiges, eintöniges Hummellied.
Rotbrüstige und goldgrüne Papageien verkündeten mit kehligen Stimmen das Nahen des Morgens. Sie blickten die Außerirdischen mit klugen Augen an. Wenn die Menviten gewußt hätten, daß die Papageien tatsächlich miteinander sprachen, hätte ihre Verwunderung keine Grenzen gekannt.
Die Papageien riefen nämlich einander zu:
»Wacht auf, wacht auf, was für ein herrlicher Morgen!«
»Was sehe ich da, was sind das für Menschen?« fragten die anderen verblüfft.
In den klaren Bächen tummelten sich Schwärme flinker, silbernglänzender Fische.
Die Außerirdischen waren begeistert: »Wenn ganz Belliora so ist, wie das, was wir hier sehen, wäre es herrlich!«
Die Fremdlinge, die zur Nachtzeit in der Nähe des verlassenen Schlosses gelandet waren, wo sich im Umkreis von vielen Meilen keine einzige menschliche Wohnstätte befand, fühlten sich völlig in Sicherheit, so als seien sie nicht auf Belliora, sondern bei sich daheim auf Rameria. Ihr Lager in der Nähe der Wohnstätte von Hurrikap hatten sie nicht von ungefähr Ranavir genannt, was in der Sprache der Menviten sichere Wohnstatt bedeutete. Die menvitischen Zauberer, die die Menschen zu Sklaven machten, glaubten so fest an ihre Macht, daß sie überzeugt waren, die Ereignisse könnten sich nur so entwickeln, wie sie selbst es wünschten. Sie ahnten dabei nicht, daß sich die Ereignisse im Zauberland bereits entwickelten, aber ganz und gar nicht so, wie das die Fremdlinge wünschten.
Auf vieles hatte kein anderer wesentlichen Einfluß genommen, als der Herr dieses gigantischen Schlosses. Der Zauberer Hurrikap war zwar verschwunden, doch Zauberei geht niemals spurlos verloren. Allein die menschliche Sprache, die Hurrikap den Vögeln geschenkt hatte! Sie hörten den Menschen aufmerksam zu, waren über alle Geschehnisse unterrichtet und trugen mit Liedern und Gezwitscher die Neuigkeiten in alle Winkel des Zauberlandes. Da sie einander verstanden, waren Vögel und Menschen gute Freunde. Die Menschen rührten die Bewohner der Felder und Wälder nicht an, und jene erwiesen ihnen ihrerseits unschätzbare Dienste. Sie brachten ihnen im rechten Augenblick wichtige Nachrichten und warnten sie stets vor Gefahren. Auch jetzt interessierten sich vor allem die Vögel für die Außerirdischen. Während sich die menvitischen Kundschafter an den Naturschönheiten von Belliora erfreuten, flatterten die gefiederten Waldbewohner von Baum zu Baum, und das nicht nur deshalb, weil sie sich von Würmern und Käferchen ernährten.
Dem Piloten Kau-Ruck erschien der Gedanke absurd, dennoch war ihm, als ob die Vögel sie beobachteten. Er bemerkte, daß sie nicht ziellos umherflatterten. Sie schienen vielmehr in irgendeine allgemeine Bewegung einbezogen, als handelten sie nach einem bestimmten Plan. Sie bezeigten Interesse für die Fremdlinge und flogen um sie herum, als suchten sie etwas auszukundschaften. Die Außerirdischen dachten zunächst, daß das Einbildung sei. Doch aus den Schnäbeln der Vögel erklangen einzelne seltsame Wörter wie Katschi-Katschi, Kaggi-Karr, Scheuch.
Die Menviten hatten, obgleich sie Zauberer waren, keine Vorstellung von der Vogelpost. Doch schon am ersten Morgen nach ihrer Ankunft auf der Erde verbreitete sich durch die schattigen Wälder eine alarmierende Kunde. Hier und dort wippten die Zweige. Von Baum zu Baum, von Nest zu Nest flogen und hüpften die aufgeregten lauten Boten.
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